Die Nornen erscheinen in einer seltenen märchenhaften Traumszene.

Enrico Nawrath

Jetzt weiß man also, was über seine Arbeit gedacht wird. Der junge Regisseur Valentin Schwarz kann nun für sich in Anspruch nehmen, das Publikum ordentlich gegen sich aufgebracht zu haben. Tobte zuvor, bei den anderen Teilen des "Rings", ein exaltierter Kampf zwischen Zustimmung und Abneigung, so überwog doch zuletzt die Abneigung, die sich in einem langen kollektiven unfreundlichen Ton ausdrückte.

Ungerecht, aber doch auch ein gutes Zeichen. Es weist darauf hin, dass hier einer nicht mutlos und fantasielos das Epos runterbuchstabiert hat. Schwarz hat anhand einer Familiengeschichte die Folgen eines Urkampfes um Macht und Reichtum mittels Menschen- und Naturmissbrauch erzählt, der sich als Trauma durch die Generationen zieht, gleichsam metastasiert und die Nachkommenschaft zu Wiederholungstätern verbiegt, welche die Fehler und Grausamkeiten der Väter reproduzieren.

Der Held gelangweilt

In der "Götterdämmerung" kommen die Ideen allerdings eher blass daher. Im letzten Teil der Tetralogie sieht man zunächst Brünnhilde und Siegfried als Eltern, dort, wo einst Sieglinde und Siegmund ihre Kindheit verbrachten. Der "Held" ist ein bisschen gelangweilt, es zieht ihn fort, die Ehe ist von seiner Seite aus wohl am Ende.

Brünnhilde ist nicht amüsiert, das Kind bietet ihr Halt, es ist aber auch schon nicht mehr so unbeschwert. Im Schlaf erscheinen dem Kleinen die Nornen, um das Kind zu holen. Auch spukt Alberich umher, dessen geschmückter Kopf glitzert wie eine Discokugel. Siegfried ist die Familie egal, er will weg. Butler Grane packt die Koffer und geht mit auf eine letzte Reise – wieder ins noble Ambiente, in ein Penthouse, wo der junge Hagen nun eine ergraute Eminenz ist (profund Albert Dohmen).

Amouröser Nahkampf

Gutrune ist eine Koksparty-Lady (respektabel Elisabeth Teige). Sie gibt sich Siegfried hin, der Brünnhilde leicht vergisst und gleich in den amourösen Nahkampf geht. Michael Kupfer-Radecky (vokal stark) gibt Gunther als trinkfreudigen pseudokünstlerischen Exzentriker, als empathielosen Hedonisten.

Derweil hat Brünnhilde das Kind vor der wirren Schwester Waltraute (ausgezeichnet Christa Mayer) gerettet. Vor Gunther kann sie den Kleinen nicht schützen. Der übergriffige Typ fesselt das Kind, zwingt Brünnhilde zu gehorchen. Iréne Theorin singt zwar intensiv. Aber das Dauervibrato erschlägt viel Ausdruck, und manche Töne loten den Grenzbereich zwischen singen und schreien aus.

Von da an wird es regiemäßig allerdings leider konventionell und skurril. Hagen schwitzt boxend am Sandsack, während ihn Ziehvater Alberich (Olafur Sigurdarson) besucht. Diese Situation wird der Düsternis der Szene nicht gerecht. Reizvoll wiederum, dass Hagens Männer ein mönchischer Geheimbund sind, das macht optisch was her.

Steh- und Schreit-Theater

Die öffentliche Konfrontation von Brünnhilde mit der Schmach, von Siegfried ausgetauscht worden zu sein, bleibt jedoch routiniertes Steh- und Schreit-Theater. Und auch der Schluss, der zum Anfang, also zum Pool, zurückkehrt, ist eigentlich jene Enttäuschung, die das ganze reizvolle und oft glänzend umgesetzte Ideenkonzept belastet und entzaubert.

Die Natur ist verödet, bis tot. Siegfried und sein Kind fischen in einem Loch des leeren Pools, als wäre es ein Teich. Er säuft, alles geht zugrunde, Gunther hat Grane geköpft. Brünnhilde nimmt den Kopf aus einem Plastiksack und legt sich auf den Poolboden neben Siegfried, das Kind fällt auch um. Na ja.

In inniger Umarmung

Da hilft auch der friedliche Akt im Mutterleib nicht mehr, der filmisch gezeigt wird. Wie zu Beginn sieht man an der Poolwand zwei Föten. Sie haben einander am Anfang bekämpft. Nun schlafen sie selig lächelnd in inniger Umarmung und künden vielleicht friedlich Zeiten an. Die friedvolle Botschaft hat allerdings nicht zu friedlichen Reaktionen geführt. Tatsächlich bleiben Fragen offen, Schwarz‘ "Ring"-Serie hat insgesamt reizvolle Fragen gestellt und tolle szenische Antworten gegeben.

Am Ende hat die Serie aber etwas enttäuscht. In Bayreuth hat es allerdings Tradition, dass das Ausgebuhte später in den Rang einer Kultinszenierung gehoben wird, bei der man dabei gewesen sein muss. Man denke nur an den irrwitzigen "Lohengrin" von Hans Neuenfels, jenen mit den menschengroßen Ratten.

Nicht alles logisch

Natürlich, um alles verstehen zu wollen, hätte es wohl eines fünften Teils bedurft. Das allerdings wäre doch ein zu großer Eingriff in die Tetralogie des Bayreuther Meisters gewesen, bei dem natürlich auch nicht alles bis ins kleinste "Ring"-Detail logisch ist. Aber man kann ja in der Werkstatt nacharbeiten.

Ach ja. Auch Dirigent Cornelius Meister, drei Abende lang bejubelt, bekam einige Buhs ab. Es hatte orchestral zwar zart und innig begonnen. Aber etwa Siegfrieds Trauermarsch war dann doch etwas flach und dann in der Nuance wackelig.

Uneingeschränkt gedankt wurde an diesem Abend hingegen dem wackeren Clay Hilley als Siegfried. Er war jener, der den erkrankten Stephen Gould ersetzte, da auch Goulds Ersatz krank wurde. Hilley blieb nicht viel Zeit. Er urlaubte gerade in Bari und flog einen Tag vor der Premiere nach Bayreuth. Das zeigt: Man sollte vielleicht auch froh sein, dass der erste "Ring" der Corona-Ära überhaupt als Ganzheit stattfand. (Ljubisa Tosic, 6.8.2022)