Auf der Suche nach dem Seelenheil: "Heil" von Stefanie Sargnagel im Rabenhof.

Foto: Pertramer/Rabenhof

Wien – "Zentrum für spirituelle Weiterentwicklung" steht in NS-Frakturschrift über der Bühne des Rabenhofs. Schließlich lautet der Titel des neuen Stücks der Wiener Autorin und Cartoonistin Stefanie Sargnagel "Heil – Eine energetische Reinigung". Heil, im Sinne des Seelenheils, nach dem in den kommenden 70 Minuten alle verzweifelt suchen. Und im zweiten, historischen Sinne: Denn was die Sargnagel-Figuren auf der Bühne von sich geben, mag zu Beginn nach dem harmlosen Geplänkel vor dem ersten "Om" einer Yogastunde klingen, steigert sich jedoch im Lauf des Abends zu einem sprachlich fulminanten Crescendo aus Ressentiments und protofaschistischen Machtfantasien.

Sei ein Bergkristall-Delfin!

Sargnagels Stück funktioniert auch deshalb so gut, weil es die Phrasen, die in gewissen esoterisch-alternativen Zirkeln und Internetforen kursieren, nur unmerklich verfremdet, bevor es sie im Setting eines Selbstfindungskurses arrangiert. Die vier Darstellerinnen und Darsteller, Tanja Raunig, Bettina Schwarz, Bernhard Dechant und Alexander Strobele, gruppieren sich mal vor, mal neben dem Publikum, wenn sie inbrünstig behaupten: "Wir können alles sein: ein Adler, eine Fee, der Heiland, Gott, eine Hexe, Satan, selbst der Häuptling Winnetou oder sogar ein Bergkristalldelfin. Wir können uns von Licht ernähren, wenn wir daran glauben."

Einmal fordern sie das Publikum zum Aufstehen und Mitsprechen auf, was dieses – Achtung, Massensuggestion! – willfährig tut. Doch keine Sorge: Diese Inszenierung ist kein Mitmachtheater. Regisseurin Christina Tscharyiski weiß genau, was sie tut.

Sesselkreis und Patschen

Wenn das Publikum die Darstellenden bei ihrem Versuch begleitet, sich "energetisch zu reinigen", ist der Sesselkreis nach vorne offen. Wir sind mitgemeint, wenn Seminarleiterin Gundula kommandiert: "Bitte die Schuhe ausziehen. Ihr könnts euch Patschen aus der Kiste nehmen."

In diesem Raum atmen alle die gleiche rauchschwangere Luft: die Rudolf-Steiner-Pädagogin mit den Rastazöpfen. Der "Alpenschamane" aus dem Pongau. Der Unternehmer, der sich im Widerstand gegen die Impf-"Dämonkratie" befindet. Und Gundula, die passiv-aggressive Energetikerin.

An der Seite der vier Schauspieler fungieren, mal als Bonusdarsteller, mal als musikalischer Support, die fünf Mitglieder der Indie-Band Buntspecht. Sie spielen immer dann einen melodischen Song, wenn der extrem dichte, metareferenzielle Text anstrengend zu werden droht – und so bleibt der Abend kurzweilig und pointiert.

Außen arg, innen empathisch

Im Finale kippt die Sinnsuche der Einsamen und Verblendeten in den karnevalistischen Exzess. In einer zuckenden Stroboskopszene wird der Demokratie der Schauprozess gemacht. Die nette Selbstfindungsgruppe entblößt ihre Fratzen. Und trotzdem: Sargnagel hat ihre Hauptfiguren verstanden und – wichtig – auch verstehen wollen. Sie denunziert nicht für den guten Schmäh. Vielmehr ist dieser Abend außen arg und innendrin empathisch – und vielleicht gerade deshalb genau das, was man in diesen rauen Zeiten braucht. (Maya McKechneay, 7.10.2022)