Das Verkehrsministerium will mit einem Grenzwert erreichen, dass bei Polizeikontrollen zwischen schon Tage zurückliegendem Konsum von Cannabis und akut beeinflusster Fahrtüchtigkeit unterschieden wird.

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Im Verkehrsministerium von Leonore Gewessler (Grüne) werden Überlegungen darüber angestellt, einen Grenzwert für den Cannabiswirkstoff THC im Falle des Lenkens eines Fahrzeugs festzulegen. Einem Bericht des Nachrichtenmagazins "Profil" zufolge wird an einem Gesetzesentwurf dafür gearbeitet – ähnlich dem 0,5-Promille-Limit bei Alkohol.

Frage: Wie konkret ist der Plan?

Antwort: Man prüfe aktuell die Verfahren, die in vielen anderen EU-Ländern bereits angewandt werden, wurde dem STANDARD am Montag knapp aus Gewesslers Büro bestätigt. Aus dem Innenministerium erfuhr DER STANDARD Dienstagvormittag, dass Besprechungen auf Ebene der Fachabteilungen der beiden Ressorts stattgefunden hätten, es stünden aber noch Beurteilungen auf Expertenebene aus. Am Dienstagnachmittag erfuhr der "Kurier" von Innenminister Gerhard Karner (ÖVP) von einer klaren "Absage an Freigabefantasien". Man wolle vielmehr einen "hohen Kontrolldruck" aufrechterhalten, da "in den letzten beiden Jahren so viele Drogenlenker wie nie zuvor aus dem Verkehr gezogen" wurden. "Der Konsum von Cannabis ist illegal, also kann das Fahren mit Cannabis nicht legalisiert werden", sagte Karner.

Frage: Wie sind die Regeln in anderen Ländern?

Antwort: In weiten Teilen Europas ist ein Grenzwert längst Normalität, darunter sind auch Länder, die Cannabis nicht voll legalisiert haben. In Deutschland gilt ein Limit von einem Nanogramm THC pro Milliliter Blut, in Dänemark und Frankreich sind es zwei, in der Schweiz drei Nanogramm, in Portugal sechs.

Frage: Soll damit toleriert werden, dass jemand, der gerade Cannabis konsumiert hat, Auto fahren darf?

Antwort: Nein. Es soll vielmehr unterschieden werden zwischen Personen, die unter Drogeneinfluss am Steuer sitzen, und solchen, die schon Tage zuvor zum Beispiel einen Joint geraucht haben. Die Wirkdauer von Cannabis beträgt in der Regel einige Stunden, in Harn und Blut ist es aber wesentlich länger nachweisbar. Aktuell ist es so, dass die Polizei bei Verdacht auf Drogeneinfluss einen Urintest veranlassen kann, der aber verweigert werden kann. Weiters kommen Speichelvortests zur Anwendung. Enthält die Speichel- oder Harnprobe Substanzen oder wird ein Test trotz des Verdachts der Beeinträchtigung verweigert, entscheidet ein beigezogener Amtsarzt über die Fahrtauglichkeit der Lenkerin oder des Lenkers. Ein Argument für einen Grenzwert wäre zum Beispiel eine größere Objektivität.

Frage: Wenn Cannabis illegal ist, wie kann dann überhaupt jeglicher Konsum toleriert werden – selbst wenn dafür ein Grenzwert definiert wird?

Antwort: THC-haltiges Cannabis ist in Österreich ein illegales Suchtmittel. "Konsumdelikte werden aber diversionell erledigt", sagt Rechtsanwalt Martin Feigl. Bei der Frage eines Grenzwerts fürs Autolenken gehe es aber rein um die Frage, ob die Fahrtüchtigkeit gegeben ist. Wenn nicht, drohen Konsequenzen wie vorübergehender Führerscheinentzug, Geldstrafe, amtsärztliche Untersuchung, verkehrspsychologisches und psychiatrisches Gutachten etc.

Frage: Wird damit womöglich die Legalisierung von Cannabis in Österreich wahrscheinlicher?

Antwort: Danach sieht es im Moment nicht aus. In Österreich ist die Position der Parteien in diesem Punkt seit Jahren festgefahren: Die Grünen treten für eine Entkriminalisierung, die Neos für eine Liberalisierung ein. ÖVP, SPÖ und FPÖ sind dagegen. Eine Legalisierung findet sich daher nicht im türkis-grünen Koalitionsprogramm. Dass Deutschland die Cannabis-Legalisierung angekündigt hat, änderte auch nichts an der Ablehnung der Regierung.

Frage: Warum sollte die ÖVP dem Grenzwert dann zustimmen?

Antwort: Angeblich knüpft das Innenministerium einen etwaigen Grenzwert an die Bedingung, zugleich die Urintests bei Verdacht des Drogeneinflusses verpflichtend zu machen. Eine Frage dazu wurde vom Innenministerium ausweichend beantwortet, ein Sprecher verwies lediglich darauf, dass bei dem Prozedere auch Speichelvortests gemacht werden, die als "Hinweisgeber", ob jemand beeinträchtigt ist, dienen. Ist so ein Test positiv, wird ein Amtsarzt hinzugezogen. Ein Urintest ist wie erwähnt derzeit freiwillig, bei Verweigerung trotz des Verdachts auf Drogeneinfluss ist ebenfalls ein Amtsarzt beizuziehen – ein Prozedere, das ganz schön Zeit fressen kann. Zugleich stieg die Zahl der von Polizeiorganen erstatteten Anzeigen wegen Lenkens in einem durch Suchtgift beeinträchtigten Zustand. 2011 waren es 1.256 Anzeigen, 2013 sogar nur 732, im Jahr 2021 hingegen waren es 6.338. Wie viele Führerscheinabnahmen es deshalb gab, konnte das Innenministerium nicht beantworten. Den eklatanten Anstieg bei den Anzeigen erklärt man im Innenressort mit einer intensiveren Überwachung des Straßenverkehrs durch mehr und bessere Kontrollen – unter anderem aufgrund der Speichelvortests und einer besseren Ausbildung von Exekutivbediensteten.

Frage: Wieso ist von THC die Rede, und was ist der Unterschied zu CBD?

Antwort: THC (Tetrahydrocannabinol) ist psychoaktiv und kann Gehirnfunktionen beeinflussen, CBD (Cannabidiol) nicht, erklärt Tibor Harkany, Professor für Molekulare Neurowissenschaften und Leiter der gleichnamigen Abteilung am Zentrum für Hirnforschung der Med-Uni Wien. THC sei besonders für junge Leute in einem Alter, in dem sich das Gehirn noch entwickelt, gefährlich, weil kognitive Funktionen eingeschränkt werden: "Der Konsum ist schädlich", sagt er. In einem medizinischen Setting plädiert er hingegen für einen breiteren Einsatz von THC, etwa im Schmerzmanagement.

Zur Sinnhaftigkeit eines Grenzwerts merkt Harkany an, dass manche Menschen THC schneller und andere langsamer abbauen. Ein Grenzwert müsste daher auch von Aufklärung begleitet sein. "Es braucht ein Äquivalent dazu, damit man weiß: Was darf ich, was darf ich nicht?" (Anna Giulia Fink, Magdalena Pötsch, Gudrun Springer, 20.9.2022)