Im Moment sind fehlende Halbleiter eines der Hauptprobleme der internationalen Autoindustrie. Bald schon könnte sich aber ein pulverförmiges, weißes Metall als veritabler Bremsklotz für die Entwicklung nicht nur der Autobranche, sondern vieler Bereiche herausstellen: Lithium. Nach einer Studie des Beratungsunternehmens Boston Consulting steuert die Welt nach 2030 nämlich auf einen gravierenden Engpass bei Lithium zu.

Lithium wird in den allermeisten wiederaufladbaren Batterien verwendet. Auch in Batteriespeichern, die etwa zum Abpuffern der fluktuierenden Stromerzeugung aus Windkraft- und Solaranlagen in immer größerer Zahl benötigt werden, findet Lithium Eingang. Wenn nicht durch koordinierte Maßnahmen rechtzeitig gegengesteuert wird, könnte der drohende Versorgungsengpass den Übergang von fossilen Brennstoffen zu erneuerbaren Energien und damit den weltweiten Kampf gegen den Klimawandel erheblich behindern, heißt es in der Studie, die dem STANDARD vorliegt.

Sollen Elektroautos à la longue Diesel und Benziner ablösen, muss viel mehr Lithium aus dem Boden geholt oder recycelt werden. Alle gängigen Batterien benötigen das Leichtmetall.
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Die verbesserte Leistung und die gesunkenen Kosten von Lithium-Ionen-Batterien waren in den vergangenen zehn Jahren wichtige Triebfedern für die zunehmende Verbreitung von Elektroautos und Elektrolastwagen. Was die Kosten betrifft, haben sich die Lithium-Preise zu Corona-Zeiten schon verzehnfacht. Um die erwartete globale Nachfrage bis 2025 und möglicherweise auch noch bis 2030 zu decken, gebe es genügend Kapazitäten, zumal in nächster Zeit auch diverse Recyclingprojekte realisiert werden sollten. Danach aber sei mit einer chronischen Verknappung zu rechnen.

"Selbst wenn man davon ausgeht, dass alle neuen Lithium-Abbauprojekte, die die Branche derzeit als ‚wahrscheinlich‘ oder ‚möglich‘ einstuft, in Betrieb gehen und eine erhebliche Ausweitung der Recyclingprojekte erfolgt, wird das Lithiumangebot 2030 voraussichtlich um vier Prozent unter der prognostizierten Nachfrage liegen", heißt es in der Studie. Das wären an die 100.000 Tonnen Lithiumkarbonat, die dann fehlten. Bis 2035 drohe die Versorgungslücke auf 1,1 Millionen Tonnen zu wachsen – 24 Prozent weniger Lithium, als dann nachgefragt wird.

Umweltprobleme

Zwei Faktoren seien im Speziellen für das fehlende Angebot verantwortlich: Erstens bleibe die angebotene Lithium-Menge aus vorhandenen Lagerstätten deutlich unter der Nachfrage. Zweitens spiele eine Rolle, dass die Kapazitäten zur Weiterverarbeitung des Materials zu Chemikalien, die dann in den Batterien verwendet werden können, auf eine Handvoll Länder konzentriert sind, darunter Chile und China. Naturkatastrophen, geopolitische Ereignisse oder eine weitere Pandemie könnten damit relativ simpel die gesamte Batterielieferkette gefährden.

Eine dramatische Steigerung der Lithium-Produktion ist eine Herausforderung, zumal der konventionelle Lithium-Bergbau mit einer Reihe von Umweltrisiken einhergeht.
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Eine dramatische Steigerung der Lithium-Produktion sei eine Herausforderung, zumal der konventionelle Lithium-Bergbau mit einer Reihe von Umweltrisiken einhergehe. Dazu zähle etwa die Verunreinigung von Boden und Grundwasser. Die derzeit zur Lithium-Gewinnung eingesetzten Technologien und Verfahren erforderten große Mengen an Wasser. Bergbauprojekte in Ländern wie Portugal, Serbien und den USA seien deshalb aus Umweltschutzgründen abgelehnt worden.

Auch in Österreich gibt es Bestrebungen, das Leichtmetall aus dem Berg zu holen. European Lithium hat vor Jahren angekündigt, auf der Koralpe Lithium abbauen und verarbeiten zu wollen. Doch bisher kam es immer wieder zu Verzögerungen.

Zwar gebe es viele Einzelinitiativen, schreiben die Studienautoren, aber noch wenig Zusammenarbeit zwischen Staaten sowie einzelnen Playern. Eine Kooperation aller Akteure in der Wertschöpfungskette sei aber das Gebot der Stunde. Bergbauunternehmen, Betreiber von speziellen Raffinerien, in denen der Rohstoff zu Lithiumhydroxid umgewandelt wird, Batteriehersteller, Autoproduzenten und Financiers sollten mit Regierungen, Nichtregierungsorganisationen und anderen Interessengruppen zusammenarbeiten. Nur so könne der drohende Engpass vermieden werden. (Günther Strobl, 23.8.2022)