Letzte Woche gab es ein neues Bewerbungsfenster, bei dem sich laut Bildungsdirektion 300 Personen gemeldet haben. Noch ist unklar, ob das reichen wird.

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In einem anderen Jahr wäre um diese Zeit der erste Trubel wieder vorüber: Anfangseuphorie oder blankes Entsetzen ob des Schulstarts hätten sich gelegt, der Stundenplan wäre internalisiert und der Schulbetrieb in vollem Gang. Heuer ist es anders: Einen Monat nach Schulbeginn herrscht in vielen Wiener Pflichtschulen immer noch Chaos. So zumindest beschreiben es Direktorinnen und Gewerkschaftsvertreter, die sich in den vergangenen Wochen an den STANDARD gewandt haben. Im Gespräch beklagen sie "Supplierwahnsinn", "schwimmende" und fehlende Lehrkräfte, unterm Strich: dass der Lehrermangel die Klassenzimmer erreicht hat.

Der Neuigkeitswert daran mag sich einem vielleicht nicht sofort erschließen. Schließlich ist nicht erst seit gestern in aller Munde, dass Österreich die Lehrkräfte ausgehen. Im Gegenteil: Es war angesichts offener Stellen und Pensionierungen absehbar, dass der Herbst dieses Szenario bringen würde – vor allem an Volks- und Mittelschulen.

Dass es aber in Wien so weit gekommen ist, hat einen weiteren Grund: Die Bildungsdirektion hat es in vielen Fällen nicht zeitgerecht geschafft, neue – und vorhandene – Lehrkräfte anzustellen, wie sie selbst und Bildungsstadtrat Christoph Wiederkehr (Neos) nach Schulbeginn einräumen mussten. Bis Mitte September, hieß es zunächst, sollte die Zuweisung, also das Ausstellen der Verträge, erfolgen.

In der Warteschleife

Das gelang nicht überall. Auch vier Wochen nach Schulstart sitzen noch Neo-Lehrerinnen in den Startlöchern, während sich ihre Kollegen an den Schulen mit provisorischen Stundenplänen herumplagen – und dutzende Überstunden leisten. "Es funktioniert alles nur dank unserer idealistischen Lehrerinnen, die bis um sieben am Abend arbeiten", sagt eine Volksschuldirektorin, die ihren Namen aus Angst vor Konsequenzen nicht in der Zeitung lesen möchte. "Sobald einer von den Lehrern krank wird, stürzt dieses provisorische Kartenhaus aber zusammen."

An ihrer Schule würden derzeit "zweieinhalb" Lehrpersonen (zwei mit voller und eine mit halber Lehrverpflichtung, Anm.) fehlen. Was sie dabei am meisten ärgert: "Bereits im Mai hat sich eine Lehrerin für elf Stunden beworben, einen Arbeitsvertrag hat sie immer noch nicht." Versuche, die Bildungsdirektion zu erreichen, seien dabei ins Leere gegangen, erzählt die Direktorin, die nun um die Kollegin bangt. "Sie hat schon anklingen lassen, dass sie sich etwas in der Privatwirtschaft sucht, weil sie wegen Geldproblemen nicht länger warten kann."

Personalmangel beim Arbeitgeber

Warum wird aber jenes Personal, das so dringend gebraucht wird, auf die lange Bank geschoben? Der oberste Wiener Pflichtschullehrervertreter Thomas Krebs (FCG), dem Fälle wie dieser bekannt sind, ortet Überforderung. Laut ihm betrifft der Personalmangel nicht nur die Schulen, sondern auch die Bildungsdirektion selbst. Außerdem habe die Sommerschule administrative Ressourcen abgezwackt. "Die Bewerbungen für den regulären Schulbetrieb hätten aber vorrangig behandelt werden müssen."

Auf STANDARD-Nachfrage will die Bildungsdirektion auf die Gründe für die Verzögerung nicht eingehen. Sie betreffe jedenfalls "circa 25 Personen, die noch keine Zuweisung haben. Diese werden sie sicher bis spätestens 10. Oktober haben und unterrichten", heißt es aus dem Büro, das betont, dass im Sommer 1.300 Neuanstellungen – "ein Drittel mehr als im Vergleich zum Vorjahr" – durchgeführt wurden.

Direktorinnen im Klassenzimmer

Allein die Behebung dieses Problems wird die schwierige Situation an Pflichtschulen aber nicht lösen. Denn bereits jetzt beklagen Direktorinnen im STANDARD-Gespräch, dass ihnen bis zu vier Lehrkräfte fehlen. Diese Lücken müssten zwischenzeitlich Direktorinnen, die sich selbst in die Klasse stellen, und Kolleginnen füllen, sagt Krebs. "Wir müssten aber jenen, die im Dienst sind, gute Arbeitsbedingungen bieten. Tatsächlich sehen wir aber, wie manche nach drei Wochen den Job wieder kündigen, weil sie nicht mehr können", sagt Krebs.

Die Zahl der Lehrkräfte, die im Pflichtschulbereich aktuell fehlen, beziffert die Wiener Bildungsdirektion mit 170 Vollbeschäftigten. Bei einem erneuten Bewerbungsfenster vergangene Woche hätten sich 300 Personen beworben. Bis klar ist, wann und wie viele von ihnen zum Einsatz kommen, dürfte es aber noch dauern. (Elisa Tomaselli, 4.10.2022)