Akrobatisch wird die Verbindung zwischen der Gutsbesitzerin (Andrea Jonasson) und ihrem Pflegling (Claudius von Stolzmann) angebahnt.

APA/Georg Hochmuth

Sind Dramen der russischen Literatur auch noch so harmlos naturkundlich betitelt wie Der Waldschrat, Der Kirschgarten oder Schneeflöckchen, so tragen sie, wenn auch nicht allzu offensichtlich, doch immer Kritik am System in sich. Der mit insgesamt 47 Stücken überaus produktive und vielzensierte Autor Alexander Ostrowskij (1823–1886) legt in seiner Komödie Der Wald die umstürzlerischen Worte dem Provinzschauspieler Gennadij (Herbert Föttinger) in den Mund: "Ihr befriedigt nur euch selbst."

Das Theater in der Josefstadt, wo Stephan Müller den Text aus dem Jahr 1871 soeben neu inszeniert hat, setzt aber noch eins drauf und stellt ein Gedicht Alexander Puschkins an das Ende des Abends: "Solange gegen Tyranneien / Das freie Herz noch schlägt in uns". Föttinger und sein Bühnenpartner Robert Meyer (in der Rolle des zweiten Provinzschauspielers Arkadij) singen es – unmissverständlich zu lesen als Kommentar auf die Putin’schen Repressionen – auf Russisch.

Commedia dell'Arte

Bis dahin aber gestattet sich das Theater eine dicke, russophile Commedia dell’Arte mit prächtigen Typen. Sie machen sich um die Erbschaft der verwitweten Gutsbesitzerin vor allem ihre persönlich motivierten Sorgen.

Die pensionierten Nachbarn höheren Standes (Michael König und Robert Joseph Bartels) sind für den Moment der Testamentsverkündigung allzeit bereit in feinstes Tuch gehüllt. Der gierige Holzhändler Wosmibratow (Marcello De Nardo) steht ebenso ständig auf der Matte und will sich die mögliche Ehe seines Sohnes (Tobias Reinthaller) mit Axinja (Johanna Mahaffy), der armen Verwandten der Gutsdame, teuer abgelten lassen.

Auch bei der Gutsbesitzerin selbst – sie wird von Andrea Jonasson im dramatischen Witwenornat triumphal verkörpert – gehen Geld und Gefühle zwingend Hand in Hand. Denn sie hat ein Auge auf ihren eigenen Pflegling, den Maturanten Bulanow, geworfen. Wenn der nur nicht so ungelenk und peinlich wäre! Fürwahr hopst und ruckelt dieser "Problemschüler" (Übersetzung Ulrike Zemme) in Gestalt Claudius von Stolzmanns hoppertatschig durch das von einer über die Jahre des Buckelns schon ganz steif gewordenen Dienerschaft beäugte Anwesen. Bei der Premiere sind hier Till Firit und Alexandra Krismer für Alexander Strömer und Susanna Wiegand bravourös eingesprungen.

Zwei Direktoren

Müllers Inszenierung interpretiert vieles über die Schauspielerkörper, das ist spannend, geradezu marionettengleich bewegen sich Firit und Krismer, in dicken weißen Pelz gehüllte Dynamik verströmen die Waldkäufer (De Nardo, Reinthaller; Kostüme: Birgit Hutter). Und wie Gute-Laune-Hula-Hoopen geht, das zeigt Jonasson. Ihr wurde im Anschluss an die Premiere feierlich und in Beisein u. a. auch des Wiener Bürgermeisters die Ehrenmitgliedschaft des Theaters zuerkannt.

Die heimlichen Hauptrollen dieser Komödie auf dem Land geben aber die beiden Provinzschauspieler ab, die völlig mittellos den Gutshof entern, immerhin ist Gennadij der Neffe der Gutsherrin. Von allen erinnern die beiden am meisten an Arlecchino- oder Brighella-Figuren der Commedia dell’Arte, von der sich Ostrowskij als Übersetzer viel abgeschaut hat.

Insiderwitz

Als Duopartner konnte Herbert Föttinger den kürzlich abgetretenen Volksopernchef Robert Meyer gewinnen, vormals Burgtheatermime. Zwei echte Direktoren in der Rolle von Provinzschauspielern – diese Mischung macht sich die Inszenierung in diversen Anspielungen zunutze, was dem Unternehmen aber nicht nur guttut: zu viel Insiderwitz ("Hier bin ich der Direktor").

Föttinger kostet das Leid des großen Tragöden, als der sich Gennadij empfindet, absichtlich pathosschwer aus. Das Getue wird vom Komödianten (Meyer) natürlich sogleich veräppelt. Aber auch da bleibt zu viel Zeit auf der Strecke. Der Witz ist, wenn er endlich ankommt, dann oft schon wieder lau. (Margarete Affenzeller, 15.10.2022)