Dieser Tage erscheint ein Buch von Sebastian Kurz: Sprechen wir über Politik. Kurz war zehn Jahre in der Politik, das war eine sehr bewegte Zeit. Sein Ausscheiden war nicht freiwillig, es sind mehrere Verfahren der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) anhängig.

STANDARD: In den vergangenen Tagen ist ein neues berufliches Engagement von Ihnen bekannt geworden: Sie haben gemeinsam mit dem israelischen Unternehmer Shalev Hulio ein Cybersicherheits-Start-up gegründet. Hulio und seine Firma NSO sind auf Überwachungssoftware spezialisiert. Das Programm Pegasus ist berüchtigt. Ist das nicht ein heikler Partner?

Kurz: Die Zeitform ist inkorrekt. Hulio hat die NSO verlassen. Aber es stimmt, meine beiden Partner in Israel haben sehr viel Erfahrung im cyberoffensiven Bereich gesammelt und bringen diese Erfahrung in unserem neuen Unternehmen Dream Security ein, das aber ein völlig anderes Geschäftsfeld hat. Das Unternehmen bietet Cybersicherheit für kritische Infrastruktur an. Es geht darum, Energie, Wasser und Gesundheitsversorgung vor Attacken zu schützen.

STANDARD: Sie steigen also nicht ins Spionagegeschäft ein und bieten Überwachungssoftware an?

Kurz: Auch wenn das im STANDARD etwas missverständlich dargestellt ist, unsere Firma in Tel Aviv bietet Cybersicherheitssysteme an. Es geht also um die Abwehr von Cyberangriffen und nicht um Trojaner und Spy-Ware.

STANDARD: Ihr Buch "Reden wir über Politik" enthält eine ziemlich harte Medienschelte. Sie sind kein großer Freund etablierter Medien?

Kurz: Ich bin kein Freund von Pauschalurteilen. Aber ich habe sehr wohl den Eindruck, dass Medien manchmal bewusst, manchmal unbewusst Nachrichten verbreiten, die mit der Realität nichts zu tun haben. Beim gestrigen STANDARD-Artikel über mein Engagement in Israel könnte man den Eindruck gewinnen, ich sei in eine Spionagefirma eingestiegen. Wir machen Cybersicherheit für kritische Infrastruktur, also das genaue Gegenteil. So habe ich viele Beispiele erlebt, wo Nachrichten die Runde gemacht haben, die weit weg waren von der Realität. Als ich Staatssekretär wurde, wurde auch in sogenannten Qualitätsmedien verbreitet, ich sei in Hietzing mit dem goldenen Löffel im Mund aufgewachsen. Tatsächlich bin ich in Meidling aufgewachsen, meine Eltern kommen aus sehr normalen Verhältnissen, und ich war keinen einzigen Tag in einer Privatschule. Ich habe mit Medien meine eigenen Erfahrungen gemacht.

Ein Jahr nach seinem Rücktritt als Bundeskanzler arbeitet Sebastian Kurz seine Zeit in der Politik auf.
Foto: Christian Fischer

STANDARD: Ihr Verhältnis zu Social Media scheint dagegen recht positiv zu sein. Sie schildern in Ihrem Buch den Vorteil der direkten Kommunikation. Andererseits sind die sozialen Medien bekannt für den rauen Ton, für die Hassbotschaften, die verbreitet werden, und vor allem für die schnellen Urteile, denen man dort ausgesetzt ist. Sie bekommen ja auch nicht nur positives Feedback. Das stört Sie gar nicht?

Kurz: Es gibt wie überall im Leben Vor- und Nachteile. Es stimmt, dass ich in der Zeit in der Politik die sozialen Medien sehr intensiv genützt habe. Das war ein gutes Instrument, um mit vielen Menschen direkt zu kommunizieren und auch Rückmeldungen einzuholen. Da kommt man in einen wesentlich intensiveren Austausch, als das bei einem kurzen physischen Kontakt möglich ist. Die Kritikpunkte, die Sie aufgezählt haben, sind auch alle korrekt. Das ist definitiv ein Problem unserer Zeit.

STANDARD: In Ihrer Amtszeit hat die Message-Control um sich gegriffen. Die Medien haben das als Gleichschaltung der Öffentlichkeit gesehen.

Kurz: Da gibt es unterschiedliche Blickwinkel auf ein und dieselbe Sache. Von den Medien wurde der Versuch einer Message-Control als etwas Negatives gesehen. Das Ziel war schlicht und ergreifend, uns selbst zu kontrollieren und eine möglichst geordnete Regierungskommunikation sicherzustellen. Das war ein Streben nach Professionalität und der Versuch, keinen ständigen Widerspruch unterschiedlicher Regierungsmitglieder in der Öffentlichkeit zu haben. Wir wollten zuerst in der Regierung eine Linie finden und diese dann gemeinsam und geschlossen nach außen vertreten.

STANDARD: Sie äußern sich nicht sehr positiv über das Parlament, dort herrsche Aggressivität, als ob das der Hort des Bösen sei. Dabei ist das Parlament doch der Hort der Demokratie.

Kurz: Das Parlament ist natürlich der Hort der Demokratie, und als jemand, der gemeinsam mit meinem Team stärkste Fraktion im Parlament wurde, weiß ich das sehr gut. Auch für mich gibt es weder ein besseres Modell noch eine Alternative zum Parlamentarismus. Aber es muss einem gestattet sein, eine Meinung zum Umgangston dort zu haben. Anderen liegt das vielleicht, mir gar nicht. Ich mag die Art und Weise, wie dort oftmals Auseinandersetzungen stattfinden, nicht. Immer wieder sehr persönlich. Mit dem Wunsch nach einem möglichst sachlichen und weniger emotionalen und respektlosen Umgang bin ich sicher nicht alleine. Hoffe ich zumindest.

STANDARD: Sie haben die Grünen in die Regierung geholt, letztendlich haben die Grünen Sie aus der Regierung gekickt. Werner Kogler hat Ihnen die Amtsfähigkeit abgesprochen. Bereuen Sie es, mit den Grünen eine Koalition eingegangen zu sein?

Kurz: Da ich keine Illusionen über die Grünen gehabt habe, gibt es auch keinen Anlass, der diese Illusionen zerstört haben könnte. Ich habe mich ganz bewusst dazu entschieden, neue Wege zu gehen und Veränderung zu wagen. Als mein Team und ich das erste Mal gewählt wurden, das war 2017, war das Land vom Stillstand der großen Koalition geprägt. In der damaligen Zeit war unser großer Wunsch, Veränderung herbeizuführen, daher die Entscheidung, mit der FPÖ eine Koalition zu bilden und in weiterer Folge dann mit den Grünen. Dazu stehe ich.

Ex-Kanzler Sebastian Kurz wünschte beim ÖVP-Parteitag seinem Nachfolger Karl Nehammer nur das Beste und bedankte sich bei seiner Partei für zwei "prägende" Jahrzehnte.
DER STANDARD

STANDARD: Sie gehen in Ihrem Buch auch auf die WKStA und die Chats ein, die letztendlich ausschlaggebend für Ihr Ausscheiden aus der Politik waren. Das Einzige, was Ihnen offenbar wirklich leidtut, sind der "Riesen Oasch" für Reinhold Mitterlehner und die Angriffe auf die katholische Kirche. Kann man das so zusammenfassen?

Kurz: Ich habe in dem Buch nur zu Chats Stellung genommen, die ich entweder selbst geschrieben habe oder deren Empfänger ich war. Auf Chats, die ich weder geschrieben noch empfangen habe, gehe ich nicht ein.

STANDARD: In den Chats wird eine regelrechte Postenschachermaschine sichtbar, da teilen sich Ihre Mitarbeiter und Vertrauten die Republik auf.

Kurz: Obige Antwort passt auch hier.

STANDARD: Auf die strafrechtlichen Vorwürfe gegen Ihre Person gehen Sie kaum ein. Keine Verteidigung?

Kurz: Ich habe natürlich geschrieben, dass es Ermittlungen und Vorwürfe gegen mich gibt. Als diese Vorwürfe gegen mich erhoben wurden, habe ich mich geärgert, ich habe das als ungerecht empfunden, es hat mich auch in meiner Tätigkeit in der Politik behindert, da der politische Gegner die Anschuldigungen klarerweise auch genutzt hat. Jetzt in meinem täglichen Leben und in meiner wirtschaftlichen Tätigkeit spielen diese Vorwürfe keine Rolle mehr. Sie sind daher für mich auch mäßig relevant. Aber ich gebe zu, ich freue mich schon sehr auf den Tag, an dem sich diese Vorwürfe als falsch erweisen, so wie das bei vielen meiner Mitarbeiter und Kollegen schon geschehen ist. Diesen Moment werde ich sehr genießen.

STANDARD: Sie schreiben, dass Sie sich, rückblickend gesehen, wohl nicht mit der WKStA hätten anlegen sollen. Ihren Ursprung hatte diese Auseinandersetzung bei einem Hintergrundgespräch, bei dem Sie sinngemäß gesagt haben, die WKStA sei rot durchsetzt und habe eine politische Agenda. Sehen Sie das immer noch so?

Kurz: Ich muss heute nicht mehr jeden Krieg führen, ich beschäftige mich mittlerweile mit anderen Dingen. Was ich sagen kann, ich bin ein großer Freund von Zahlen, Daten und Fakten. Wenn Sie sich anschauen, gegen wie viele Personen der Volkspartei in letzter Zeit Vorwürfe erhoben wurden und bei wie vielen Personen sich diese Vorwürfe als falsch herausgestellt haben, dann sprechen diese Zahlen doch eine sehr deutliche Sprache.

STANDARD: Die Politik scheint Ihnen jedenfalls nicht abzugehen.

Kurz: Ich habe es immer sehr genossen, einen Beitrag in Österreich zu leisten. Ich gebe zu, dass ich mit ähnlicher Begeisterung jetzt privatwirtschaftlich tätig bin. Aber ich blicke sehr gerne auf diese schöne und prägende Phase der Politik zurück.

STANDARD: Die Nachrede, die Sie haben, ist aber nicht die beste.

Kurz: Das kommt immer darauf an, mit wem Sie reden.

(Michael Völker, 14.10.2022)