Heinz-Christian Strache (links) und Siegfried Stieglitz (rechts) wurden erstinstanzlich freigesprochen

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Mucksmäuschenstill war es am Freitag im Großen Schwurgerichtssaal, als der Tag des Urteilsspruchs im Korruptionsprozess gegen Ex-Vizekanzler Heinz-Christian Strache und den Unternehmer Siegfried Stieglitz begann. Richterin Mona Zink erledigte noch einige Verlesungen, bevor der Staatsanwalt der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) und die beiden Verteidiger der Angeklagten ihre Schlussplädoyers hielten. Strache und Stieglitz hatten sich ja "nicht schuldig" bekannt, die Anwälte plädierten auf Freispruch.

Zweieinhalb Stunden später hatten sie den. Vor viel interessiertem Publikum verkündete die Richterin ihr Urteil – und sie sprach den Vizekanzler und seinen Freund Stieglitz frei. "Im Zweifel" freilich, wie sie in ihrer Urteilsverkündung erklärte und mehrmals betonte. Die WKStA gab keine Erklärung ab, weswegen die Freisprüche nicht rechtskräftig sind.

"Unschöne" Vorgänge

Zur Erinnerung: Strache war der Bestechlichkeit angeklagt, Stieglitz der Bestechung. Dem vormaligen freiheitlichen Vizekanzler wurde vorgeworfen, Stieglitz für Spenden an den FPÖ-nahen Verein Austria in Motion in der Höhe von 10.000 Euro ein Mandat als Aufsichtsratsmitglied in der staatlichen Autobahngesellschaft Asfinag verschafft zu haben. Zudem ging es um eine Einladung zu einem Geburtstagsfest von Stieglitz nach Dubai und ins Eventrestaurant Palazzo – die er nicht angenommen hat. Für das Delikt der Bestechlichkeit reicht es aber auch, dass sich Amtsträger Vorteile versprechen lassen. Und Strache hatte nach der Einladung nicht gleich abgesagt, sondern ließ einige Zeit vergehen, bevor er dann absagte.

Die Richterin erklärte ihre Entscheidung damit, dass es für eine Verurteilung volle Gewissheit über Täterschaft und Schuld geben müsse. Das sei in dieser Angelegenheit aber nicht der Fall, zu dieser Erkenntnis sei sie im Rahmen ihrer Beweiswürdigung gekommen. Daher habe sie unter Anwendung des Zweifelsgrundsatzes die Freisprüche gefällt.

Breiten Raum hatten im Prozess die vielen Nachrichten von Stieglitz an Strache und andere eingenommen, in denen der Unternehmer seinem Wunsch nach einem Aufsichtsratsmandat in der Asfinag (und später in der ÖBB-Holding) Ausdruck verlieh. Ja, Stieglitz habe "unschön" interveniert, stellte die Richterin fest, sei da sehr motiviert gewesen und habe "viel Werbung für seine Person" gemacht.

Allerdings habe Strache von den Spenden, die Stieglitz in fünf Tranchen an den Verein hat überweisen lassen, gar nicht gewusst. Auch zu diesem Schluss kam die Richterin "im Zweifel", und auch das sei im Verfahren nicht bewiesen worden. Auch ein Konnex zwischen Spende und Bestellung von Stieglitz ins Kontrollgremium der Asfinag ist laut der Richterin nicht herstellbar. Keiner der Zeugen, die damals involviert waren, hätte dazu etwas wahrgenommen.

Dank der Auswertung von Straches Handy lagen dem Gericht viele, viele Chats vor, und sie wurden in der Verhandlung immer wieder thematisiert, Zeugen und den Angeklagten vorgehalten. Immer wieder ging es da um die Bemühungen von Stieglitz und die verbalen Reaktionen seiner Chatpartner, aber: "Kurznachrichten werden schnell geschrieben", stellte die Richterin dazu fest, und auch sie hätten ihre Zweifel nicht beseitigt. So hat Stieglitz einmal geschrieben: "Ich bin dabei" – womit er Austria in Motion meinte und seine Spende. Auch diese Nachricht belege nicht, dass er mit seiner Spende ein Amtsgeschäft bezweckt habe. Es sei schon viel hin- und hergeschrieben worden, räumte sie aber ein.

Genau an diesem Punkt tat sich ein großer Widerspruch zwischen Staatsanwaltschaft und Gericht auf. Denn die WKStA bezog sich in ihrem Schlussplädoyer auf die dichte Beweislage, die sich durch die Chats ergeben habe. "Chats don’t lie" – Chats lügen nicht –, fasste es der Oberstaatsanwalt der Behörde pointiert zusammen.

"Steh wieder auf, ich hab dich lieb"

Warum das alles so gelaufen ist: Verteidigung und Angeklagte haben immer argumentiert, dass Strache und Stieglitz Freunde seien, und damit auch die diversen Einladungen des Unternehmers an Strache begründet.

Der zentrale Satz aus einer Nachricht von Stieglitz an Strache nach Erscheinen des Ibiza-Videos und dessen politischem Absturz: "Steh wieder auf, ich hab dich lieb." Diese Nachricht spreche für sich, kommentierte Straches Anwalt Johann Pauer im Plädoyer.

Die WKStA ortet dagegen eine "Zweckgemeinschaft" der beiden. Die Einladungen hätten nur der Vernetzung von Stieglitz gedient und seien aus Eigeninteresse erfolgt.

Und die Richterin? Sie sprach sich, auch da im Zweifel, für die Variante mit der Freundschaft aus. Beide Angeklagte hätten das glaubhaft machen können, und auch Zeugen hätten es so beschrieben. Dass Stieglitz seine Dubai-Einladung für Strache nach dessen Rücktritt erneuerte – mit dem Satz "Compliance Over!" –, spreche für das Motiv Freundschaft.

Um 13 Uhr verließen Strache und Stieglitz das Straflandesgericht Wien – der eine bedankte sich "emotionalisiert" für die "Gerechtigkeit, die ihm hier widerfahren ist" (Stieglitz), der andere zeigte sich "dankbar und erleichtert", dass die falschen Vorwürfe entkräftet werden konnten. (Renate Graber, Fabian Schmid, 29.7.2022)