Der Lehrer, Dozent und Buchautor Georg Cavallar schreibt in seinem Kommentar, dass die Pensionierungswelle und der Lehrkräftemangel nicht überraschend kommen, aber keine präventiven Maßnahmen ergriffen wurden.

Der aktuelle Lehrkräftemangel hat viele Ursachen. Der entscheidende Faktor ist die derzeitige Pensionierungswelle, die seit Jahren vorhersehbar war. Die Verantwortlichen haben jedoch kaum Maßnahmen ergriffen, um das Schulsystem darauf vorzubereiten. Stattdessen wurde die Lehramtsausbildung verlängert. Dazu gibt es weitere Faktoren, die die Misere vergrößern.

Eigentlich ist schon länger bekannt, was der Thüringer Lehrerverband sinngemäß titelte: "Unterrichten gefährdet Ihre Gesundheit". Anekdotische Evidenz (nämlich Gespräche mit Betroffenen) sowie einschlägige Studien kommen zum gleichen Ergebnis. Der Arge Burnout zufolge sind die österreichischen Lehrkräfte jene Berufsgruppe, die am stärksten psychisch belastet ist. Etwa 14 Prozent sind Burnout-gefährdet, vor allem ältere Lehrkräfte, solche in Städten sowie an Mittelschulen. Lehrkräfte klagen über unsinnige bürokratische Tätigkeiten wie Testungen und häufiges Evaluieren, die fehlenden Arbeitsplätze, die mangelnde Ausstattung; sie fühlen sich in der Öffentlichkeit wenig wertgeschätzt und leiden unter Aggressionen unter Schülerinnen und Schülern – diese richten sich aber häufig auch gegen die Lehrperson selbst.

Besonders in Wien war beim Schulstart der Lehrkräftemangel deutlich spürbar. Die Pensionswelle ist aber nicht der einzige Grund, warum es an Pädagoginnen und Pädagogen fehlt.
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Hat die Anzahl verhaltensauffälliger, bildungsferner und lernunwilliger Kinder und Jugendlichen zugenommen? Schwer zu sagen. Hier gibt es anekdotische Evidenz, aber meines Wissens keine empirischen Studien.

Schlechtere Rahmenbedingungen

In den letzten Jahren haben sich die Rahmenbedingungen noch verschlechtert, was die Frustration steigen ließ – zusätzlich zur Belastung durch Corona und das damit verbundene Missmanagement. Ein Beispiel: Im AHS-Bereich wurde unsinnigerweise das Unterrichtspraktikum eingespart. Dieses hatte eine wichtige Funktion, um den Einstieg in den Schulalltag leichter schaffen zu können. Das fällt jetzt aus. Die vorgesetzten Behörden lassen meiner Einschätzung nach mehr als früher jene Kompetenzen vermissen, die gerne in neueren Lehrplänen bis ins Detail ausformuliert werden: Sozialkompetenz und fachliche Kompetenz.

Bildungsdirektionen (BD) machen immer mehr einen überforderten Eindruck: Lehrpersonen erfahren vielleicht erst drei Tage vor Dienstbeginn, ob sie eine Anstellung erhalten oder nicht. Die Bildungsdirektionen stellen teilweise nicht einmal Zuweisungen (geschweige denn Dienstverträge) aus. Klassen bleiben ohne Lehrkräfte, oder den vorhandenen wird noch mehr Arbeit aufgebürdet. Für das Ministerium ist die "digitale Grundbildung" jetzt Thema, dabei haben wir ein riesiges Problem mit bildungsfernen Familien und funktionalen Analphabeten. Und schon wieder gibt es neue Lehrpläne, die noch weiter von der Realität und damit der Umsetzbarkeit entfernt sind als bisher. Phrasen sollen die typischen Schlagwörter wie "Individualisierung" oder "Kompetenzorientierung" konkretisieren, etwa so: "(Die Lehrkräfte) fördern individuelle Lernprozesse durch unterschiedliche und abwechslungsreiche Lernsettings und verwenden dazu passende Lernmaterialien." Auch das vergrößert den Frust.

Sachliche Kritik von Expertinnen und Experten oder von der Opposition sind da ein schwacher Trost – wie etwa die Neos-Bildungssprecherin Martina Künsberg Sarre in ihrem Gastkommentar.

Quereinsteiger

Manche Lehrkräfte stimmen also mit ihren Füßen ab. Bleibt die Hoffnung auf Quereinsteiger: Diese werden – so vermute ich – mit mangelhafter pädagogischer Ausbildung in die Schulen geschickt, wo sie vielleicht in fünf Jahren "verbraucht" sind. Etwa fünf Jahre sind Studien zufolge nötig, um in der Schule richtig "anzukommen" – auch wenn das manche leider nie schaffen. Was für eine Verschwendung von "Humankapital": bei den Lehrkräften, die teilweise frustriert aufgeben (oder weiterwursteln), vor allem aber bei unseren Kindern und Jugendlichen, die wahrlich etwas Besseres verdient hätten.

Wie kann der Beruf attraktiver gemacht werden? Mehr Verständnis für die Schwierigkeiten des Berufes etwa in den Medien – auch wenn das häufig anzutreffende Gejammere von manchen Vertreterinnen und Vertretern einer Berufsgruppe mit insgesamt drei Monaten Ferien im Jahr schwer zu verdauen ist. Mehr Supervisionsangebote vor allem für Burnout-gefährdete Lehrpersonen; Entlastung von entbehrlichen bürokratischen Tätigkeiten; eine Lehramtsausbildung, die besser auf die Härten des Alltags vorbereitet.

Wohl utopisch, aber doch wünschenswert: ein Ministerium und Bildungsdirektionen, die "bedarfsorientiert" mit den Direktionen und dem Schulpersonal zusammenarbeiten. (Georg Cavallar, 10.10.2022)