Nur in der idyllischen Marschlandschaft fühlt sie sich zu Hause: Daisy Edgar-Jones als Außenseiterin Kya, die in "Der Gesang der Flusskrebse" eines Mordes bezichtigt wird.

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Die Marsch von North Carolina im Südosten der USA ist ein Schwemmland, in dem Flüsse und Waldgebiete eine Art Symbiose eingehen. Ein Sumpf sei dies nicht, heißt es gleich zu Beginn des Films von Olivia Newman; auch den Satz, dass die Menschen darauf vergessen, dass alle Muscheln einmal bewohnt waren, darf man gleich einmal als Hinweis verstehen: Hinter den Erscheinungen verstecken sich noch andere Wahrheiten. Man muss genau hinschauen, um sie erfassen zu können.

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Der Gesang der Flusskrebse (Where the Crawdads Sing) fasziniert sich jedoch nur vordergründig für solche Unentschiedenheiten. Die Adaption des immens erfolgreichen Bestsellers der Zoologin und Autorin Delia Owens ist eine Art filmisches Gumbo, zu gleichen Teilen romantische Liebesmelo mit Nicholas-Sparks-Touch, das Außenseiterdrama einer misshandelten Frau sowie ein Gerichtssaalthriller.

Harmonisierender Tonfall

Hollywood-Star Reese Witherspoon, ein großer Fan des Buches, hat die Produktion selbst gestemmt und darauf geachtet, dass die harscheren Elemente der biografischen Erzählung abgefedert sind. Taylor Swift hat eine gefühlige Folk-Ballade beigesteuert, offensichtlicher wird der harmonisierende Zugang jedoch in der Optik des Films, die viel Zeit darauf verwendet, die Wunder dieses Vogel- und Pflanzenparadieses in lichtdurchflutete Aufnahmen zu betten.

Ähnlich romantisierend gezeichnet ist die Heldin Kya (Daisy Edgar-Jones) selbst, die wie ein Eremit lebende junge Frau, die von den Bewohnern und Bewohnerinnen des nächsten Ortes nur "Marschmädchen" genannt wird und zu etlichen Projektionen verleitet: Der Wildfang, der nur einmal barfuß zur Schule ging, wird für verwirrt gehalten, manche bezeichnen Kya gar als Hexe. Als in der Marsch die Leiche eines jungen Mannes gefunden wird, ist es zur Vorverurteilung als Mörderin nur ein kleiner Schritt, hatten die beiden doch ein Verhältnis. David Strathairn (Nomadland) spielt den Anwalt, der sich gegen die Borniertheit des Ortes wendet und vor Gericht die wahre Identität von Kya hervorkehren will.

Supeheldin des Überlebens

Realistisch im engeren Sinn ist das Bild, das man von ihr dann in den Rückblenden gewinnt, jedoch auch nicht. Vielmehr verfestigt sich der Eindruck einer Superheldin, die alle Zurichtungen einer dysfunktionalen Kindheit so gut wie unbeschadet übersteht. Als sie noch ein kleines Mädchen ist, zerbricht ihre Familie, eine Zeit lang lebt sie mit ihrem übergriffigen Vater, schließlich bleibt sie völlig allein zurück.

Newman idealisiert ihre Protagonistin als edle Wilde und porträtiert sie zugleich als Selfmade-Botanikerin, deren Illustrationen schließlich sogar publiziert werden. Statt sich für die Widersprüche seiner Figur aufrichtig zu interessieren, greift Der Gesang der Flusskrebse auf Klischees einer heilsamen Natur zurück. Der Mangel an menschlicher Zuwendung wird mit einer guten Dosis Kitsch therapiert. (Dominik Kamalzadeh, 20.8.2022)