"In Hell with Jesus" ist eine Satire auf die christliche Sexualmoral, Wladimir Putins Russland kommt aber auch nicht gut weg.

Krasimir Stoichkov

Eigentlich ist der Mann erschöpft. Aber das Casting muss weitergehen, denn Ivo Dimchev sucht die passenden Talente für sein Musical In Hell with Jesus. Das ist auch schon der Inhalt seiner gleichnamigen Performance, die Dimchev gerade als Uraufführung bei Impulstanz im Akademietheater zeigt. Ein Stück, in dem sich der für seinen expliziten Stil bekannte Choreograf, Sänger und bildende Künstler von seiner zweitbesten Seite zeigt.

Sein wahres Genie breitete der 1976 in Sofia geborene Bulgare zum Beispiel vor acht Jahren in dem Stück Fest aus, die wohl härteste Satire über diverse Eskapaden des Kunstbetriebs im 21. Jahrhundert. Oder bei dem Solo Lili Handel, mit dem er sich 2007 dem Impulstanz-Publikum erstmals schmackhaft machte. Und herrlich in X-On, das 2011 als Zusammenarbeit mit Franz West entstand, der ein großer Dimchev-Fan war.

Christliche Sexualmoral

In Hell with Jesus ist ebenfalls eine Satire. Es scheint so, als wäre das Stück als ironischer Kommentar zu Musical (Jesus Christ Superstar ist im Vorjahr 50 Jahre alt geworden) und Casting gemeint. Aber eigentlich geht es um die christliche Sexualmoral, dieses diabolische Erbe, auf dessen Basis unter anderem Homosexualität verdammt wird und freier Sex ganz generell des Teufels war.

Punktuell macht sich Dimchev über die Delirien lustig, die Russlands geistiges Klima seit Jahren kollabieren lassen. Nicht nur, weil im Stück sein Lied Vodka gesungen wird, das auf Youtube immerhin über eine Million Klicks hat. Sondern vor allem mit der Frage: "Sex mit Putin oder dem Dalai Lama?" Bei der darauffolgenden Tyrannenmord-Fantasie wird’s kurz ernst auf der Bühne.

Jesus hat ja, wie neugebildete russische Nationalisten wissen, eigentlich eine ganz andere Geschichte als die bisher bekannte. Wladimir Putins Lieblings-"Historiker" Anatolij Fomenko (ein in Donezk geborener Mathematiker) behauptet, dass Jesus identisch mit Papst Gregor VII. sei und in Wahrheit 1053 auf der Krim geboren worden sei. Vielleicht auch mit Blick auf dieses Fälschungsinferno intoniert Ivo Dimchev lästerlich: "I think you better know that I’m a Christian whore / If you hit my hole, I give you the other hole. / What would Jesus do?"

Jesus wird abgewiesen

Ein Jesus taucht übrigens ebenfalls auf. Er möchte sich casten lassen, aber Dimchev weist ihn ab. Mehr Chancen haben Maria, die 535. Anwärterin für die Rolle der Musical-Protagonistin, oder andere Hoffnungsvolle wie Lora, Steven und Teodor. Dimchev lässt sie singen und tanzen und stellt ihnen peinliche Fragen, die meist auch er beantworten muss. Da behält sich der Meister etwas zu oft die originellsten Antworten vor.

Bloß fühlt sich der halt, wie gesagt, einigermaßen geschlaucht. Nach zwei Dritteln der Show sind Witz und Provokation abgenutzt, ist es doch zu lang um das Thema Nummer eins gegangen. Der Rest kommt einem Kreuzweg nahe. (Helmut Ploebst, 2.8.2022)