Erst kürzlich hat Rafael Payare sein Amt als Musikdirektor des Orchestre Symphonique de Montréal angetreten.

Benjamin Ealovega

Erst kürzlich hat Shootingstar Rafael Payare sein Amt als neuer Musikdirektor des Orchestre Symphonique de Montréal angetreten. Nun kommt der gebürtige Venezolaner mit seinem kanadischen Klangkörper für zwei Abende zu einem Gastspiel im Wiener Konzerthaus.

Geboren 1980, durchlief Payare dieselbe Kaderschmiede wie der um ein Jahr jüngere Gustavo Dudamel – die venezolanische Musikausbildung "El Sistema", gegründet von José Antonio Abreu, bei dem er dann auch Dirigieren studierte. Daneben sammelte er an seinem Instrument, dem Horn, wesentliche Erfahrungen als Orchestermusiker im Simón Bolávar Orchestra. Er spielte auch unter Dirigenten wie Giuseppe Sinopoli, Claudio Abbado, Sir Simon Rattle und Lorin Maazel, also mit echten Größen.

Abbado-Assistenz

Schließlich assistierte er Claudio Abbado beim Simón Bolávar Orchestra sowie Daniel Barenboim an der Berliner Staatsoper. Seit dem Sieg beim Nikolai-Malko-Dirigentenwettbewerb in Kopenhagen 2012 ging es dann Schlag auf Schlag. Er wurde Chefdirigent des Ulster Orchestra, von Lorin Maazel als Gastdirigent zum Castelton Festival eingeladen und als dessen Nachfolger zum neuen Chefdirigenten bestimmt.

2016 debütierte er bei den Proms in London, arrivierte 2019 zum Chefdirigenten des San Diego Symphony Orchestra und kam mit Beginn der neuen Saison in derselben Funktion nach Montreal.

Im "Elysium"

Am ersten Abend des Wien-Gastspiels steht Payare ein weiterer, fast noch eine ganze Generation jüngerer Shooting-Star zur Seite: Bruce Liu, der chinesischstämmige, 1997 in Paris geborene und dann in Montreal aufgewachsene Gewinner des 18. Internationalen Klavierwettbewerbs Frederic Chopin 2021 interpretiert eines der gefürchtetsten Werke für Klavier und Orchester, Sergej Rachmaninovs Rhapsodie über ein Thema von Paganini, besser bekannt unter dem Titel Paganini-Variationen. Außerdem auf dem Programm: Elysium des Kanadiers Samy Moussa, ein unter anderem von den Wiener Philharmonikern in Auftrag gegebenes Stück, uraufgeführt 2021 unter der Leitung von Christian Thielemann – ein Stück, vor dem auch traditionsverbundene Hörer keine Angst haben müssen, knüpft es doch an vertrauter Klangsprache großer Orchestermusik an.

Wesentlich "gefährlicher" ist da immer noch Dmitri Schostakowitschs 10. Symphonie, zahlreichen Indizien nach des Komponisten persönliche Abrechnung mit Josef Stalin, die nach langem Kampf in einem wahren Triumph mit den Noten D – Es – C – H (für "Sch" in "Schostakowitsch") kulminiert.

Rätselhaft und populär

Aus Schostakowitschs 10. Symphonie lässt sich auch dessen große Bewunderung für Gustav Mahler ablesen. Mahlers 5. Symphonie ist dann am zweiten Abend des Gastspiels zu erleben, jenes große, rätselhafte Werk, das zugleich auch die populärste Nummer aus seinem Schaffen beinhaltet. Wer kennt nicht das Adagietto, das seit dem Film Tod in Venedig von Luchino Visconti geradezu Pop-Status angenommen hat?

Ob Gustav Mahler nicht dennoch bei seiner nach einer Aufführung geäußerten Meinung bleiben würde? "Die Fünfte ist ein verfluchtes Werk. Niemand kapiert sie."

Interpretatorisch höchst anspruchsvoll, doch zugleich eingängig und sehr beliebt sind die beiden Brahms-Chorkompositionen, die Mahler vorangestellt sind: zum einen Nänie nach Friedrich Schiller, entstanden im Gedenken an Johannes Brahms’ verstorbenen Freund Anselm Feuerbach, zum anderen das Schicksalslied nach Friedrich Hölderlin ("Hyperions Schicksalslied") – beide Werke unter Mitwirkung der Wiener Singakademie. Viel Vergnügen! (Daniel Ender, 8.10.2022)