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Konfliktsituationen sind auch am Arbeitsplatz keine Seltenheit. Hier gilt besonders: nicht die Fassung verlieren.

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Erscheint ein Buch innerhalb weniger Jahre in der zehnten Auflage, dann muss dieses Buch etwas bieten, was im Berufs- und Geschäftsleben Tag für Tag gebraucht wird: in Face-to-Face-Gesprächen, in Meetings, in Videokonferenzen sich argumentativ nicht unter Wasser drücken zu lassen. Um kommunikativ in analogen oder digitalen Konfrontationssituationen nicht ins Schwimmen zu geraten, braucht es ein "Gewusst, wie". Mangelt es daran, fehlt die Grundlage, sich zu behaupten. Dieses "Gewusst, wie" vermittelt Dr. Albert Thiele, erfahrener Altmeister in dieser Disziplin, in seinem jetzt in aktualisierter und ergänzter Auflage erschienenen Bestseller Argumentieren unter Stress.

Das zu meisternde Problem heißt: sich von bewusst provozierend geführter Kommunikation nicht ins Bockshorn jagen lassen. Und diese kommunikative Spielart kommt außerordentlich variantenreich daher. Dazu gehört, sich nicht zur Sache zu äußern, sondern es darauf anzulegen, verbal Unterlegenheitsgefühle, Verunsicherung und emotionalen Druck zu erzeugen. Dem Ziel, zu verunsichern und zu zermürben, dienen auch inszenierte Emotionen. Lautstark und begleitet von Wutausbrüchen werden mit Killerphrasen Vorschläge einseitig kritisiert oder die Risiken, Nachteile und negativen Konsequenzen mangelnder Nachgiebigkeit dramatisiert.

Dem Gegenüber ständig ins Wort zu fallen, dessen Argumentation fortlaufend zu unterbrechen oder die vorgetragenen Überlegungen anzuzweifeln, ist eine weitere Taktik zermürbungsorientierter Gesprächsführung. Dazu gehört auch, durch Fangfragen die Nervenstärke des Gegenübers auszutesten und sie oder ihn damit in eine vermeintliche Beweisnot zu bringen. In der Gesprächskriegsführung gern genutzt werden auch nonverbale Überlegenheitsgebärden wie Verletzungen der Individualdistanz (anderen auf die "Pelle" rücken), dominante und drohende Gesten beim Sprechen und Zuhören, kurz: druckauslösendes Dominanzgebaren.

In der Verblüffungsfalle

Wo liegt der entscheidende Punkt der Selbstbehauptung in manipulativ angelegten Gesprächen? Thiele zufolge in der persönlichen Einstellung. Wer auf einen sachlich geführten Dialog eingestellt ist und auf eine Gesprächsführung trifft, die auf Verunsicherung oder gar Unterwerfung angelegt ist, sitzt schnell in der Verblüffungsfalle. Damit hatte man nicht gerechnet, man muss sich nun erst einmal in dieser Situation zurechtfinden. Das Gefühl, in der Falle zu sitzen, ruft unüberlegte "Befreiungsschläge" hervor. Aus einer gefühlten Hilflosigkeit heraus zu reagieren verführt dazu, mit den Gefühlen anstatt mit dem Kopf zu kontern. Das spielt der Gegenseite in die Karten, und das Unheil nimmt seinen Lauf.

Die Gefahr, plötzlich in der Verblüffungsfalle "aufzuwachen", steigt in dem Maße, in dem weitgehende Unkenntnis über das reichhaltige Arsenal manipulativer Kommunikation herrscht. Anders ausgedrückt, in dem jemand in kommunikativer Blauäugigkeit ge- und befangen ist. Diese Unbedarftheit löst eine psychomentale Blockade aus. Das ist höchst misslich, denn es gehört zwingend zur Selbstbehauptung in kritischen Kommunikationssituationen, sich auf der psychomentalen Ebene dem Negativsog kommunikativer Gemeinheiten entziehen zu können, um überlegt reaktionsfähig zu bleiben. Und vor allem argumentatives Wissen trägt zu dem dazu notwendigen Selbstvertrauen bei. Ist es fundiert, hilft es, auch in schwierigen Situationen gelassen zu bleiben. Ist es niedrig, stellen sich rasch Selbstzweifel und Verunsicherung ein. Der Mensch gerät in Stress und aus der Fassung.

Beides findet seinen Niederschlag im inneren Dialog in negativen Glaubenssätzen – "Ich fühle mich unterlegen", "Ich habe Angst zu versagen", "Polemischen Attacken gegenüber bin ich einfach hilflos". Der eigene Punch im kommunikativen Schlagabtausch verbietet es, angstbesetzten inneren Dialogen Raum zu geben. Entscheidend ist, den zu erwartenden verbalen Attacken das Bedrohliche und Bedrängende zu nehmen, den Angreifer emotional auf Distanz zu halten. Die Erfahrung zeigt, wer sich diese innere Haltung erarbeitet hat und den Instrumentenkasten der Argumentation unter Stress kennt und ihn zu handhaben weiß, kommt in bewusst provokativ angelegten kommunikativen Plänkeleien so leicht nicht mehr in Bedrängnis.

Virutell und analog

Thiele unterteilt sein Buch in drei Abschnitte: Grundlagen virtueller und analoger Stressargumentation, Strategien für virtuelle und analoge Stresssituation und einen Transfer- und Trainingsteil, in dem erläutert wird, wie relevante Lerninhalte im Alltag umgesetzt werden können. Im Detail finden die Leserinnen und Leser darin Hinweise zu: Best Practices für den verbalen Schlagabtausch; souverän agieren in analogen und virtuellen Formaten; Kernbotschaften auf den Punkt bringen; Toolbox gegen unfaire Angriffe und Fake News; verdeckte Machtspiele erkennen und neutralisieren; die besten Tipps gegen Zoom-Fatique; Konfliktpotenziale in Videomeetings entschärfen; argumentationsstark in allen Führungssituationen.

Und die hoch gelobte Schlagfertigkeit? Thiele zieht deren Nutzen in Zweifel. Einen Beitrag zum Sachziel des Diskurses bringt hart konternde Schlagfertigkeit aus seiner Erfahrung eher nicht. Einen Beitrag zur Verbesserung des Gesprächsklimas ebenso wenig. Er fragt: "Was bringt es Ihnen, wenn Sie jemanden zum Beispiel durch schlagfertige Attacken in einem Meeting sprachlos machen und demütigen? Der Augenblickserfolg mag sich zunächst anfühlen wie ein Triumph; er kann sich jedoch schnell als Pyrrhus-Sieg erweisen. Denn Sie haben sich einen Feind geschaffen, der die Faust in der Tasche ballt und auf Vergeltung sinnt." Sein Rat: "Wer klug ist, verzichtet darauf, den anderen klein zu machen und zu deklassieren." (Hartmut Volk, 2.9.2022)