Titelseite der "Wiener Zeitung", Donnerstag, 6. Oktober 2022.

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Wien – Der eigene Abschied vom täglichen Erscheinen ist die Aufmacherstory der republikseigenen "Wiener Zeitung" am Donnerstag – unter der trockenen Headline "Ausgedruckt". Es ist der Abschied von der ältesten noch erscheinenden Tageszeitung der Welt – als Titelfoto wählte die vor einem Personalabbau stehende Redaktion die erste Ausgabe von 1703.

Nächstes Jahr wird die "Wiener Zeitung" 320 Jahre als. "Doch das Jahr 2023 wird die gedruckte Tageszeitung, die schon viele Krisen überlebt hat, gemäß einer Entscheidung der Bundesregierung nicht überstehen", heißt es am Donnerstag auf der Titelseite.

"Alles Merckwürdige"

Als "Wiennerisches Diarium" erschien die "Wiener Zeitung" erstmals 1703. Mit der vielversprechenden Unterzeile "Alles Merckwürdige / so von Tag zu Tag". Eine Merkwürdigkeit – jedenfalls in der westlichen Welt inzwischen recht ungewöhnlich – war: Die Zeitung steht in Staatsbesitz. Sie finanzierte sich größtenteils aus Pflichtveröffentlichungen von Unternehmen in ihrem "Amtsblatt".

Als "Wiennerisches Diarium" erschien die "Wiener Zeitung" erstmals 1703.
Foto: "Wiener Zeitung"

Wie berichtet verliert die republikseigene Tageszeitung ihre allergrößte Einnahmequelle: Pflichtveröffentlichungen von Unternehmen im "Amtsblatt", das der Zeitung beiliegt. Die "Wiener Zeitung" soll nur noch zumindest monatlich erscheinen und laufend online berichten.

Medienministerin Susanne Raab (ÖVP) spricht mit dem Wegfall der Pflichtveröffentlichungen und dem Aus für die Tageszeitung von einer "betriebswirtschaftlichen Herausforderung", die sie so beziffert: 200 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Gesamtunternehmen (nach STANDARD-Infos rund 40 in der Zeitungsredaktion) bei nach Raabs Angaben 8.000 Leserinnen und Lesern. Gegenüber der APA hielt der Redaktionsbeirat der "Wiener Zeitung" fest, dass die Tageszeitung werktags eine Auflage von rund 20.000 Stück habe. Am Wochenende seien es rund 40.000 Stück.

6,5 Millionen für Publikation

Die "Wiener Zeitung" erhält laut am Mittwoch präsentiertem Gesetzesentwurf von der Republik künftig 6,5 Millionen Euro pro Jahr für die Publikation einer nun online erscheinenden und einmal monatlich gedruckten "unabhängigen" "Wiener Zeitung".

Das Gesetz schreibt dieser Publikation vor:

  • "Informationen über zeitgeschichtliche und gegenwärtige Ereignisse unter besonderer Berücksichtigung von historischen, demokratiepolitischen, wissenschaftlichen und gesellschaftspolitischen Aspekten";
  • "Förderung des Verständnisses und des Interesses für und an politischen Sachverhalten, kulturellen, wissenschaftlichen sowie gesellschaftlichen Entwicklungen";
  • "Stärkung der politischen und kulturellen Bildung und des demokratiepolitischen Bewusstseins, insbesondere durch die Vermittlung von Wissen über politische Prozesse, Strukturen und Inhalte";
  • "Erstellung, Verbreitung und Veröffentlichung von Informationen über wirtschaftliche, wissenschaftliche und kulturelle Themen unter besonderer Berücksichtigung des Standorts Österreich und Themenstellungen der Europäischen Union in Bezug auf Österreich."

Fünf Millionen für Ausbildung und Medienkompetenz

Weiter fünf Millionen Euro vom Bund sichert das Gesetz für den "Mediahub" bei der Wiener Zeitung GmbH zu, im wesentlichen Journalistenausbildung und Medienkompetenz-Vermittlung.

Die Wiener Zeitung GmbH ist dem Bundeskanzler unterstellt, eine damit praktisch staatliche Journalistenausbildung hat etwa ORF-Moderator Martin Thür in der "ZiB 2" am Mittwochabend im Gespräch mit Medienministerin Susanne Raab (ÖVP) hinterfragt. Raab erklärte, "Redaktion und Lehrredaktion sind weiterhin 100-prozentig unabhängig".

Weitere drei Millionen Euro bekommt die "Wiener Zeitung" vom Bund für eine elektronische "Verlautbarungs- und Informationsplattform des Bundes (EVI)" zusammen mit dem Bundesrechenzentrum, heißt es im Entwurf. Raab spricht von einem "digitalen schwarzen Brett" der Republik.

Die staatlichen Beihilfen an die staatliche "Wiener Zeitung" dürften – wie die neue Journalismusförderung – noch einer EU-Prüfung nach dem Wettbewerbs- und Beihilfenrecht unterliegen.

"Tod auf Raten"

"Der Plan, die 'Wiener Zeitung' auf ein Monatsmagazin zu schrumpfen, wäre ihr Tod auf Raten", schrieb die Redaktion am Mittwoch und formuliert in einer Resolution vier Forderungen, darunter etwa "das Bekenntnis der Republik zur unabhängigen Redaktion in vollem Umfang und zu deren qualitätsjournalistischem Auftrag", Redakteure und Redakteurinnen appellieren auch an die Eigentümer und Geschäftsführung, die Mitspracherechte der Redaktion zu achten.

"Cui bono? Wem nützt's?", fragt sich "Wiener Zeitung"-Chefredakteur Walter Hämmerle in seinem Leitartikel, "wenn alles so kommt wie befürchtet, dann verliert die Republik Österreich ein Kulturgut von einzigartigem Wert und eine hervorragende Tageszeitung".

Concordia protestiert gegen "Verstümmelung der Wiener Zeitung"

Als "Verstümmelung der 'Wiener Zeitung'" sieht der Presseclub Concordia das Gesetzesvorhaben. "Während der eine Teil sich zum Ziel setzt, 'die Vielfalt textbasierter Nachrichtenmedien als Grundlage für den öffentlichen Diskurs und die Meinungsvielfalt' zu unterstützen, versetzt der andere einem hochwertigen textbasierten Nachrichtenmedium den Todesstoß – und das ohne Not", so die Concordia. Der Presseclub weist auch auf Vorschläge hin, "um die Zeitung einer neuen Eigentümerstruktur und selbstbestimmten Zukunft zuzuführen".

Der Bund wolle "sich von seinem Eigentum nicht lösen und lässt sich das auch etwas kosten", rechnet die Concordia vor und verweist auf 14,5 Millionen Euro, die "für eine Verlautbarungsplattform, ein zusammengestutztes Informationsmedium und für 'Medienkompetenzvermittlung und Journalistenausbildung' bereitgestellt werden".

"Demokratiepolitisch gefährlich"

Dadurch wolle "ausgerechnet das Bundeskanzleramt zum obersten Schirmherr journalistischer Kompetenzvermittlung werden, denn die mit fünf Millionen Euro marktbeherrschend hoch dotierte Ausbildungsstätte wäre diesem direkt unterstellt", kritisiert der Presseclub Concordia, "das ist demokratiepolitisch gefährlich, denn es widerspricht direkt dem wohl wichtigsten Kriterium für qualitätsvollen und kritischen Journalismus: politischer Unabhängigkeit."

"Schritt in Richtung völliger Einstellung"

Die Österreich-Sektion der "Vereinigung der Europajournalistinnen und -journalisten" (AEJ Austria) bedauerte die Pläne für eine Einstellung der täglichen Printausgabe der "Wiener Zeitung", die als historisch bedeutsames Kulturgut zweifellos gepflegt werden müsse, hieß es in einer Mitteilung. Eine Umstellung auf eine monatliche Erscheinungsweise könnte ein erster Schritt in Richtung völliger Einstellung sein, befürchtete die AEJ. Dies würde der Presse-, Medien- und Meinungsvielfalt sowie der journalistischen Qualität in Österreich einen schweren Schaden zufügen. "Selbstverständlich entsprechen Online-Medien dem Zeitgeist, doch darf der Wert des Printjournalismus nicht gering geschätzt werden", hielt die Journalistenvereinigung fest. Mit entsprechender verlegerischer Kompetenz müsse es möglich sein, ein Geschäftsmodell zu entwickeln, das den Erhalt der täglichen Printausgabe der "Wiener Zeitung" gewährleiste, meinte die AEJ.

Kaup-Hasler bedauert Entscheidung

Wiens Kulturstadträtin Veronica Kaup-Hasler (SPÖ) bedauerte die Entscheidung der Regierung. "In der 'Wiener Zeitung' gibt es wertvollen Raum für verschiedene Meinungen und differenzierte Berichterstattung, auch zu Wissenschaft und Kultur", hielt sie in einer Aussendung fest. "Ich schätze sie als wichtige Stimme." (red, APA, 6.10.2022)