Wie viele Kinder vom schulischen Unterricht wegen einer Autismus-Spektrum-Störung abgemeldet werden, erhebt das Bildungsministerium nicht. Der Vater von Elsa kennt viele Fälle, sagt er.

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Je näher der Schulbeginn rückt, desto nervöser werden die Eltern von Elsa: Ab September soll die Zehnjährige die Volksschule in Wiener Neustadt besuchen. Eigentlich eine ganz normale Schule. Doch genau das stellt für Elsa ein großes Problem dar: "Große Menschengruppen überfordern sie", sagt ihr Vater Conrad Heßler. In einer Klasse mit 15 Mitschülerinnen sei sie mit zu vielen Eindrücken konfrontiert. Dem Unterricht könne sie dabei unmöglich folgen.

Schulischer Spießrutenlauf

Heßler spricht aus Erfahrung: Volksschule, Montessori-Schule, häuslicher Unterricht – überall, wo Elsa zur Schule ging, blieb sie nicht lange. Bei der Einschulung 2018 streikte ihr Körper noch mit Bauchschmerzen psychosomatischer Natur, mittlerweile weiß die Zehnjährige selbst, wann es ihr zu viel wird, erzählt ihr Vater. Der Grund dafür findet sich in ihrer Diagnose: Asperger-Autismus. Da habe es geheißen, dass Elsa ein Setting mit maximal fünf Kindern und geschultem Personal brauche. "Aber das gibt es in Niederösterreich nicht."

Auch werde Elsa jene Schule verwehrt, die diesem Setting laut den Eltern am nächsten käme: die Waldschule in Wiener Neustadt, wo auch ihre Schwester zur Schule geht. Weil Elsa aber im Gegensatz zu ihr keine körperliche Behinderung hat, hat sie keine Berechtigung, die Schule zu besuchen. Bleibt ihr Recht auf Bildung auf der Strecke?

Kein spezielles Angebot

Die Bildungsdirektion Niederösterreich stellt das in Abrede. Auf STANDARD-Nachfrage heißt es, dass man die Richtlinien für die Waldschule – eine Landessonderschule – nicht erlassen habe. Das Setting und die pädagogischen Konzepte seien auf Kinder mit körperlicher Behinderung ausgerichtet. Die Frage, warum es kein Angebot für Kinder wie Elsa gibt, blieb unbeantwortet. Mit dem für den Herbst vorgesehenen Schulplatz sieht die Direktion ihre Aufgabe erfüllt: In der Schule sei sichergestellt, dass Elsa eine Assistenzkraft sowie Rückzugsmöglichkeiten erhalte. Die Direktion habe "alles unternommen, was in ihrer Kompetenz liegt". Die jetzige Lösung sei gemeinsam gefunden worden.

Gehört fühlt sich die Familie dennoch nicht: Auch letztes Jahr habe Elsa eine Stützkraft gehabt, auch dort sei sie aber von der Vielzahl an Schulkindern überwältigt gewesen. Und: Der Mutter, die sich extra karenzieren ließ, wurde der Zutritt zur Schule verwehrt, obwohl Elsa diese Begleitung zur Klasse gerade am Anfang gebraucht hätte. "Um sich auf eine neue Situation einzustellen, braucht sie Monate. Oft wird erwartet, dass alles in zwei Wochen erledigt ist." Ihnen wurde stattdessen nahegelegt, eine Therapie zu starten. "Immer wieder heißt es, dass wir konsequenter sein müssten." Aber die psychische Gesundheit von Elsa steht für die Familie an erster Stelle, sagt der Vater.

Bildungsministerium ohne Zahlen

Dass Elsas Schicksal kein Einzelfall ist, darauf machen die Autistenhilfe und die Grünen in Niederösterreich aufmerksam. Genaue Zahlen gibt es dazu nicht. Der Vater ist selbst mit weiteren Familien vernetzt. Manche von ihnen hätten es bei ihren Kindern mit Druck versucht – jetzt müssten diese erst recht zu Hause unterrichtet werden. Für das Schuljahr 2022/2023 wurden 4.600 Kinder vom Schulunterricht abgemeldet. Wie viele darunter eine Autismus-Spektrum-Störung haben, kann das Bildungsministerium mangels Erhebung nicht sagen.

Für die Familie ist die Situation jedenfalls eine Härteprobe: "Es belastet nicht nur uns Eltern, sondern auch die drei Geschwister, sagt Heßler, der auch bereits bei der Volksanwaltschaft war. Mit einem zugesicherten Schulplatz für Elsa sieht diese dem Gesetz, wonach jedes Kind das Recht auf einen Schulplatz hat, Genüge getan. Ob ein Schulplatz allerdings geeignet ist, entscheidet die Bildungsbehörde. "Es lässt sich nur anfechten, wenn wir den Beweis erbringen, dass der Schulplatz eben nicht geeignet ist." Was das bedeutet: Auch dieser Schulversuch von Elsa müsste erst wieder scheitern. (Elisa Tomaselli, 10.8.2022)