"Krieg kennt keine Wahrheit", ließ uns die FPÖ diesen Sommer per ganzseitigen Inseraten wissen. Kaum ein anderer hat diesen Spruch so verinnerlicht wie ihr Obmann Herbert Kickl. Im Dezember des Vorjahres erklärte er, dass die FPÖ ihren Freundschaftsvertrag mit Wladimir Putins Partei Einiges Russland nicht verlängern werde. Kurz nach Putins Überfall auf die Ukraine behauptete Kickl sogar, der Vertrag sei schon aufgelöst. Eine von zahlreichen Medien übernommene Geschichte, bei der es sich aber tatsächlich um eine weitere Allegorisierung des Sprichworts "Lügen haben kurze Beine" handelt. Denn nachdem die FPÖ 2021 keine Kündigung vornahm, hat sich der Vertrag automatisch bis 2026 verlängert.

FPÖ-Obmann Herbert Kickl die fordert Aufhebung aller Strafmaßnahmen gegen Putin.
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Mangelnde Vertragstreue kann man dem FPÖ-Chef seither ebenso wenig vorwerfen wie Inkonsequenz bei seinem Umgang mit Fakten. Die in diesen beiden inhaltlichen Leitlinien zum Ausdruck gebrachte Äquidistanz zu Anstand und Wahrheit manifestiert sich nun auch in Kickls Aussage, die Sanktionen gegen Russland "schaden nur uns selbst", weshalb er mit seiner Forderung nach Aufhebung aller Strafmaßnahmen gegen Putin eine "Stimme der ökonomischen Vernunft" sei. Angesichts der realen Auswirkungen der Sanktionen auf die russische Wirtschaft wirkt diese Einschätzung wie Kreml-Propaganda auf Unter-Karin-Kneissl-Niveau.

Was die "ökonomische Vernunft" betrifft, könnte Kickl es aber vielleicht anders gemeint haben. Darauf lässt zumindest ein vom Londoner Dossier Center in Zusammenarbeit mit mehreren europäischen Zeitungen geleaktes Dokument aus dem Medienkonzern des Putin-treuen Oligarchen Konstantin Malofejew schließen. Datiert mit 15. Februar 2016, berichtet darin Malofejews Mitarbeiterin Jekaterina Minachina von einem 20.000-Dollar-Angebot an den FPÖ-Abgeordneten Johannes Hübner. Dieser möge dafür vor den "irreparablen Schäden für die österreichische Wirtschaft durch antirussische Sanktionen" warnen und eine "Resolution zur Aufhebung antirussischer Sanktionen im österreichischen Parlament einbringen", bei deren Erfolg noch einmal 15.000 Dollar gezahlt würden.

Tatsächlich brachte Hübner, der zuvor schon mit Johann Gudenus bei einer Audienz den von Putin geförderten Massenmörder Ramsan Kadyrow hofiert hatte, im Juni 2016 einen Entschließungsantrag mit dem Titel "Aufhebung der Sanktionen gegen Russland" im Parlament ein. Dieser wurde zwar nicht angenommen, aber hat es vielleicht geschafft, ein oft gehörtes Vorurteil zu widerlegen, wonach Entschließungsanträge der FPÖ grundsätzlich vollkommen wertlos seien.

Nein, 20.000 Dollar stellen unzweifelhaft einen Wert dar. In der jetzigen Situation könnten derartige Prämien sogar zu einem kontinuierlichen Einkommen werden, denn die Gefahr, dass ein FPÖ-Antrag irgendwann angenommen wird, tendiert gegen null. Kickls Kampf gegen die Sanktionen ließe sich so gesehen wirklich mit "ökonomischer Vernunft" begründen. Und könnte für alle anderen auch als eine Art kleiner Trost interpretiert werden: Solange wir weiterhin für die Folgen von Putins Überfall auf die Ukraine zahlen müssen, soll dieser wenigstens für blaue Anträge zur Aufhebung der Sanktionen eine Gebühr entrichten. (Florian Scheuba, 1.9.2022)