Leaks legen nahe, wie engmaschig der Kreml die Internetnutzung der Russinnen und Russen kontrolliert.

Foto: Standard, Andy Urban

160.000 Dateien, 700 Gigabyte groß, wurden von einem regionalen Büro der russischen Medienaufsicht Roskomnadsor geleakt. Sie legen offen, wie viel Handarbeit in der Internetüberwachung in Putins Russland steckt – und wie sehr die Russen in ihrer digitalen Freiheit eingeschränkt sind.

Wie "Heise.de" berichtet, stammen die Daten von der Whistleblowergruppe DDoSecrets und kommen ursprünglich von der Außenstelle der Behörde in der Republik Baschkortostan. Die "New York Times" hat diese Dateien nun ausgewertet. Diese Daten belegen, wie sich die "verschlafene Telekommunikationsbehöde" zu einem ausgewachsenen Geheimdienst entwickelt hat. Laut dem Report arbeitet die Behörde eng mit dem Inlandsgeheimdienst FSB zusammen und dürfte langsam mit diesem verschmelzen. So gingen Berichte erst gar nicht an die lokalen Niederlassungen der Roskomnadsor, sondern wurden ohne Umwege direkt an den FSB weitergeleitet. Laut dem Bericht von "Heise.de" sei man darüber hinaus regelrecht von dem inhaftierten Oppositionellen Alexej Nawalny besessen.

Überwachung von Einzelpersonen bis ins kleinste Detail

Die Dokumente bieten einen Einblick in Russlands kolossalen Überwachungsapparat, der Telefongespräche abfängt, die Internetnutzung von Einzelpersonen überwacht und Desinformation fördert. Zusätzlich wird das Internet nach Personen durchsucht, die die Legalisierung von Drogen oder "sexuelle Freiheiten" fordern, so der Bericht.

Dabei geht die Behörde bis ins kleinste Detail. Die Agentur hat eine 24-jährige politische Aktivistin überwacht, nachdem diese ein Instagram-Foto von sich gepostet hat, auf dem man sieht, wie sie allein in Baschkortostan gegen den Krieg protestiert. Die Polizei verhaftete sie und hielt sie über Nacht im Gefängnis fest. Die festgenommene Demonstrantin sagte der Zeitung, die Polizei habe sie eingeschüchtert, sie zu einem Drogentest gezwungen und gefragt, ob sie Nawalny unterstütze.

Über eine regierungskritische lokale Nachrichtenseite wurde ein kontinuierlich erweitertes Dossier verfasst. Unternehmen in der Nähe seien gedrängt worden, auf der News-Seite keine Werbung mehr zu schalten. Laut dem Artikel klingen manche Zusammenfassungen der Lage wie der Wetterbericht. So hieß es nach einer öffentlichkeitswirksamen Festnahme: "ruhig, mit einigen kleinen Spannungsherden".

Die Mitarbeiter der Zensurbehörde gehen dabei akribisch vor und protokollieren jeden ihrer Schritte, etwa indem sie Screenshots anfertigen, auf denen zu sehen ist, wann Beiträge überprüft wurden.

Jagd auf Nawalny und seine Unterstützer

Roskomnadsor hat auch jeden ins Visier genommen, der Nawalny unterstützt hat, wie Aufzeichnungen zeigen. Lilia Chanysheva ist eine 40-jährige Anwältin und langjährige Verbündete von Nawalny. Sie gründete 2017 ein Regionalbüro für den Dissidenten – und schaffte es dadurch an die Spitze einer Liste von Personen, die die Agentur zur "besonderen Überwachung" vorschlug. Chanysheva wurde daraufhin wahllos kontrolliert und verhaftet. Aber nicht nur das: Auch die Follower von Chanysheva in den sozialen Medien gerieten ins Visier der Behörden.

Der Kreml bezeichnete Nawalnys Organisation im April 2021 als extremistische Gruppe und erklärte sie für illegal. Daraufhin verließen viele Anhänger das Land. Chanysheva blieb und wurde im November 2021 festgenommen. Wie Nawalny ist sie inhaftiert. Ihr drohen zehn Jahre Gefängnis.

Erst vor kurzem wurde in Russland der unabhängigen "Nowaja Gaseta" die Lizenz für die Website entzogen, nachdem das Medium auch die Drucklizenz verloren hatte. Als treibende Kraft dahinter gilt die Medienaufsichtsbehörde Roskomnadsor, wie DER STANDARD berichtete. (red, 23.9.2022)