Die Haushälterin Therese (Julia Kreusch) und ihr Lover, Herr Pfaff (Puppe, geführt von Manuela Linshalm).

Johannes Hammel

Das Theater setzt mit Vorliebe Romane anstelle von Stücken auf die Spielpläne. Das kommt nicht zuletzt daher, dass Posawerke meist jene psychologisch-realistische Erzählweise aufbieten, welcher Theaterautorinnen und -autoren heute weitgehend misstrauen. Manche Romane eignen sich obendrein ganz besonders als Theaterstoff, zum Beispiel das eheliche Gruseldrama in Die Blendung von Elias Canetti. Das Landestheater Niederösterreich hat es also wieder getan und einen Roman dramatisiert.

Landestheater Niederösterreich

Der Psychiater und Schriftsteller Paulus Hochgatterer verfasste eng entlang des Originalsprachduktus aus den 1930er-Jahren ("Ich küss‘ die Hand, Gnädigste") eine Fassung, die den 600-Seiter auf der Bühne in zweieinviertel Stunden packt und die Geschichte ins Märchenhafte zieht: Der weltfremde Gelehrte und Bibliothekar Kien ehelicht seine Haushälterin, wird von ihr hinausgeekelt und findet sein Ende schließlich im Feuer der eigenen, geliebten Bücher.

Regie führt Nikolaus Habjan, der das Monströse dieser nicht ganz durchschaubaren Figuren und der sie miteinander verwickelnden Vorgänge mithilfe von Puppen ausdrückt. Es funkeln die Glasaugen abscheulicher Charaktere, alle voran des gewalttätige Hausbesorgers Pfaff, dessen Puppe Manuela Linshalm mit dickem Wanst und betonfarbigen Schlägerhänden spielt – und einem sadistischen Wienerisch, das die Ohren wackeln lässt.

Geschmeidige Hinterfotzigkeit

Auch nicht von schlechten Eltern ist der grindige Schachspieler Fischerle (Laura Laufenberg mit Buckel, aber mit geschmeidiger Hinterfotzigkeit), der Gewinn aus den Büchererlösen im Pfandleihhaus schlägt. Oder der wie aus dem Jenseits dirigierende Polizeikommandant (Tim Breyvogel). Mit dieser monströsen Gesellschaft können die beiden Hauptfiguren, Professor Kien (Bettina Kerl) und seine Haushälterin und alsbaldige Gattin Therese (Julia Kreusch), ohne Puppenhilfe leibhaftig mithalten.

Anstelle den Roman, wie meist üblich, näher an die Gegenwart zur rücken, weist der Abend in seinem Gehabe noch weiter in die Vergangenheit und entrückt ihn einer konkreten Zeit. So geht die hier eiskalt berechnende Therese (Kreusch) im historischen Tournürenrock zur Sache (Kostüme: Denise Heschl). Kreusch treibt mit einer komisch-unheimlichen Körpermechanik zügig durch den Abend. Scheinheilig tätschelt sie zum Wohlgefallen des Professors das in ein weißes Spitzentuch gehüllte Buch, und macht im Handumdrehen aus dem Schonbezug den Brautschleier.

Büchergruft

Von Anfang an wirkt die Wohnung mit ihren vielen dunklen Bücherwänden und -gängen wie eine Gruft, auch die Szenen in Hotel und Pfandleihaus feiern mit finsterer Folterkammeroptik einen Märchenrealismus (Bühne: Jakob Brossmann), dessen Patina einen bisweilen an ein vorgezogenes Weihnachtsmärchen denken lässt. Es hätte allerdings so auch schon vor zwanzig Jahren stattfinden können.

Dennoch ist der Abend prädestiniert für einen Publikumserfolg. Habjan und Hochgatterer sind Namen mit gewisser Magnetwirkung, und Canettis Blendung in Wahrheit ein bewährter Bühnenstoff. 2016 hat Margit Mezgolich am Theater an der Gumpendorfer Straße in Wien eine eigene Fassung erstellt, 2005 inszenierte Friederike Heller eine am Schauspielhaus Graz, und Helmut Peschinas Bearbeitung für Ö1 wurde 2002 gar "Hörspiel des Jahres". (Margarete Affenzeller, 17.10.2022)