Wenn ein staatliches Unternehmen plötzlich Milliarden vom Steuerzahler braucht, damit es nicht in die Pleite schlittert, dann riecht das nach einem riesigen Skandal. Bei der Wien Energie und ihrer Schieflage ist diese Frage allerdings noch offen.

Der Betrag von zwei bis sechs Milliarden Euro, der dem Energieversorger der Stadt Wien derzeit fehlt, soll nicht ein Loch in der Bilanz stopfen, sondern als Sicherstellung dienen, damit das Unternehmen weiter am internationalen Strommarkt handeln kann. Dort wurde die Wien Energie von der Strompreisexplosion der vergangenen Woche genauso überrascht wie alle Marktteilnehmerinnen, Politiker und Fachleute.

Die Krise der Wien Energie zeigt die Unberechenbarkeit der Energiemärkte auf.
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Allerdings waren die Wiener in diesem Markt viel stärker exponiert als andere und trugen daher ein größeres Risiko. Warum das so war, muss geklärt und von der Wien Energie und ihrer Eigentümerin, der Stadt Wien, erklärt werden. Womöglich verfolgte das Unternehmen eine an sich vernünftige Handelsstrategie, bei der es über Warentermingeschäfte langfristig Gas einkauft und Strom verkauft. Dass das Volumen das eigene Geschäft um ein Vielfaches überstieg, macht allerdings misstrauisch. Wurde hier tatsächlich auf fallende Preise spekuliert, was dann nicht eingetroffen ist, dann werden im Unternehmen Köpfe rollen müssen – und womöglich auch in der Wiener Politik.

Noch steht allerdings nicht fest, ob überhaupt ein finanzieller Schaden eintreten wird. Wenn sich der Strompreis in den kommenden Wochen wieder auf ein normales Niveau einpendelt, auch weil die EU-Kommission in den durch das teure Gas völlig verzerrten Markt eingreift, dann würde sich die finanzielle Position der Wien Energie deutlich verbessern. Auch dann gehören die jüngsten Vorgänge von Rechnungshof und Gemeinderat untersucht; Manager dürfen sich nicht auf unvertretbare Risiken einlassen.

Akutes systemisches Risiko

All diese Fragen sollten aber die aktuellen politischen Entscheidungen von Stadt und Bund nicht beeinflussen. Der Wien Energie muss jetzt geholfen werden, egal wer Fehler gemacht und Schuld auf sich geladen hat. Es ist eine Situation wie nach dem Lehman-Kollaps im September 2008, als die Banken gerettet wurden, koste es, was es wolle. Zwar würde auch bei einer Wien-Energie-Pleite in keiner Wohnung das Licht ausgehen, aber die Verwerfungen auf dem Strommarkt wären dramatisch.

Hier liegt ein akutes systemisches Risiko vor, das nur der Staat schultern kann. Das gilt für die gesamte Strombranche, die – wie schon in anderen EU-Ländern – dringend einen staatlichen Schutzschirm benötigt. Die laufenden Verhandlungen mit Verdächtigungen und Schuldzuweisungen zu begleiten, wie es etwa Finanzminister Magnus Brunner tut, mag zwar politisch opportun sein, ist aber dennoch ärgerlich.

Die Krise der Wien Energie zeigt die Unberechenbarkeit der Energiemärkte auf. Die Preise können wegen des Krieges weiter steigen. Aber genauso gut könnte der Gaspreis im nächsten Frühjahr abstürzen, wenn sich etwa zeigt, dass die Speicher gut gefüllt sind und eine schwächelnde Wirtschaft die Nachfrage dämpft. Dann wäre auch Strom wieder viel billiger als heute. Die Debatte über Übergewinne würde verstummen, und Inflation wäre nicht mehr das zentrale Thema, das alle beschäftigt. Die wirtschaftliche und politische Schlussrechnung dieser Krise steht noch aus. (Eric Frey, 30.8.2022)