Im Gastblog interpretiert Psychotherapeut und Psychoanalytiker Timo Storck die siebente Folge der Prequel-Serie zu "Game of Thrones".

In der vorangegangenen Folge gab es zwei Feuer-Ereignisse mit Todesfolge: Laena ließ sich von Vhagar verbrennen, und Lyonel und Harwin Strong sind der Brandstiftung in Harrenhal zum Opfer gefallen. Nur Laenas Verlust darf betrauert werden; wir sehen zu Beginn deren Seebestattung in Driftmark, wo mehr oder weniger (Mysaria, Jason Lannister) alle Figuren der Serie zusammenkommen. Die ersten rund 15 Minuten der Folge sind faszinierend: Das Erzähltempo ist erstaunlich gering (während der gesamten Zeit gibt es keine einzige weitere Hochzeit, keinen weiteren Todesfall, niemand gebiert oder wird gekrönt), es ist fast so, als wären alle in ihren Handlungen auf Pause gestellt, sodass die Spannung zwischen den Figuren umso verdichteter wirkt. Das zeigt sich in den Blickbewegungen der Figuren und der Kamera, eine davon wird deutlich benannt: Larys, so der Hinweis von Criston an Alicent, starre sie permanent an. Sein Blick durchdringt sie, nachdem er kurze Zeit zuvor, jedenfalls in seinem (und meinem) Verständnis, Alicents uneingestandenen Wunsch nach dem Tod der beiden Strongs hat wahr werden lassen.

Viserys verschließt seine Augen weiterhin vor der Wahrheit.
Foto: Sky/HBO

Vom Blick her lässt sich die Folge aufschlüsseln. Damit ist noch nicht einmal gemeint, dass sie durchwegs ziemlich dunkel gehalten ist oder einige der beeindruckendsten Drachen-Aufnahmen bisher zu sehen sind, sondern dass die Metapher des Visuellen für eine Interpretation leitend sein kann.

Ein Auge verlieren

Zentral ist die Szene, in welcher Lucerys seinem Onkel Aemond eine Klinge durchs Gesicht zieht, so dass dieser ein Auge verliert. Wie kommt es dazu? Zuletzt haben wir gesehen, dass Aemond bisher noch keinen Drachen hat, der ihm zugehörig ist, und dass Vhagar, der Drache Laenas, nach deren Tod reiterlos ist. In der Nacht nach der Bestattung geht Aemond nun zu Vhagar, die ihn nach kurzem Zögern nicht heiß anhustet, sondern seinen Befehlen folgt und sich von ihm fliegen lässt. Das ist in gewissem Sinn auch eine Metapher für seine Geschlechtsreife. Zumindest hat er vorher seinem Bruder Aegon gesagt, er würde die gemeinsame Schwester Helaena freien, wenn die Mutter sie mit ihm statt mit seinem Bruder verlobt hätte. Die beiden Töchter Laenas und Daemons sehen, wie Vhagar "gestohlen" wird, besonders Rhaena ist empört, denn sie versteht Vhagar als ihr Erbe. Aemond nutzt seine neu gewonnene Potenz, um sowohl die Velaryon-Zwillinge als auch die beiden Söhne von Rhaenyra und Laenor ("offiziell" also vier der Driftmark-Abkömmlinge) zu verspotten. Dabei bezeichnet er die beiden letztgenannten als Bastarde und Jacaerys im Besonderen als "Lord Strong" (nach seinem leiblichen Vater).

Zwischen allen fünf Kindern entsteht eine wilde Prügelei, die besonders ernst wird, als Lucerys ein Messer einsetzt, mit dem er Aemond ein Auge nimmt. Da entsteht leicht eine "Das weiße Band"-Assoziation (ohne damit die Erkundung der Wurzel der NS-Zeit, die Michael Haneke auf diese Weise anstellt, ins Fantastische heben zu wollen). Denn wir sehen hier ja nicht zuletzt die Folgen der Ränkespiele der Erwachsenen und können uns vorstellen, wie diese Kinder später herrschen wollen werden. Und, ich möchte noch einmal darauf hinweisen, zumindest die Jungen werden im Kampf unterrichtet von Criston, der eine, sagen wir mal, Unstimmigkeit im Zusammenhang einer Vermählung darüber gelöst hat, den anderen Mann zu erschlagen. Der Augapfel fällt nicht weit vom Stamm.

Die Augen vor der Wahrheit verschließen

In der Tat lösen die Erwachsenen das Problem nicht wesentlich reifer. Viserys, der seit nunmehr 13 (?) Jahren halbwegs schwer erkrankt ist, ist immer noch am Leben, allerdings verwechselt er an einer Stelle seine aktuelle Frau Alicent mit seiner früheren Frau Aemma. Und Viserys verschließt seine Augen weiterhin vor der Wahrheit (im Englischen würde man die schöne Formulierung "he turns a blind eye towards ..." verwenden) über den Vater seiner Enkelsöhne. Anders gesagt: Er blickt es nicht. Ein ganzer Raum voller Leute hingegen weiß darum. Aemond und Aegon müssen sich überlegen, ob sie seine Frage danach, woher sie vom Gerücht, Jacaerys und Lucerys seien die Söhne Harwin Strongs, wohl gehört haben, in Richtung ihrer eigenen Mutter beantworten wollen. Viserys zeigt sich einmal mehr als nicht besonders starker Anführer – er möchte mehr oder minder, dass alle sich etwas zusammenreißen ("Jetzt streitet nicht mehr – es ist doch Weihnachten!").

Alicent sieht es anders, sie fordert (Haus Talion) zur Vergeltung ein Auge von Lucerys. Damit steht sie weitgehend alleine da, selbst Criston weist darauf hin, dass er dafür zuständig sei, sie zu beschützen, nicht ihre Aufforderungen zu einem Angriff zu befolgen. Sie nimmt die Klinge selbst in die Hand (im Übrigen, wie ich gelesen habe, eine retrospektiv traditionsreiche Waffe, mit der später unter anderem Arya Stark den Night King töten wird), wird aber von Rhaenyra aufgehalten, die dabei letztlich eine Fleischwunde am Unterarm einstecken muss. Die Szene findet auch darin ein Ende, dass Aemond seine Mutter zu Recht darauf hinweist, dass es ein fairer Tausch war: Er habe ein Auge gegen einen Drachen, und nicht irgendeinen, eingetauscht.

Am nächsten Morgen zeigt sich Alicent von sich selbst erschrocken – das ist ein wiederkehrendes Motiv. Sie ist schockiert von etwas, das auch mit ihrer eigenen Rachsucht und Wut oder ihrem Machtstreben zu tun hat. Zunächst kommt ihr Vater Otto (der, unerklärt, wieder als Hand des Königs eingesetzt worden ist) zu ihr und führt ihr vor Augen, dass sie am Vorabend gezeigt habe, dass sie willens sei, um ihre Macht zu kämpfen beziehungsweise das "ugly game", das man um den Thron spiele, zu gewinnen. Diese Seite von ihr habe er noch nie gesehen. Später, auf der Heimfahrt per Schiff, taucht wieder Larys an Alicents Seite auf. Und wieder spiegelt er sie: Wenn sie weiterhin Bedarf nach einem Vergeltungsauge habe, sei er ihr gern zu Diensten. Erneut benennt er also Alicents destruktive Wünsche, erleichternderweise bleibt er dabei in seinen eigenen Motiven einigermaßen unverständlich. Er spiegelt, durchdringt Alicent.

Was sehen wir noch?

Laenor ist erst mal nicht so ganz da. Als er zu Rhaenyra sagt: "Ich hätte dort sein sollen", erwidert sie, dass sie dies zu ihrem Haus-Motto machen sollten. Laenor ist in tiefer Trauer um seine Schwester, er ist aber auch unzufrieden mit seiner Rolle als Vater und Ehemann. Er äußert zu seiner Homosexualität gar, er hasse die Götter dafür, dass sie ihn so gemacht hätten, wie er sei.

"House of the Dragon" hat natürlich ein Problem: Die Serie will einerseits eine Zeit zeigen, in der eine, sagen wir mal, Ultraheteronormativität herrscht. Die Häuser können nur fortbestehen, wenn es Erben gibt, und diese müssen, das zeigt nicht zuletzt das fließende Blut im Vorspann, zumindest nominell Blutverwandte sein – auch wenn Corlys zu Recht einwendet, dass die Geschichte sich nicht an Blut, sondern an Namen erinnere. Auf die Adoption eines Thronfolgers durch ein gleichgeschlechtliches Elternpaar werden wir aller Voraussicht nach noch etwas warten müssen – und die Quasi-Adoption der Kinder durch Laenor darf weder offiziell sein, noch gelingt sie. Andererseits steht die Veröffentlichung der Serie in einer Zeit, in der die Vielfalt menschlicher Sexualität und Geschlechtlichkeit nicht ausgelöscht werden kann. Das zeigt sich in Rhaenyras Antwort auf Laenors Geschlechtspräferenzdysphorie: Sie versichert ihm, dass er ein guter und ehrenhafter Mann sei. Immerhin. Obwohl: Auch ein unehrenhafter Mann sollte nicht die Götter darum bitten müssen, Frauen statt Männer zu lieben.

Wie dem auch sei: Jemanden als guten und ehrenhaften Mann zu bezeichnen (oder eine glückliche Ehe zu führen) ist im "Game of Thrones"-Kosmos schon immer ein Todesurteil gewesen. Und das kommt so: Die beiden feurigen Todesfälle aus der vorangegangenen Episode führen ja nicht zuletzt dazu, dass Rhaenyra und Daemon wieder Single sind, jedenfalls im Herzen. Rhaenyra übernimmt die Initiative und leitet ein, dass beide in der Nacht nach der Bestattung am Strand miteinander schlafen (parallel zu Aemonds quasisexueller Eroberung, die ähnlich dramatische Machtverschiebungen nach sich ziehen wird). Später, im Anschluss an die Anschuldigung ihrer Kinder als Bastarde, spricht Rhaenyra ein weiteres Mal mit Daemon und regt an, sich miteinander zu vermählen. Jetzt ist es auch egal mit dem Ruf! Zumal beide einander wirklich zugeneigt zu sein scheinen. Dass es hier um eine Heirat zwischen Onkel und Nichte geht, die nicht zuletzt das Verhältnis der Patchwork-Kinder nominell wie emotional außerordentlich kompliziert macht (Aemond zum Beispiel hat sein Auge nun durch Lucerys verloren, der zugleich sein Stiefbruder und sein Neffe ist, beide nennen dieselbe Person, Viserys, Opa und Papa), das sei mal dahingestellt.

Es soll den Anschein erwecken

Damit Rhaenyra und Daemon heiraten können, so viel Eherecht gibt es dann doch in Westeros, muss Laenor aus dem Weg geräumt werden. Auch das schlägt vor allem Rhaenyra vor, auch wenn Daemon den Plan ausführt: Er bietet Qarl, dem Liebhaber Laenors, Geld und damit anonyme Macht in den freien Städten im Austausch für einen "schnellen Tod mit Zeugen". Der Plan ist, dass es den Anschein erwecken soll, als hätte Qarl vor Zeugen Laenor getötet – und so wird es auch umgesetzt, es wird der Körper eines anderen von Daemon getöteten Mannes verbrannt und als Laenors Leiche präsentiert. Für Corlys und Rhaenys sieht es so aus, als wäre es ihr Sohn.

Das hat drei entscheidende Folgen: Qarl und Laenor verschwinden von der Bildfläche. Rhaenyra und Daemon können heiraten. Und Haus Velaryon (das in kürzester Zeit zwei erwachsene Kinder, ein ungeborenes Enkelkind und einen Drachen verloren hat) wird auf die frisch Vermählten nicht gut zu sprechen sein. So sieht's aus.

Offene Fragen so weit: Kann man auch einäugig einen Drachen fliegen? Was erzählt Helaena da ständig den Tieren? Wie positioniert sich Haus Velaryon nun zwischen Alicent und Rhaenyra? Und warum gibt es niemanden in Oldtown, der Wissen darüber erlangt oder verbreitet, dass die Generativität innerhalb der eigenen Blutlinie genetisch risikoreich ist? (Timo Storck, 4.10.2022)