Allyson Felix gab bei der Leichtathletik-Weltmeisterschaft ihre Abschiedsvorstellung.

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In ihrer Karriere lief die Kalifornierin fast allen davon.

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Selfie bitte!

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Zeit für den Nachwuchs.

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Eugene, Oregon – Für Allyson Felix schließt sich in diesem Sommer ein Kreis. Nach einem Heimspiel bei der Leichtathletik-Weltmeisterschaft in Eugene, Oregon, wird die inzwischen 36-jährige Sprinterin ihre Karriere beenden. Eine Karriere, die sie über 200 Meter, 400 Meter und mit der Staffel gleich mehrfach auf den Olymp ihres Sports führte. Die WM im Nordwesten der USA wird für sie aber auch eine Konfrontation mit der Vergangenheit.

Quasi am Fuße des Olymps, bei den Sommerspielen in Athen 2004, ging ihr Stern auf. Mit neunzehn Jahren rannte Felix damals über 200 Meter zu Silber, zur ersten ihrer elf olympischen Medaillen. Seitdem war sie stets unter den Ringen am Start vertreten. Das macht die Kalifornierin zur erfolgreichsten olympischen Leichtathletin aller Zeiten. Die erfolgreichste Teilnehmerin an Weltmeisterschaften ist sie ohnehin.

Die Bodenhaftung hat Felix trotz ihrer Erfolge nicht verloren. Höchstens dann, wenn sie den Startblock verlässt. Ein Blick in ihre entschlossenen Augen vor dem Lauf verrät, dass sie zu keinem Zeitpunkt an sich selbst zweifelt, nicht den Fokus verliert. Nachdem der Startschuss ertönt, gleitet sie einem Schwebezustand gleich über die Tartanbahn, fliegt den Konkurrentinnen davon. Es entlädt sich geballte Energie. Der Grund für diesen Eindruck ist die für ihre Körpergröße von 1,68 Metern bei Frauen ungewöhnlich große Schrittlänge. Auf den finalen 100 Metern des 200-m-Laufs der Spiele von London 2012 durchmaß sie Schritt für Schritt 2,38 Meter. Das entspricht in etwa dem Durchschnitt ihrer männlichen Kollegen.

Zerwürfnisse mit Nike

Bei ihrer Vita war es nur folgerichtig, sich vom US-Sportartikelhersteller Nike sponsern zu lassen. Steht der Name doch für die Siegesgöttin in der griechischen Mythologie. Was sich in den ersten Jahren als profitable Kooperation erwies, sollte 2018 in die Brüche gehen. Der Grund des Zerwürfnisses ist für viele Frauen im Leistungssport eine alte und ermüdende Leier: der Umgang von Verbänden und Sponsoren mit einer Schwangerschaft. Das in Oregon beheimatete Unternehmen kürzte ihr die Bezüge um 70 Prozent, es habe sie trotz Komplikationen bei der Geburt genötigt, so schnell wie möglich wieder Rennen zu laufen: "Nachdem ich unzählige Stunden auf der Geburtsstation verbracht habe, kam ich nach Hause und habe mich gefragt, wie ich es ein paar Stunden ins Fitnessstudio schaffe. Ich wusste, dass ich in sechs Monaten bereit sein muss, Rennen zu laufen", sagte Felix der New York Times. Sie habe sich in einer unmöglichen Situation befunden. Mittlerweile läuft sie in Schuhen ihrer eigenen Firma.

Felix setzt sich für mentale Gesundheit und Geschlechtergerechtigkeit ein, schwarze Frauen sind ihr ein besonderes Anliegen: "Afroamerikanerinnen haben eine viermal höhere Wahrscheinlichkeit, bei der Geburt zu sterben und eine doppelte so hohe, Komplikationen zu haben." Sie wolle Absicherung rund um die Mutterschaft. Die Sportindustrie fördere die Karrieren männlicher Athleten, während sie Frauen nach einer Schwangerschaft häufig abschreibe. Die Personen, die Verträge aushandeln, seien allesamt Männer, sagt Felix.

Forrest Gump als Sprinter

Trotz aller Hindernisse ist sie ein Mensch, der sich selbst nicht zu ernst nimmt. Für die GQ kommentierte Felix berühmte Laufszenen aus Filmen. Besonders gut kam dabei Forrest Gump weg. Mit seiner Armbewegung habe er einen guten Laufstil für einen Sprint, seine Kadenz wiederum spreche für Qualität auf der Langdistanz. Rocky Balboa hingegen beweise beim Springen über eine Parkbank sein Talent im Hürdenlaufe. Das Time Magazine wählte Felix 2020 unter die hundert einflussreichsten Persönlichkeiten.

So werden die Weltmeisterschaften, knappe zwei Autostunden vom Nike-Hauptquartier entfernt, zum letzten Lauf einer beeindruckenden Athletin. "Diese Saison laufe ich für Frauen. Ich laufe für eine bessere Zukunft für meine Tochter. Ich laufe für euch."

Keine Aushängeschilder

Für die Leichtathletik ist das Karriereende von Felix indes ein großer Verlust. Zwar ist die Leistungsdichte in den einzelnen Disziplinen hoch, absolute Stars sind aber nicht in Sichtweite. Jemand wie Felix oder der Jamaikaner Usain Bolt, dessen Siegesposen in jedem Schulhof imitiert wurden – Persönlichkeiten, die es mit ihrer Strahlkraft schaffen.

Im gewiss hochklassigen Duell um Gold über 100 Meter treffen in Eugene Marcell Jacobs und Fred Kerley aufeinander. Sowohl der italienische Olympiasieger als auch der Favorit aus den USA ist nur Insidern ein Begriff. Vielleicht geht aber in Oregon ein neuer Stern auf – wie damals in Athen 2004, als Felix erstmals strahlte.

Felix ist ein vergoldeter Schlussakt ihrer glanzvollen Karriere verwehrt geblieben. Mit der 4 x 400-m-Mixed-Staffel der USA holte die Kalifornierin am Freitag in Eugene in 3:10,16 Minuten nur Bronze hinter der Dominikanischen Republik (3:09,82) und den Niederlanden (3:09,90).

"Es war etwas ganz Besonderes, in meinem letzten Rennen vor heimischem Publikum laufen zu können. Es war so cool. Meine Tochter war auf der Tribüne", sagte die Rekordathletin, die in ihrer Karriere 19 Medaillen bei Weltmeisterschaften und elf bei Olympischen Spielen gesammelt hat. (Jens Wohlgemuth, 16.7.2022)