Verteidigungsministerin Klaudia Tanner (ÖVP) beobachtet eine Übung in Allentsteig.

Foto: HBF/Heinschink

Mehr als 15.000 Hektar Fläche sind es, die zwischen Ottensteiner Stausee und Allentsteig das größte militärische Sperrgebiet Österreichs bilden. Zwischen 1938 und 1941 haben hier die Nationalsozialisten rund 7.000 Menschen aus 42 Ortschaften vertrieben, um Platz für Übungen der Wehrmacht zu schaffen. Heute sind 70 Prozent des Areals als Natura-2000-Schutzgebiet ausgewiesen. Verwaltet wird das Areal als Truppenübungsplatz (Tüpl) vom Verteidigungsministerium – und steht dafür immer wieder in der Kritik. Vor einem Jahrzehnt beherrschten Korruptionsvorwürfe wegen Politikerjagden den Diskurs um den Tüpl. Heute dominieren Waldbrände und Vorwürfe der Misswirtschaft.

"Man fühlt sich als Eindringling"

"Würdest du eine Firma führen, wie es das Bundesheer mit dem Tüpl macht, wärst du schon lang in Konkurs", bringt ein Jäger seine Kritik auf den Punkt. Der Mann mietet mit anderen ein Jagdrevier in der Randzone des größten Truppenübungsplatzes Österreichs.

Weil die Hälfte des Areals als blindgängerverseucht gilt, darf ein Großteil des Areals nur vom Tüpl-eigenen Personal bejagt werden. Externe Jäger können nur unter Aufsicht durch Tüpl-Personal oder in den Randzonen jagen. "Hier werden Abschussverträge zeitlich und räumlich begrenzt an Interessierte gegen Bezahlung vergeben", erklärt Oberst Andreas Berger, der Jagdbeauftragte des Tüpl, auf STANDARD-Anfrage. Die Jagd bringt dem Bundesheer 280.000 Euro Umsatz pro Jahr ein. Das jährliche Gesamtbudget des Tüpl betrage rund 10,5 Millionen Euro.

"Man fühlt sich nicht als Kunde, sondern als Eindringling", berichtet der Vertragsnehmer im Gespräch mit dem STANDARD. Sprechen will er nur unter Zusicherung der Anonymität. Ein anderer, der ebenfalls ungenannt bleiben will, berichtet: "Man merkt, die Bediensteten vom Bundesheer wollen uns dort nicht haben." Ersterer spricht vom Tüpl als einer abgeschlossenen "Wohlfühloase" für Militärbedienstete.

Günstiges Jagen

Bis 2012 unterstand das Areal der Heeresforstverwaltung. Damals nutzten Ex-Minister, Raiffeisen-Bosse und ÖVP-nahe Industrielle den Tüpl als Gelegenheit, günstig jagen zu gehen oder sich gar einladen zu lassen. Obwohl der Tüpl finanziell damals schlecht dastand, durften unzählige Promis unentgeltlich jagen. Vermutet wurden Gegenleistungen, insbesondere von der Politik. 2012 wurde das Areal dann dem Tüpl-Kommando unterstellt, man wolle in Zukunft wirtschaftlicher arbeiten, hieß es damals aus dem Verteidigungsministerium. Wenige Jahre später tauchten wieder Vorwürfe auf, diesmal: Misswirtschaft. Das Verschwinden von Holz im Wert von mindestens 180.000 Euro konnte bis heute nicht geklärt werden. Mit der Wirtschaftlichkeit ist es also so eine Sache beim Tüpl, wie auch der Rechnungshof konstatierte.

Bis heute? Einige seiner Mitvertragsnehmer in Allentsteig hätten "schon den Hut draufgehaut", sagt der erfahrene Jäger, der Betrieb sei daher nicht ausgelastet. "Uns werden vom Personal so viele Prügel zwischen die Füße geworfen, wie es nur geht." Hauptkritikpunkt sei der fehlende Austausch. "Es gibt null Kommunikation. In Zeiten eines schmalen Heeresbudgets sollten wir aber eine willkommene Einnahmequelle sein," findet er.

Andreas Berger bestreitet das. Die Kommunikation erfolge schriftlich, auch die Telefonnummern der Zuständigen seien für alle verfügbar. Aktuell seien "alle 17 Pirschbezirke" vergeben, lässt man auf Anfrage beim Bundesheer wissen. Unterlagen, die der STANDARD vorliegen hat, zeigen, dass der Tüpl 2018 aber noch 27 Pirschbezirke vergab. Zehn Pirschbezirke, die im Mittel je 8.000 Euro pro Jahr einbringen würden, scheinen zurückgegeben worden zu sein. Einnahmen, die vom Steuerzahler subventioniert werden müssten, nachdem sie der Tüpl offenbar nicht mehr selbst erwirtschafte.

Ökologische Probleme

Darüber hinaus kämpft der Tüpl mit ökologischen Probleme. Die behördlich vorgegebenen Abschusszahlen seien so hoch angesetzt, dass demnächst der gesamte Hirschbestand zu verschwinden drohe, warnt einer der beiden Jäger. Auch Wölfe und Leberegel tragen das ihre zur Minimierung der Wildpopulation bei. Mufflons seien auf dem Areal bereits ausgestorben.

In Abstimmung mit der Bezirksbehörde Zwettl sei dieses Jahr jedenfalls der Abschuss von 423 Hirschen und 390 Rehen vorgeschrieben, lässt Andreas Berger wissen. Die letzten Jahre konnte man die Vorgaben jedoch nicht ganz erfüllen. In erster Linie gehe es um die Nutzung des Geländes für Übungen des Militärs. "Dem hat sich alles zu unterwerfen", so Oberst Berger.

Das führt mittlerweile zu alljährlichen Waldbränden. Dieses mal brannte schon im Frühling der Wald am Tüpl. Zwar sei schon Wochen zuvor die Waldbrandgefahr als hoch eingeschätzt worden, trotzdem: "Am 26. März entstand gegen 10.45 Uhr im Zuge eines Artillerieschießens durch eine Sprenggranate ein Flurbrand", ist in der aktuellen Ausgabe der "Tüpl-Rundschau" zu lesen. Laut der Universität für Bodenkultur Wien war dies die "größte zusammenhängende Vegetationsbrandfläche in Österreich seit Ende des 19. Jahrhunderts".

In ihrer Antwort auf eine parlamentarische Anfrage des grünen Abgeordneten Martin Litschauer schreibt Verteidigungsministerin Klaudia Tanner (ÖVP), dass 1.054 Hektar, davon fast die Hälfte Wald, betroffen gewesen seien. "Die gesamte Brandfläche befindet sich in einem Natura-2000-Schutzgebiet." Obwohl der Brand sieben Prozent der Tüpl-Gesamtfläche betroffen habe, seien "keine negativen Auswirkungen auf das gesamte Ökosystem gegeben".

Ebenso jährlich habe der Truppenübungsplatz mit starkem Borkenkäferbefall zu kämpfen. Bis zu 560 Hektar Wald wurde seit 2015 jedes Jahr vom Käfer geschädigt. Die Waldbrände auf dem Tüpl seien mittlerweile so massiv, weil der Forst durch den Borkenkäferbefall lichter ist, erklärt Oberst Herbert Gaugusch auf STANDARD-Anfrage. Gaugusch leitet den Tüpl schon das dritte Jahr interimsmäßig, obwohl die Präsidentschaftskanzlei dem Verteidigungsministerium seine Ernennung zum Leiter gleich zweimal versagte.

Herbert Gaugusch ist aber bemüht, den Tüpl "zukunftsorientiert" aufzustellen, wie er sagt. Aktuell baue man für das Bundesheer eine Trainingsortschaft mit rund 60 Gebäuden für Terror- oder Katastropheneinsatz-Übungen. "Wir versuchen mit Herausforderungen aktiv umzugehen." So werde gerade auch über eine Aufstockung der Tüpl-eigenen Feuerwehr verhandelt. Wichtig sei ihm, dass "alles immer transparent ist, dass man Gerüchte aus der Welt schaffen kann". Denn die ranken sich um den Tüpl Allentsteig wie Bohnen um den Gartenzaun: hartnäckig.

Die wehrpolitische Gerüchteküche

Bis heute tauchen immer noch Gerüchte über Gratisjagden mit Politikern auf dem Tüpl auf. "Gibt’s schon lang nicht mehr!", betont Langzeit-Interimsleiter Gaugusch. Ausnahmen müssten gut begründet werden, wie das auch der Rechnungshof im Anschluss an eine Untersuchung vor Jahren gefordert hat. Seit 2013 seien auf allen österreichischen Truppenübungsplätzen nur mehr drei unentgeltliche Abschüsse genehmigt worden, alle "aus wehrpolitischem Interesse".

Auf Nachfrage beim Bundesheer-Sprecher, welches Interesse dies genau gewesen sei, schreibt Michael Bauer: Die beiden Abschüsse am Tüpl Allentsteig im Jahr 2013 und 2014 "wurden als Ballspende für den Jägerball des Burgenländischen Jagdverbands ermöglicht" – um sich für die Unterstützung des Jagdverbands "bei der Planung und Durchführung von Einsätzen (z. B. der Assistenzeinsatz an der Grenze)" zu revanchieren. "Der Schütze war ein Tombolagewinner des Jägerballes."

Die letzte unentgeltliche Jagd auf einem Truppenübungsplatz österreichweit fand dem Heeressprecher zufolge im Übrigen 2017 statt: "Nach Genehmigung des Generalstabschefs wurde ein Angehöriger einer befreundeten Armee zum Abschuss von Schwarzwild am Tüpl Bruckneudorf eingeladen." Nicht sagen aber wollte man, wer konkret die Wildschweine gejagt hatte oder um welches "befreundete Land" es sich handelte. (Christof Mackinger, 16.10.2022)