Ashley und Sandro sind seit ein paar Monaten mit an Bord, stecken ehrenamtlich die Hände in die Erde, unter ihren Fittichen Paprika, Zucchini, Melanzani, Mangold sowie diverse Kohl- und Salatsorten, darunter auch seltene Blätter wie Palmkohl oder Forellenschuss. Im Sommer ist auch Philip Himmelreich dazugestoßen. "Ich kümmere mich ums Feld und um die Glashäuser", sagt der 40-Jährige, der früher als Hilfsarbeiter tätig war und vor kurzem hier eingezogen ist. "Ich liebe meine Arbeit. Mit der neuen Zisterne, die wir haben, ist alles leichter geworden. In der Pause kann ich die Fische im Teich streicheln, und manchmal siehst du hier auch eine Kreuzotter, volle Action!"

Mayerling 1, 2534 Alland, lautet die Adresse der ersten Vinzirast am Land.
Foto: Dietmar Tollerian

Mayerling 1, 2534 Alland, irgendwo im Wienerwald. Eingefleischten Falstaff-Gabel- und Gault-Millau-Haubenjägern dürfte der Ort noch als Hotel Relais & Chateaux Hanner in Erinnerung sein: Firmenfeiern, teure Degustationsmenüs, auf der Wiese hinterm Haus ein Helikopterlandeplatz für die besonders Wichtigen. Im Zuge der Insolvenz 2016 kam das kulinarische Anwesen unter den Hammer – und wurde von einem Tochterunternehmen von Hans Peter Haselsteiners Privatstiftung ersteigert. "Ich habe die Liegenschaft ursprünglich für eines meiner Kinder gekauft", sagte HPH damals, "doch die Pläne haben sich zerschlagen. Nun habe ich die Immobilie der Vinzirast zur Verfügung gestellt."

Kost und Logis auf dem Land

Was früher ans sogenannte obere Ende des gesellschaftlichen Spektrums adressiert war, an die Hautevolee mit dem nötigen Kleingeld im Portemonnaie, richtet sich nun an Menschen in Not und in prekären Lebenslagen. Denn die Vinzirast, eine Einrichtung innerhalb der Vinzenzgemeinschaft St. Stephan, engagiert sich für obdachlose Menschen, versorgt sie mit Kost und Logis und unterstützt sie beim Wiedereinstieg ins Arbeitsleben. Zu den bisherigen Vinzirast-Einrichtungen in der Stadt gesellt sich nun erstmals auch eine Vinzirast am Land.

Umgeben ist das ehemalige Hotel Relais & Chateaux Hanner heute von einem landwirtschaftlichen Betrieb mit 3000 Quadratmeter Ackerfläche und ein paar gebrauchten, aber intakten Glashäusern, die von einer Gärtnerei in St. Pölten als Materialspende zur Verfügung gestellt wurden. Genug Land, um in Zukunft rund 100 Biokistln pro Woche füllen und versandfertig machen zu können. Hinzu kommen rund 180 Hühner, die den Betrieb nicht nur mit Eiern versorgen, sondern auch mit wertvollem Kot für das lokale Biomasseheizwerk.

3000 Quadratmeter Ackerfläche, 180 Hühner und 80 verschiedene Gemüsesorten.
Foto: Dietmar Tollerian

Entwickelt wurde das landwirtschaftliche Konzept von Dennis Reitinger, ehemals Dozent an der Universität für Bodenkultur, ehe er beschloss, der Theorie den Rücken zu kehren und in die Gummistiefel zu schlüpfen. "Wir haben rund 80 verschiedene Gemüsesorten, wobei wir das Angebot saisonal stark variieren werden", sagt Reitinger. "Wir haben ausschließlich alte, regionale Sorten. Irgendwelche moderne Kreuzungen kommen uns nicht die Erde!"

Eier, Gemüsekistl, Resozialisierung. Fragt sich nur: Was hat das alles mit Architektur zu tun? "Das alles ist Architektur! Und genau das ist unsere ureigentliche Aufgabe", sagt Alexander Hagner, in dessen Stimme große Euphorie, aber auch ein wenig Wut und Traurigkeit schwingen. "Wir müssen Menschen Räume zum Wohnen und Arbeiten anbieten, im Idealfall auch zum Träumen. Und wir müssen gegen die drohende Marginalisierung arbeiten und obdachlose Leute endlich wieder in die Mitte der Gesellschaft zurückholen."

Gemeinsam mit seiner Partnerin Ulrike Schartner betreibt Hagner das Wiener Architekturbüro Gaupenraub +/–, die beiden sind eine Art Mahatma Gandhi und Mutter Teresa des Planens und Bauens und haben für die Vinzirast in zum Teil ehrenamtlicher Tätigkeit schon so manch – mitunter auch preisgekröntes – Mammutprojekt gestemmt. Nun kämpfen sie, ein paar Kilometer abseits der A21 gegen die Windmühlen der Bürokratie und Gewerbeordnung, um mit wenig Geld, hunderten Sachspenden und einem leidenschaftlichen Bekenntnis zur Kreislaufwirtschaft die Vinzirast am Land schlüsselfertig zu machen – als eine Art Hybrid aus sozialer Einrichtung, landwirtschaftlichem Betrieb und niederschwelligem Hotel für Pilger, Familien und Schulklassen.

Der gute Wille stößt an die Grenzen von Normen und Bauvorschriften.
Foto: Dietmar Tollerian

"Wir könnten das Haus bereits mit Leben füllen, obdachlose Menschen wieder in den Wohn- und Arbeitskreislauf integrieren und auch Gäste willkommen heißen, die eine Auszeit brauchen, sich ein teures Hotel in einer klassischen Urlaubsdestination aber nicht leisten können", sagt Hagner. "Wir sind schon fast fertig." Aber nur fast. Denn: Ausgerechnet bei diesem wunderbaren Best-Practice-Beispiel zirkulären Bauens zeigt sich, wo der gute Wille an die Grenzen von Norm, Bauvorschrift und OIB- Richtlinien stößt.

Obwohl Gaupenraub +/– und die Vinzirast mit der Strabag einen prominenten Generalunternehmer an der Seite haben, der sich ordentlich ins Zeug wirft, obwohl die Baubehörden engagiert, aufgeschlossen und von der Sache überzeugt sind und obwohl viele Bauteile ohne Probleme weiter- oder wiederverwendet werden können, hapert es am Ende an Garantien, Gewährleistungen, Haftungsfragen und technischen Sollwerten, die erfüllt werden müssen.

Vorbote einer möglichen Zukunft

"Der Fehler liegt im System", sagt Hagner. Und er bedient ein Bild aus unserem Alltag: "Es ist, als würde man einen ganz guten Gebrauchtwagen kaufen, gleichzeitig aber verlangen, dass das Auto genauso performt wie ein Neuwagen, der frisch aus der Fabrik hinausrollt." Was es dringend brauche, seien neue Regelwerke, die der Kreislaufwirtschaft nicht einen Klotz ans Bein hängen wie bisher, sondern das Downcycling und Upcycling von Baustoffen und Produkten endlich reizvoll machen. Die heutigen Baustandards und Gesetzgebungen sind dazu jedenfalls nicht geeignet. Ähnliches berichten auch andere auf Kreislaufwirtschaft spezialisierte Betriebe wie etwa das Baukarussell oder die Materialnomaden.

Früher war der Ort adressiert an die Hautevolee, heute richtet er sich an Menschen in Not und in prekären Lebenslagen.
Foto: Dietmar Tollerian

Damit ist die Vinzirast am Land – bisherige Baukosten 4,5 Millionen Euro, das Budget ist erschöpft – Vorbote einer Zukunft, die hoffentlich bald kommen mag. Jetzt ist die Politik am Zug. Dringender Handlungsbedarf. (Wojciech Czaja, 4.9.2022)