OP-Maske wie auf dem Foto wird nicht genügen, wenn Lehrkräfte oder auch sonstige Arbeitskräfte covid-infiziert arbeiten wollen. Da ist eine FFP2-Maske vorgeschrieben.

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Noch drei Wochen im Osten Österreichs, noch vier in den sechs anderen Bundesländern, dann sind die Sommerferien vorbei. Das nächste Schuljahr dräut und das Coronavirus wird auf jeden Fall auch diesmal wieder miteingeschult – und mit ihm ein paar komplexe Fragen. Zum Beispiel jene, wie man damit umgehen soll, dass laut Vorgaben des Gesundheitsministeriums Corona-infizierte Lehrkräfte, die keine Symptome haben – so wie Menschen in anderen Berufsfeldern auch –, mit FFP2-Maske grundsätzlich arbeiten dürfen.

Infizierte Lehrkräfte in der Klasse? Die Meinungen dazu gehen – auch (standes-)politisch – weit auseinander. Bildungsminister Martin Polaschek (ÖVP) bekräftigte jüngst, dass diese Regelung auch für Lehrerinnen und Lehrer gelten solle, er will eine bundesweit einheitliche Vorgehensweise mittragen: "Wir schauen, dass wir zurück in eine Art Normalität kommen."

Das werden jedenfalls auch Tirol und Vorarlberg so halten. Die Bundesländer Wien und Burgenland hingegen – beide rot regiert – wollen nicht mitziehen. In den von ihnen verantworteten Pflichtschulen, für die die Bundesländer (anders als an den AHS und BMHS) Dienstgeber sind, soll keine Corona-positive Lehrkraft im Klassenzimmer stehen. Auch das dritte SP-geführte Bundesland, Kärnten, äußerte sich skeptisch zur Bundeslösung. Mit Salzburg schließlich tendiert auch ein von ÖVP, Grünen und Neos regiertes Land zum Verzicht auf Covid-positive Lehrkräfte in der Schule.

Schlechte Luft und positive Lehrer

Das ist auch die Position von SPÖ-Bildungssprecherin Petra Tanzler. Sie kritisierte in der Samstagausgabe der Tageszeitung "Österreich": "Statt schützende Luftfilteranlagen gibt es positive Lehrer im Klassenzimmer." Laut einer parlamentarischen Anfrage der SPÖ an den Bildungsminister wurde für das kommende Schuljahr kein einziges zusätzliches Luftreinigungsgerät abgerufen. 2021/22 waren es demnach insgesamt 1.729 Geräte.

Bis Kalenderwoche 38 hatten damals, wie DER STANDARD berichtete, 1.514 AHS und BMHS so ein Gerät geordert. Im Herbst 2021 reservierte das Bildungsministerium 4.135 Millionen Euro für mobile Luftreinigungsgeräte für Klassen oder Räume, "in denen Lüften über Fenster nicht oder nur schwer möglich ist". Abgerufen wurde nur ein Viertel. Ausgegangen war man von einem theoretischen Bedarf an 2.300 Geräten.

Also infiziert unterrichten? Auf keinen Fall, meinen die Unabhängigen LehrergewerkschafterInnen (ÖLI-UG). Sie wollen weiter eigene Spielregeln für die Schulen – so wie bisher im Laufe der Pandemie – und forderten in einem offenen Brief an den Bildungsminister unter Verweis auf die gesetzliche Fürsorgepflicht des Arbeitgebers Distance Learning für corona-positive Lehrkräfte sowie Schülerinnen und Schüler ohne Symptome.

Kein Heimunterrichts-Service

Das aber wird es sicher nicht mehr geben. "Nein", lautete die Auskunft aus dem Ministerbüro auf eine STANDARD-Anfrage, ob es im kommenden Schuljahr Unterlagen oder hybriden Unterricht für infizierte Kinder daheim geben werde.

Pflichtschullehrergewerkschaftschef Paul Kimberger.
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Der Vorsitzende der Pflichtschullehrergewerkschaft Paul Kimberger (FCG) berichtet im STANDARD-Gespräch von "Verunsicherung" in Lehrerkreisen, wo man sich frage: "Wird das nächste Schuljahr wieder so anstrengend? Corona. Ukraine. Dramatischer Lehrermangel", nennt er die größten Schmerzpunkte. Zur Beantwortung der Frage, wie man mit Covid-positiven Lehrkräften in den Schulen in der Praxis umgehen solle, "fehlt mir die Phantasie. Ich kann mir wirklich schwer vorstellen, dass infizierte, symptomlose Lehrerinnen und Lehrer unterrichten. Aber auch dass infizierte Kinder mit anderen Kindern in der Klasse sitzen und den ganzen Tag die FFP2-Maske aufbehalten sollen. Das ist komplett unrealistisch", kritisiert Kimberger und meint weiter: "Würden Sie das als Elternteil für Ihr Kind wollen?"

Schülerinnen und Schüler dürfen nach dem Entfall der Quarantäne per 1. August ebenfalls mit Maske die Schule besuchen – ausgenommen ist nur die Volksschule, weil angenommen wird, dass jüngere Kinder nicht über längere Zeit die Maske korrekt tragen können.

Lehrergewerschafter fordert Sicherheitsphase

Der Lehrergewerkschafter fordert: "Wir brauchen für die Schulen medizinisch nachvollziehbare und in der Praxis umsetzbare Regeln – und vor allem österreichweit einheitliche, sonst haben wir wieder ein Regel-Chaos." Das Ausscheren Wiens, des Burgenlands und Salzburgs aus der Bundeslinie, also keine Covid-positiven Lehrkräfte in die Pflichtschulen zu schicken, kann Kimberger "nachvollziehen".

Grundsätzlich aber spricht er sich vor allem für eine "Sicherheitsphase" am Beginn des neuen Schuljahrs aus, "damit wir im Herbst keine böse Überraschung erleben". So wie im Vorjahr sollten alle Kinder und Lehrkräfte zwei Wochen lang testen, um potenzielle Urlaubsfolgen in den Klassen möglichst zu vermeiden. "Und dann entscheiden wir, wie es weitergeht und ob weitere Maßnahmen nötig sind."

Der Pflichtschullehrergewerkschaftschef fordert also "medizinisch nachvollziehbare Regeln" in den Schulen. Nachfrage beim Direktor der Universitätsklinik für Pädiatrie I der Medizinischen Universität Innsbruck, Thomas Müller. Was sagt er zur Debatte um infizierte, symptomlose Lehrkräfte? Er differenziert im STANDARD-Gespräch zwischen der rein medizinischen oder virologischen Sichtweise und anderen Aspekten, die nicht nur er als Kinderarzt immer mitdenken müsse, sondern die eigentlich auch in der gesamten Pandemiepolitik beachtet werden sollten.

Thomas Müller, Direktor der Universitätsklinik für Pädiatrie I der Med-Uni Innsbruck.
Foto: MUI / Florian Lechner

Kinderarzt plädiert für Risiko-Nutzen-Abwägung

"Rein vom Infektionsschutz her muss man ganz klar sagen, dass Personen, die positiv getestet sind, von öffentlichen Einrichtungen, also auch Schulen, besser wegbleiben. Aber als Ärzte – oft anders als etwa Virologen – müssen wir schon auch eine Risiko-Nutzen-Abwägung machen und die Plausibilität von Maßnahmen bedenken."

Da kommen dann gleich mehrere "Aber", in deren Zusammenhang Müller die Debatte über die Lehrerinnen und Lehrer in der Post-Quarantäne-Zeit wechselweise als "realitätsfremd", "scheinheilig" oder "pharisäerhaft" empfindet.

Zum einen bezweifelt er überhaupt, dass im Herbst viele infizierte, symptomlose Lehrkräfte sich mit Maske in die Klasse stellen werden, um zu arbeiten: "Diese Lehrer wären komplett stigmatisiert, weil alle wissen, der oder die mit der Maske hat Corona. Das schaue ich mir an, wie viele das machen. Dann fällt Mathematik halt mal eine Woche aus, weil die Lehrerin Corona hat. Das war ja auch in der Zeit vor der Pandemie Alltag. Aber die Schule geht für alle anderen weiter, und das ist wichtig."

Es testet sich kaum mehr jemand

Ein großes Problem in dem Zusammenhang sieht der Leiter der Innsbrucker Kinderklinik allerdings darin, dass zurzeit ohnehin kaum noch regelmäßig getestet wird: "Es lassen sich nur noch zwei Gruppen testen: Die mit minimalen Symptomen oder die sich nicht sicher sind, ob ein Infekt im Anflug ist, und jene, die die Oma besuchen oder andere Vulnerable treffen wollen, ohne diese einem Ansteckungsrisiko auszusetzen. Die Gruppe der asymptomatisch Getesteten ist also sehr klein." Viele wollten gar nicht mehr wissen, ob sie infiziert sind, selbst wenn sie leichte Symptome haben.

Weiters wundert sich der Kinderarzt über die einseitige Fokussierung auf den Platz hinter dem Lehrpult, weil von dort die vermeintlich größte Gefahr ausgehe: "Wenn es jetzt heißt, ein Lehrer hat ja viel mehr potenzielle ,Opfer’, die er anstecken kann, dann muss man sagen, dass mit der hochinfektiösen Omikron-BA.5-Variante die Wahrscheinlichkeit, dass sich ein Kind von einem der 24 anderen – wohlgemerkt ungetesteten – Kinder ohne Maske in der Klasse ansteckt, natürlich viel größer ist. Das Risiko kumuliert sich ja. Da können Sie die Münze werfen, wer wen angesteckt hat. Und dann einen Unterschied zu machen, ob mein Kind vom Lehrer, der zumindest eine Maske trägt, oder einem anderen Kind angesteckt wurde, ist ja wirklich absurd."

"Omikron kann ich mir überall holen"

Es sei "scheinheilig", in dieser Konstellation – Lehrkraft mit Maske, die sich damit als Corona-positiv outet, und lauter ungetestete Kinder – die "Ansteckungsschuld" per se dem Pädagogen oder der Pädagogin im Raum zuzuschieben und für eine mögliche Infektion verantwortlich zu machen: "Seien wir doch nicht so scheinheilig und suchen die Schuld dort, wo es opportun ist, sie zu finden, nämlich wieder einmal in der Schule", warnt Müller, das Geschehen "draußen" und die Verantwortung der Gesellschaft außerhalb der Schule für die Pandemie zu ignorieren: "Es gibt das Donauinselfest, es gibt das Oktoberfest, es gibt Massenveranstaltungen überall, fast niemand testet mehr und dann soll ausgerechnet die Schule oder der eine Lehrer in der Klasse die große Gefahrenquelle sein? Spätestens seit Omikron ist das Infektionsrisiko, das von den Schulen ausgeht, ähnlich wie in anderen Bereichen. Omikron kann ich mir überall holen."

Darum sei es auch unverständlich, wenn einige Eltern sagten, die Schule sei zu riskant für ihr Kind, "wenn es aber zu jeder Geburtstagsparty und jedem Fußballspiel geht und sich daheim niemand testet. Dann soll die Schule das Problem sein? Da wird’s schon sehr pharisäerhaft", meint der Kinderklinikchef.

Überall Halligalli und in der Schule streng? Geht nicht

Müllers Schlussfolgerung aus dieser aktuellen Versuchsanordnung: "Als Kinderarzt muss ich auch die Kinder schützen und sagen: Wer sie jetzt zum Beispiel wieder zum Maske-Tragen verpflichten möchte, und sonst ist überall Halligalli... das geht nicht mehr. Eltern können sich auch anstecken. Wir können in der Schule nicht komplett strengere Maßnahmen als draußen verordnen. Das versteht niemand und das hält die Gesellschaft nicht aus – und es ist auch infektiologisch derzeit nicht notwendig."

Er plädiert dafür, den Stufenplan zum Pandemiemanagement, den sogenannten Variantenmangementplan, einzuhalten und "je nach Infektionslage angemessene Maßnahmen in allen Bereichen zu ergreifen. Wir brauchen eine gewisse Ehrlichkeit und Realitätssinn, sonst wird das Leben in der Pandemie ein reines Politikum und dann machen die Menschen auch nicht mehr mit." (Lisa Nimmervoll, 13.8.2022)