Der Ökonom Klaus Weyerstrass geht in seinem Gastkommentar auf die wirtschaftliche Abhängigkeit Europas von China ein und schreibt, wie man sie verringern könnte.

China ist in den vergangenen Jahrzehnten für die Weltwirtschaft immer wichtiger geworden. Dies gilt ganz besonders für die Fertigung von Computerchips, auch Taiwan ist ein großer Produzent in dem Bereich. Europa verliert dagegen an Bedeutung. Von 1990 bis 2020 ist der Anteil Europas an der globalen Fertigungskapazität für Halbleiter von 44 auf neun Prozent gesunken. Im Gegensatz dazu stieg der Weltmarktanteil Chinas von null auf 15 Prozent. Taiwan hat, gemessen am Umsatz, gar einen Anteil von zwei Dritteln am Weltmarkt für Halbleiterchips.

Die Corona-Pandemie und die jüngsten Eskalationen im Konflikt um Taiwan haben deutlich vor Augen geführt, wie angreifbar Europas Industrie durch diese Abhängigkeit geworden ist. Die ersten Auswirkungen der Pandemie in Europa im Winter 2020 wurden nicht durch Eindämmungsmaßnahmen in Europa, sondern durch Fabrikschließungen in China und die darauffolgenden Störungen in den globalen Lieferketten verursacht. Chinas strikte Null-Covid-Politik mit immer wiederkehrenden Lockdowns führte auch im Sommer 2022 noch zu Verwerfungen, trotz aller Bemühungen der chinesischen Regierung, die wirtschaftlichen Folgen der Lockdowns so gering wie möglich zu halten.

Schmerzliche Folgen

Welche Folgen die starke Abhängigkeit von einem Lieferanten haben kann, erlebt Europa außerdem gerade schmerzlich im Fall des Erdgases aus Russland. Was die Abhängigkeit Europas von China und seine Abhängigkeit von Russland grundlegend unterscheidet, ist die Tatsache, dass Russland fast ausschließlich Erdgas liefert, während China Hochtechnologieprodukte erzeugt. Und diese sind nicht nur für die europäische Automobilproduktion, sondern auch für die Energiewende entscheidend. Nehmen wir das Beispiel Solarenergie. Hier wurde innerhalb eines Jahrzehnts eine enorme Abhängigkeit von China erzeugt. Vor zehn Jahren war Deutschland Weltmarktführer im Bereich der Photovoltaikanlagen, vom Siliziumblock über die Zellen bis zum Modul. Dann aber baute China, unterstützt von der Politik, massiv eigene Produktionskapazitäten in diesem Bereich auf, während wegen sinkender Einspeisevergütungen der Markt in Deutschland einbrach. Ähnlich verhielt es sich davor bereits bei Windrädern.

China hat seinen Photovoltaikbereich massiv ausgebaut.
Foto: Reuters

Wie kann nun die fast einseitige Abhängigkeit verringert werden? Die gesamte Produktion nach Europa zurückzuholen wäre keine ökonomisch sinnvolle Strategie. Denn die Nutzung von Spezialisierungsvorteilen und globaler Arbeitsteilung fördert den Wohlstand weltweit. Sinnvoll ist aber eine Diversifizierung der Lieferquellen, sowohl geografisch als auch hinsichtlich der liefernden Unternehmen. Zusätzlich können F&E-Förderungen die Ansiedlung in Europa unterstützen und damit zur Verringerung der strategischen Abhängigkeiten beitragen. Auch Lieferwege würden so verkürzt. Zudem ist eine Förderung der Kreislaufwirtschaft zu empfehlen, denn auch wenn die Windräder oder die Photovoltaikanlagen in Europa produziert würden, wären dafür Rohstoffe erforderlich, die in Europa nicht vorkommen. Die Nutzung bereits in den vorhandenen Anlagen in Europa befindlicher Rohstoffe durch Recycling ist also ebenfalls eine sinnvolle Strategie.

All diese Schritte erfordern koordiniertes Handeln auf europäischer Ebene und mittel- bis langfristig angelegte Strategien. Gelingt das, können die Krisen der letzten beiden Jahre für Europa eine Chance sein. (Klaus Weyerstrass, 20.9.2022)