Vorsicht vor langen Zungen! Die Performance "Yishun is Burning" von Choy Ka Fai befasst sich mit Aberglaube in der singapurischen Vorstadt Yishun.

Dajana Lothert

Mit seinen Warnungen im Abendprogrammheftchen zum aktuellen Saisonauftakt folgt das Brut-Theater einem Trend: Während der Performance Yishun is Burning von Choy Ka Fai gibt es "eine Nebelmaschine", weiters Laser-, Blitz- und Strobolicht. Außerdem – Achtung! – werden "Bilder eines Rituals mit selbstverletzenden Handlungen" gezeigt, die "eine verstörende Auswirkung auf einige Zuschauer und Zuschauerinnen haben können". Noch dazu ist "ein Moment völliger Dunkelheit" ebenso zu befürchten wie das Abspielen "lauter Musik" und "repetitiver Geräusche".

Da kümmert sich jemand so richtig um das weitgehend schutzmaskenfrei kommende Publikum. Aber hat das Brut da wirklich genug getan? Denn nicht gewarnt wurde zum Beispiel vor dem bis auf eine frivole Leopardenmusterunterhose entblößten Echtfleischkörper des Tänzers Sun Phitthaya Phaefuang oder vor dem Videointerview mit einer Schamanin, das auf die Gemüter von Andersgläubigen schockierend wirken könnte. Und vor dem Risiko, während der zweiten Auftakt-Performance, Baba Karam der Konstgruppen Ful, beim ausgelassenen Tanzen zwischen den Stuhlreihen zu stolpern.

Waren also die Besucherinnen etlichen Gefahren ohne Vollkasko-Warnung preisgegeben? Wie werden sie angesichts der nächsten Brut-Werke schutzgeleitet, zum Beispiel ab Donnerstag bei Cumulus von Andrea Gunnlaugsdóttir und Claudia Lomoschitz? Auf der Brut-Website ist zu lesen: "Die Veranstaltung findet im Freien statt. Wetterfeste Kleidung und Schuhe empfohlen." Im Freien? Gar nicht auszudenken, was da alles passieren kann. Und noch dazu das Thema Klimawandel! Hier die Warnung: Es könnte Momente völliger Ratlosigkeit geben.

Inferno und Räucherwerk

Aber zurück zu Choy Ka Fais Yishun is Burning. Aus sensibler Sicht ist diese Performance ein Inferno, in dessen Videoeinspielung Menschen mit offenem Feuer hantieren. Und live auf der Bühne wird Räucherwerk in einem Schüsselchen verbrannt. Gut, dass das "Burning" im Titel auf diese für Pyrophobiker herausfordernden Elemente des Stücks hinweist. Aus anderer Perspektive betrachtet, die manche als abgestumpft bezeichnen würden, erweist sich Yishun is Burning als poetische Doku-Performance über abergläubisches Treiben in der singapurischen Vorstadt Yishun.

Im Zentrum steht der Tanz eines sechsarmigen, blauhäutigen Avatars mit überlanger Hängezunge. Und am Ende gab’s im Brut einen Auftritt plus Zugabe von vier entzückenden Transtänzerinnen, die zu Schlagermusik ein mit artistischen Einlagen garniertes Voguing präsentierten. Das Publikum erwies sich als resilient und spendete mehrheitlich begeisterten Applaus.

Exiliranische Drag-Kings

Sun Phitthaya Phaefuang aka Amazon Sun zeigte weniger Posing als die Transtänzerinnen, doch bei Baba Karam der schwedischen Konstgruppen Ful ist das Posieren so gut wie alles. Auch hier wird ein Video gezeigt. Es führt durch das gesamte Geschehen und lädt zum fröhlichen Mittanzen ein. Die Hauptdarsteller sind überwiegend exiliranische Drag-Kings, die zusammen mit Live-Animateurinnen im Publikum zeigen, wie der populäre persische Baba-Karam-Tanz unter queeren Aspekten geht.

Vor dem Hintergrund der aktuellen Proteste nach dem Tod von Mahsa Amini in Iran – wo Tanzen, Queerness und das Zurschaustellen weiblichen Haars verboten sind – gewinnt das zusätzliche Brisanz. Gegen die stur patriarchale Theokratie setzt die Konstgruppen Ful nicht bittere Anklage, sondern die Leichtigkeit des queeren Auftritts.

Bei aller Sensibilität in der zeitgenössischen Performance geht es auch hier um harten Stoff aus einer offensichtlich immer stärker verrohenden Weltpolitik. Der Anschlag auf den Schriftsteller Salman Rushdie im August scheint bereits verdrängt. Doch dieses Attentat zeigte wieder, dass echte Bedrohungen auch außerhalb der Territorien von Diktaturen existieren. Im Vergleich dazu wirken Warnungen vor eventuellen Stressfaktoren in Theatern wie dem Brut seltsam. (Helmut Ploebst, 3.10.2022)