Martina Drescher: "Am Anfang sind die Träume groß."

Foto: Schwarzatal

Das Wohnprojekt Wien am Nordbahnhof machte 2013 den Anfang. Ein Haus für eine Baugruppe, mit Bibliothek und Sauna auf dem Dach, (Architektur: Einszueins Architekten) mit der gemeinnützigen Schwarzatal als Partner.

Seitdem hat sich der Bauträger zum Baugruppenspezialisten entwickelt: Insgesamt acht Projekte dieser Art sind fertiggestellt, darunter das preisgekrönte Gleis21 im Sonnwendviertel, vier weitere in Arbeit. Die Schwarzatal-Geschäftsführerin Martina Drescher erklärt, warum sich hier der Mehraufwand lohnt.

STANDARD: Wie kam der Kontakt zur ersten Baugruppe zustande? Was bewegte Sie, dieses Risiko einzugehen?

Drescher: Riskant ist im Grunde jedes Bauvorhaben. Wenn man sich einlässt auf die Zusammenarbeit mit einer Gruppe, bedarf das einer bestimmten Wertekultur. Wir wollten Starthelfer für neue Wohnformen sein. Die Wohngruppe kam damals auf uns zu, und wir haben schnell gesehen, dass diese Wohnform eine reizvolle Innovation im geförderten Wohnbau darstellt. Für die Wohnbauförderung und den Wohnfonds Wien war das damals Neuland.

STANDARD: Manche Baugruppen werden als Wohnheim gefördert, andere werden "klassisch" vergeben, wieder andere setzen auf Eigentum. Was erweist sich bei Ihnen als beste Vergabeform?

Drescher: Eine Baugruppe ist ein sensibles Konstrukt. Das Wichtigste ist, dass die erträumte Form des Zusammenlebens nicht durch Rechtsvorschriften zerstört wird – etwa wenn eine Wohnung schnell verkauft werden muss und der neue Eigentümer kein Interesse an einer kollektiven Wohnform hat. Das Wohnprojekt Wien hat sich als Verein konstituiert, der mit uns einen Generalmietvertrag abgeschlossen hat. Das hat sich als sehr tragfähig erwiesen. Die Wohnheimförderung hat den Vorteil, dass sie nicht nur die Wohnfläche, sondern auch die Gemeinschaftsflächen bedient – was bei den meisten Baugruppen gut ein Viertel der Fläche ausmacht.

STANDARD: Ist in den letzten zehn Jahren das System Baugruppe zur Normalität geworden?

Drescher: Man steht immer am Anfang, und jede Gruppe ist anders. Am Anfang sind die Träume groß, und bei der Umsetzung ist das Aufwachen oft hart, weil man immer Abstriche machen muss. Da muss die Gruppe stark sein, und es hilft, wenn sich ihre Mitglieder mit der Realität des Bauens ein bisschen auskennen. Die Kunst ist, deren Vorstellungen mit den Gesetzen und Vorgaben in finanzierbaren Einklang zu bringen.

STANDARD: Baugruppen wird oft vorgeworfen, sie seien vor allem aus dem Bildungsbürgertum und bräuchten daher eigentlich keine Förderungen.

Drescher: Es kann schon sein, dass ein Mitglied über der Einkommensgrenze der Förderung liegt. Inzwischen ist es aber ohnehin so, dass diese Grenzen geprüft werden, genau wie bei einer normalen Mietwohnungsvergabe. Bei unseren Baugruppenprojekten Wildgarten, Leuchtturm und kolok-as wurde das schon praktiziert.

STANDARD: Der Planungsaufwand ist bei Baugruppen deutlich größer als bei standardgemäßen Wohnbauten. Was ist der Anreiz für einen Bauträger, sich darauf einzulassen?

Drescher: Das ist eine Sache der Einstellung. Wir wollen den Leuten Mut machen, und wir geben ihnen die Zeit, die sie brauchen. Man ist dadurch näher an den Bewohnern dran, weil man einen gemeinsamen Weg geht. Dadurch haben wir uns auch selbst als Bauträger weiterentwickelt, die Baugruppen sind geradezu zu einem Markenzeichen geworden. Das ist eine schöne Sache. (Interview: Maik Novotny, 8.9.2022)