Wie auf dem OP-Tisch liegt die blassgrüne Retrolampe vor Christian Brunner. Er ist ausgebildeter Elektrotechniker, der "Lampendoktor" wird er auch genannt. Um ihn herum: eine Reihe an Werkzeugen, Fassungen, Gewinden und zehn schaulustige Workshop-Teilnehmer, die vom Profi lernen wollen. Brunner inspiziert die Lampe. Er öffnet den Zwischenschalter, löst die Leitungen, platziert sie in einem neuen Schalter und verschraubt alles gut. Die Workshop-Teilnehmer applaudieren, als die kaputt geglaubte Lampe wieder leuchtet. Sie alle sind gekommen, um etwas übers Reparieren, Recyceln und Wiederverwerten zu lernen. Denn darum dreht sich alles beim ersten Wiener Re:pair-Festival, das noch bis 6. November läuft.

Christian Brunner alias der "Lampendoktor" bietet zusammen mit seiner Frau Claudia seit vier Jahren einen Reparaturservice rund um Lichttechnik an.
Foto: Judith Steinkellner

Nachhaltiger Trend

"Ich will das Reparieren wieder hip machen, es aus der Öko-Ecke herausholen", sagt Tina Zickler. Sie ist Veranstalterin des Festivals. Reparatur ist eines ihrer Herzensthemen. "Wir müssen angesichts der Klimakrise einfach anpacken und versuchen, das Ruder rumzureißen." Im Reparieren sieht Zickler einen Schlüssel dazu. Deshalb organisierte sie im Rahmen des Festivals über 100 Veranstaltungen zum Thema Nachhaltigkeit und Recycling.

Die meisten davon finden im Wiener Volkskundemuseum statt. Aber auch das Technische und Kunsthistorische Museum, die Soho Studios, das Volkstheater oder das WUK sind Spielstätten des Re:pair-Festivals. Auf vielen der Events können Besucherinnen und Besucher auch selbst Hand anlegen, mitgebrachte Gegenstände reparieren und reparieren lassen oder neue Techniken der Reparatur erlernen.

Organisatorin Tina Zickler initiiert und kuratiert seit zehn Jahren diverse Projekte und Ausstellungen.
Foto: Kollektiv Fischka / Stefanie Freynschlag

Eine davon ist Ulrike (48). Sie kommt mit einer großen Tasche zum Workshop. Darin sind zwei alte, defekte Lampen. "Eine davon ist noch von meiner Schwiegermutter, deshalb fällt es mir schwer, mich davon zu trennen", erklärt Ulrike. Sie hofft auf das Können des "Lampendoktors". Wie viele Besucherinnen und Besucher ist sie reparaturaffin. Den Flyer für das Festival hat sie auf einem Recycling-Workshop für Kleidung entdeckt, den sie mit ihren Kindern besucht hat.

Auch Simone (50) "liebt" Recycling. Sie unterrichtet technisches und textiles Werken an einer Wiener Schule mit dem Schwerpunkt Nachhaltigkeit. "Ich recycle gerne, und eigentlich alles. Wenn Deckel von Einmachgläsern kaputt sind, werden sie mit dem 3D-Drucker nachgedruckt."

Den Vorwurf, Reparatur und Nachhaltigkeit sei nur etwas für Bobos, die es sich leisten können, weist Zickler vehement zurück: "Die Leute sind hochgradig motiviert. Es interessiert über die Schichten und Altersgruppen hinweg alle." Das könne man am positiven Feedback der ersten Festivaltage sehen.

Auch eine Erhebung des Reparaturnetzwerks Wien legt einen Aufwärtstrend im Sektor Reparatur nahe. So stieg von 2020 auf 2021 nicht nur die Zahl seiner Mitgliedsbetriebe um 50 Prozent, sondern auch die Menge an Reparaturen pro Betrieb um acht Prozent. Maximilian Wagner vom Re-Use- und Reparaturnetzwerk RepaNet hat eine einfache Erklärung dafür: "Ein Hauptgrund ist die Einführung des bundesweiten Reparaturbonus. Aber auch die aktuelle wirtschaftliche Entwicklung trägt dazu bei, dass Menschen mehr Reparaturen in Erwägung ziehen."

Ein weiteres Highlight des Festivals: Kunststudierende der Angewandten restaurieren live Keramiken aus der Sammlung des Volkskundemuseums.
Foto: Kollektiv Fischka / Stefanie Freynschlag

Geflickt, geklebt, gebunden

Zickler führt durch die hohen Räume des Volkskundemuseums, in denen das Thema des Festivals auf vielfache Weise umgesetzt wurde. An den Wänden des Veranstaltungssaals hängen Hosen, Kleider und Röcke, die mit Patches ausgebessert, Paillettenbändern repariert oder mit Nadel und Faden geflickt wurden. Auf einem recycelten Metallregal reihen sich eingesendete Reparaturstücke aneinander: ein knallroter Wäschekorb, dessen gebrochener Henkel mit einem Stück Wäscheleine umwickelt wurde, gestopfte Schafwollsocken oder ein gerissener Lindenholzhocker, der von einer neongrünen Schnur zusammengehalten wird.

Zickler will die Menschen inspirieren: "Beim Reparieren muss nicht alles perfekt sein. Das Coole daran: Es ist ein Akt der Selbstermächtigung. Man muss seine Kreativität in Anschlag bringen und schafft dadurch auch eine ganz andere Verbindung zu den Dingen." Außerdem: Vor hundert Jahren sei es noch Usus gewesen, kaputte Gegenstände zu reparieren. Das wird im Nebenraum schnell klar. In der Ausstellung "Vor der Wegwerfgesellschaft" werden Objekte aus der Sammlung des Volkskundemuseums von der Renaissance bis zur Gegenwart präsentiert, die offensichtliche Spuren einer Reparatur aufweisen. Die Ausstellung ist überschaubar, aber mit viel Liebe zum Detail kuratiert.

Zusammengenäht, ausgebessert und geflickt: Reparierte Kleidungsstücke zieren die Wände des Veranstaltungssaals im Volkskundemuseum.
Foto: Kollektiv Fischka / Kramar

Reparieren statt konsumieren

Beim Lampendoktor sieht man indes viele glückliche Gesichter. Die Bilanz der Sprechstunde? Fünf der mitgebrachten Lampen wurden repariert, eine für tot erklärt. Besitzerin Birgit (63) zeigt sich gelassen: "Ein alter Flohmarktfund. Aber ich heb die Lampe noch auf, vielleicht mach ich irgendetwas anderes daraus." Auch Lampendoktor Christian Brunner ist zufrieden. Das Hauptaugenmerk seines Unternehmens liegt in der Entwicklung elektronischer Systeme. Durch die Reparatur will Brunner in erster Linie einen Beitrag zum Umweltschutz leisten: "Müllvermeidung ist da der Hauptfokus", sagt er.

Das Re:pair-Festival findet unter dem Slogan "Konsumierst du noch oder reparierst du schon?" statt. Genau diese Frage müsse sich früher oder später jede und jeder stellen, ist sich Festivalveranstalterin Zickler sicher. "Die Leute sind zum Konsum erzogen. Uns wird permanent eingetrichtert: Wenn du das und das hast, dann wirst du glücklich. Aber Konsum macht nicht glücklich." Auch nächstes Jahr will Zickler ein Festival zum Thema Reparatur und Konsum veranstaltet. Dann aber mit einem Fokus auf Mode. (Judith Steinkellner, 22.10.2022)