Du bist, was du isst? Izumi Miyazakis Arbeit "Broccoli", 2017.
Foto: Izumi Miyazaki

Zugegeben, es braucht Überwindung, die Hasenbemmerln vom Tisch zu stibitzen und sich in den Mund zu schieben. Ja, Sie haben richtig gehört: Hier gibt es Hasenkot zu essen. Spaß! Natürlich sehen die braunen Klümpchen nur täuschend echt aus. Es handelt sich um mit Kakao gefärbtes Marzipan. Ergänzend erzählt die Tischplatte der Installation von Sonja Alhäuser vom Weg des Hasen – zumindest aus Sicht menschlicher Karnivoren: von der Wiese in den Kochtopf. Ein Kreislauf von Nahrungsaufnahme und Ausscheidung.

Die neue Themenschau des Dom-Museums Wien hat sich nach den Ausstellungen Fragile Schöpfung und Arm & Reich nun der Mahlzeit verschrieben. Ausgehend von der eigenen Sammlung werden jährlich gesellschaftspolitische Felder in voller Breite beleuchtet. In den letzten Jahren sind Johanna Schwanberg und ihrem Team so hochspannende Gruppenpräsentationen gelungen, die historische Sakralkunst und zeitgenössische Positionen kombinieren. Und dabei nicht vergessen, aktuell und witzig zu sein.

Dieses Mal ist die Ausstellung recht voll geworden. Damit spiegelt sie zwar die Themen Ernährung, Lebensmittel und Essen in all ihren Facetten wider – leidet aber ganz am Ende auch darunter. Dennoch kriegt die Präsentation von rund 90 Positionen die Kurve und verrennt sich auch auf kleinem Raum nicht in dem lukullischen Dickicht. Die Verlockungen scheinen unendlich.

Sinnlicher Überfluss: Üppiges Prunkstillleben aus dem 17. Jahrhundert von Abraham van Beyeren.
Foto: LIECHTENSTEIN. The Princely Collections, Vaduz–Vienna

Überfluss und Verfall

Ein Ensemble aus üppigen Prunkstillleben und zeitgenössischen Betrachtungen zeigt differenzierte Perspektiven des Umgangs mit Lebensmitteln: In Gemälden aus dem 17. Jahrhundert werden totes Wild und pralle Weintrauben zu hedonistischen Arrangements drapiert, bis sich die Tische biegen. In Klaus Pichlers Fotoserie von 2011 hingegen liegen Maden im Mehlhaufen, der Schimmel wuchert über Schokokeksen, und Catrin Bolt zeigt Nahrungsmittel, die aus dem Mist gerettet wurden. Sinnlicher Überfluss versus Kampf gegen Lebensmittelverschwendung.

Alte Produkte werden auch bei Anna Paul zum Kunstobjekt, so formt die Wiener Künstlerin ihre Bread Pieces aus Ausschussweckerln und bäckt sie zu mehligen Skulpturen, die gleich bei Joseph Beuys’ Margarine-Kuvert und Dieter Roths Gewürzkästen platziert werden und in der Tradition der 1960er-Jahre verortet werden können.

Apropos Tradition: Wie viel sagen Tischkultur, Sitzordnung oder Essgewohnheiten über unsere kulturellen Eigenheiten aus? Viel mehr, als man denkt, wie Fotos von familiären Abendessen beweisen: gemütlich in der Küche, vor dem Fernseher auf dem Boden oder doch an der Tafel mit Patriarch am Tischende. Im Kontrast dazu steht das 1590 entstandene Gemälde Hochzeitsmahl Großherzog Ferdinands I. von Toskana, das die Bedeutung des gemeinsamen Essens mit Personal und Gaukler zelebriert. Komischerweise finden sich Darstellungen des Letzten Abendmahls nicht in diesem Kapitel, sondern gleich zu Beginn der Schau, wo es eigentlich um das Stillen geht – die allererste Mahlzeit.

Klaus Pichlers Fotoserie als Aufschrei gegen Lebensmittelverschwendung: Maden im Mehlhaufen, Schimmel über Schokokeksen und Erdbeeren.
Foto: Klaus Pichler

Menüs für die Zukunft

Das Zentrum bildet eine Installation aus recycelten Metallobjekten wie Staubsaugerrohr oder Bestecksets, das von einer Kaffeekränzchen-Szene Daniels Spoerris sowie einem gewagten Geschirrturm von Ramiro Wong flankiert wird. Überfluss und ausgiebige Essensgelage überwiegen – gegenteilige Situationen gibt es wenige, zum Beispiel das Gemälde Tischgebet von Albin Egger-Lienz, auf dem eine zentrale Schüssel leer bleibt.

Wie politisch das Thema Ernährung ist, demonstrieren Arbeiten vor allem internationaler Künstlerinnen: Tierhaltung! Verteilung! Körperideale! Tischmanieren! Ernteausfälle! Zwar werden diese sehr unterschiedlichen Aspekte mit einzelnen Arbeiten angesprochen – sie dürfte man in einer solchen Schau nicht verschweigen –, im Vergleich zu den vorherigen Kapiteln aber etwas oberflächlich behandelt.

Ein Blick aufs Menü: In humoristischen Fotos tritt Thierry Boutonnier mit Nutztieren in Dialog und hält Hühnern Lesungen über die Vogelgrippe. In einer Vitrine wird das Desertification Dinner serviert – eine Kakteenvariation könnte die kulinarische Zukunft auf einem erhitzten Planeten sein. Die nigerianischen Protagonisten in Zina Saro-Wiwas Videos laden ein, sich zu ihnen zu gesellen. Und Veronika Merklein wirbt in einer witzigen Show für die gewichtsfördernde Pille "Fat 4 life". Bon appétit! (Katharina Rustler, 4.10.2022)