Moderne Prognosemodelle können bei der Vermeidung von Erkrankungen helfen und erbbedingte Zuchtprobleme verringern.
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Von kaum einem anderen Lebewesen kennen wir so viele Details wie von Milchkühen. Bis vor kurzem lagen die jeweiligen Daten jedoch sehr verstreut vor. Ein kürzlich abgeschlossenes Projekt schaffte nun deren Zusammenführung. Damit lassen sich neben der Leistungsfähigkeit der Tiere auch deren Gesundheit und Wohlbefinden verbessern. Das vom Klimaschutzministerium geförderte Projekt trägt den Titel D4Dairy, wobei die vier D für die englischen Begriffe für Digitalisierung, Datenintegration, Erkennung (Detection) und Entscheidungsfindung (Decision-Making) in der Milchwirtschaft (Dairy) stehen.

Das erste Ziel während der vierjährigen Laufzeit war die Zusammenführung der massenweise vorhandenen Daten zum österreichischen Milchvieh. Gesammelt werden manche davon bereits seit den 1960er-Jahren, doch in den vergangenen Jahren wurden völlig neue Informationsquellen erschlossen. Daten werden nun auch von Melk- und Fütterungsrobotern gesammelt sowie von Sensoren, die die Tiere teils an einem Halsband, teils als verschluckbare Geräte im Pansen tragen.

Internationaler Austausch geplant

31 Wirtschafts- und 13 Forschungsinstitutionen waren an dem Projekt beteiligt, mehr als 300 Landwirtinnen und Landwirte nahmen an Pilotstudien dazu teil. Entsprechend groß war die Herausforderung, ein Konzept für den Austausch und die Nutzung der Daten bei entsprechendem Datenschutz zu entwickeln, wie Projektleiterin Christa Egger-Danner von der Rinderzucht Austria betont. Da die entsprechenden Lösungen auch international verwendbar sein sollen, waren zudem entsprechende Standardisierungen notwendig. Der Aufwand hat sich gelohnt, denn wie das Projekt zeigte, kann die Fülle an Daten massiv dazu beitragen, den Gesundheitszustand der Tiere zu verbessern.

Dazu wurden vom ebenfalls beteiligten Complexity Science Hub (CSH) die österreichischen Milchviehbetriebe aufgrund Parameter wie Größe, Lage, Haltung und Fütterung der Tiere in fünf Kategorien eingeteilt. Jede davon weist ein jeweils anderes Risikoprofil für häufig auftretende Krankheiten auf. So ist etwa die Wahrscheinlichkeit, dass eine Kuh an chronischer Euterentzündung erkrankt, in Hochleistungsbetrieben zwei- bis dreimal so hoch wie auf kleinen Höfen, speziell wenn die Tiere den Sommer auf der Alm verbringen, erklärt Peter Klimek vom CSH. Der österreichischen Öffentlichkeit ist er seit Covid-19 bestens auch als Datenexperte für menschliche Erkrankungen bekannt.

Vorhersagegenauigkeit etwa 80 Prozent

Prinzipiell sind Kühe mit Auslauf gesünder als in Anbindehaltung, aber auch das gilt nicht für alle gesundheitlichen Probleme: So tritt Lahmheit eher bei freilaufenden Tieren auf als bei solchen, die den Stall nicht verlassen – vorausgesetzt, ihre Boxen sind mit genügend weicher Streu versehen. Das Projekt konnte zeigen, dass die Datenfülle eine enorme Rolle bei der Vorhersagbarkeit von Krankheiten spielt: "Mit den integrierten Daten erreichen wir bei Lahmheit eine Vorhersagegenauigkeit von etwa 80 Prozent", erklärt Klimek. Bei Daten, die in den Betrieben erhoben werden, liegt die Genauigkeit bei 20 Prozent und mit den Routinedaten praktisch bei null.

Die Forschenden wollen jedoch nicht nur Prognosen für ganze Herden erstellen, sondern für jedes einzelne Tier. "Da sind dann auch die individuelle Krankheitsgeschichte und genetische Daten dabei", erklärt Klimek. Schon zu Projektbeginn standen tierärztliche Diagnosen für hunderttausende Kühe und Genom-Sequenzierungen für mehr als 50.000 Tiere zur Verfügung. Wertvolle Informationen zum Gesundheitszustand lassen sich auch mittels Infrarotuntersuchungen der Milch gewinnen, wie sie bei der Milchleistungsprüfung durchgeführt werden.

So lässt sich etwa das Risiko der häufigen Stoffwechselerkrankung Ketose aus der Milch ablesen. Das soll auch in die Zucht einfließen: Laut Egger-Danner ermöglichen die Projektergebnisse nun auch für Stoffwechselerkrankungen die Erstellung eines sogenannten Zuchtwertes, der die Wahrscheinlichkeit angibt, mit der ein Tier diesbezügliche Eigenschaften vererbt.

Weniger Antibiotika als Ziel

Auch zum Ziel, den Einsatz von Antibiotika in der Milchwirtschaft zu reduzieren, konnte das Projekt beitragen: Einige Wochen vor der Geburt eines Kalbes werden die Kühe "trockengestellt", also nicht mehr gemolken. In dieser Zeit sind die Muttertiere sehr anfällig für Euterentzündungen, die häufig zu einer dauerhaften Verschlechterung der Eutergesundheit führen, wie der am Projekt beteiligte Tierarzt Walter Obritzhauser erklärt.

Deshalb wurden ab den 1960er-Jahren vorsorglich Antibiotika verabreicht. Da diese jedoch lange niederschwellig im Gewebe verbleiben, stellen sie ein hohes Risiko für die Bildung von Resistenzen dar. Auf Basis der Projektdaten wird nun ein betriebsspezifisches und tierindividuelles Modell entwickelt, das es Landwirtinnen ermöglicht, Antibiotika nur bei Kühen einzusetzen, die tatsächlich ein hohes Erkrankungsrisiko haben.

Das Projekt ist zwar abgeschlossen, aber die Forschung geht weiter: In Zukunft sollen laut Klimek Futterimporte im Sinne der Nachhaltigkeit untersucht werden sowie die Effekte zunehmender Hitzeperioden auf die Gesundheit der Kühe. (Susanne Strnadl, 27.10.2022)