Seit Wochen hat das Wahlvolk Gelegenheit, über Interviews Einblick in die Geistesverfassung jener Männer zu nehmen, die die 6000 Unterschriften geschafft haben.

Es ist – ausschließlich bei den rechten Kandidaten – ein Blick in eine autoritäre, radikale Gedankenwelt, die nur vordergründig skurril und realitätsfern anmuten mag. Diese Leute hassen unser System der (relativ) liberalen Demokratie. Aber sie haben einen gewissen Zuspruch.

Es gibt schon Planspiele für einen legalen Putsch. Der Rechtsanwalt Michael Brunner von der (vordergründig) Anti-Impf-Partei MFG will (im STANDARD-Interview) gleich einmal die Regierung entlassen. Damit eine von ihm eingesetzte Übergangsregierung seines Geschmacks aber nicht gleich durch ein Misstrauensvotum im Parlament gestürzt wird, hat Brunner einen Plan: Es gebe ja "die Möglichkeit, dass die Übergangsregierung den Vorschlag an den Bundespräsidenten richtet, den Nationalrat aufzulösen – dann gibt es Neuwahlen".

Präsidentschaftskandidat Michael Brunner möchte die Regierung entlassen.
Foto: APA/EXPA/JOHANN GRODER

Das wäre "sicherlich kein Staatsstreich", sagt Brunner. Aber selbstverständlich wäre das ein Präsidentenputsch, eine willkürliche Ausschaltung des Parlaments unter Missachtung des Wählerwillens. Der Präsident müsste sich ja vorher mit der von ihm eingesetzten Regierung verschwören, dass sie sofort Neuwahlen beantragt, um ein Misstrauensvotum zu unterlaufen.

Brunner hat in dem Interview auch noch verschwörungstheoretisches Zeug über "massenhaft Impftote" von sich gegeben; andere rechte Kandidaten waren ebenfalls mit Fantasien über Austritt aus der EU, über persönliche Friedensmissionen bei Wladimir Putin, aber auch mit frauenfeindlichen Witzen vertreten.

Obskurantisten

Zusammen werden diese Obskurantisten schon eine beträchtliche Prozentzahl erreichen (der FPÖler Walter Rosenkranz gehört da dazu). Was ist da los?

Zunächst gibt es in Österreich ein gewisses, nicht zu kleines Potenzial an autoritär denkenden Menschen. Die vom Sora-Institut regelmäßig gestellte Frage "Sollte es einen starken Führer geben, der sich nicht um Parlament und Wahlen kümmern muss", erhält seit einigen Jahren um die 20 Prozent Zuspruch. Gleichzeitig stellt Sora ein sinkendes "Systemvertrauen" fest. Die Pandemie, der Krieg, die Teuerung und deren als ungenügend empfundenes Management spielen da die größte Rolle.

In unsicheren Zeiten steigt die "Nachfrage" nach harten, autoritären "Lösungen", aber viele sind auch bereit, Scharlatanen und Pseudowissenschaftern nachzurennen. Das läuft dann unter "eine andere Meinung zulassen", "nicht immer dem Mainstream vertrauen". Die Österreicher sind auch wissenschaftsskeptischer als andere Europäer. Nach einer EU-Umfrage glauben volle 30 Prozent, dass der Klimawandel "natürliche" Ursachen hat – und 23 Prozent, dass Viren im Labor erzeugt werden, um uns zu unterjochen. Das wird bewusst geschürt, von Medien wie Servus TV, aber auch durch Myriaden Schwurblerseiten im Netz. Apropos Mainstream: Soeben bedauerte der Innenpolitikchef des ORF bei einem Schwurblerkongress allen Ernstes, dass man zu den Corona-Info-Sendungen nicht auch die Leugner eingeladen habe.

Fanatiker sind meist auch Sektierer. Darum treten so viele aus dem rechten, verschwörungstheoretischen Spektrum zur Präsidentschaftswahl an. Eine charismatische Persönlichkeit wie Jörg Haider könnte sie allerdings einigen.

In unsicheren Zeiten tauchen oft gefährliche Scharlatane auf. Im Mittelalter Flagellantenzüge und Hexenverbrenner. Aber meist nur, wenn die normalen Staatsorgane Führungsschwäche zeigen. (Hans Rauscher, 17.9.2022)