Margarethe Ottilinger, 1955 bei ihrer Rückkehr aus dem Gulag.

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"Lassen Sie mich arbeiten." Mit diesen Worten weist Margarethe Ottilinger all jene in die Schranken, die ihrem Wunsch und Drang, etwas unbeeinflusst zu bewirken, im Weg stehen. Wer willfährige Vorstandsdirektorinnen oder Mitarbeiterinnen will, ist bei ihr an der Falschen – "Otti", wie sie die damals mächtigen Männer unter sich gern nennen, lässt sich weder etwas gefallen, noch sich dreinreden. Sie weiß, was sie will, und was sie will, das setzt sie auch um.

Das hat sie ihr Leben lang unter Beweis gestellt: Ottilinger, 1919 geboren und 1992 gestorben, war ab 1957 bis zu ihrer Pensionierung 25 Jahre lang im Vorstand der staatlichen ÖMV (Österreichische Mineralölverwaltung), also der Vorgängerin der heutigen teilstaatlichen OMV. Und sie war dort "der einzige Mann im Vorstand", wie man den damaligen Denkmustern entsprechend von ihr sagte.

Frau mit Zielen

"Es war der Wunsch, nicht im Alltäglichen dahinzuvegetieren, sondern an der Spitze zu stehen, wie ein Mann Verantwortung zu tragen und arbeiten zu können", wie Ottilinger in einem ihrer gemusterten Kleider um einen leeren Sitzungstisch herumgehend erzählt. Eigentlich wäre eine Vorstandssitzung angesetzt, aber ihre Kollegen sind nicht aufgetaucht – und so kommt die Niederösterreicherin, die es immer schon "allen zeigen und eine Doktorin werden wollte", ins Räsonieren und Reden, erzählt aus ihrem Leben.

Das es wahrlich in sich hatte.

Ottilinger räsoniert und erzählt? Genau. Auf der Bühne des Wiener Theaters in der Drachengasse, im Rahmen des Portraittheaters, das in einer Kooperation mit der WU Wien seit 2006 außergewöhnliche Frauen auf die Bühne bringt und deren Wirken und Arbeit vorstellt. Nach Frauen wie der Publizistin Hannah Arendt oder der Politikerin Käthe Leichter und Sozialpsychologin Marie Jahoda ("Die Arbeitslosen von Marienthal") ist es nun die Ex-OMV-Managerin, die von Anita Zieher dar- und vorgestellt wird. Regie führt Sandra Schüddekopf.

Vom Ministerium ins Straflager

Trocken, aber durchaus witzig, wie sie war, erzählt die Frau, die als Kind auf dem Land "Einsamkeit im Wald übte" (was ihr später im sowjetischen Gulag sehr helfen sollte), dass sie unbedingt studieren wollte, erzählt, wie sie wurde, was sie wurde.

1941 macht sie ihren Doktor an der Welthandel (heute WU) – als eine von drei Frauen. Die "Macht von Eisen und Stahl" fasziniert sie, 1946 kommt sie nach Posten bei den Veitscher Magnesitwerken und der "Reichsvereinigung Eisen" ins Ministerium von Planungsminister Peter Krauland. Der NSDAP war sie nie beigetreten.

Mit 28 Jahren ist sie ob ihrer Strenge nicht sehr beliebt, aber Chefin der Planungssektion, verhandelt den Marshallplan mit und viel Geld für Österreich heraus– und wird 1948 auf einer Dienstreise mit Krauland von den Sowjets wegen Spionageverdachts aus dem Wagen und zum Verhör geholt. Krauland fährt weiter – Ottilinger wird wegen Wirtschaftsspionage zu 25 Jahren Zwangsarbeit verurteilt. Es folgen sieben unglaublich harte Jahre in Straflagern. 1955 kommt sie schwerkrank heim, im Gulag ("Die Steppe ist so still, dass man sie hören kann", sagt sie einmal) hat sie geschworen, eine Kirche bauen zu lassen – sollte sie überleben.

Die OMV-Managerin 1961 bei der Eröffnung der erweiterten Raffinerie Schwechat.
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Ölverträge, Gazprom und Wirtschaftsgeshichte

Erfolglos versucht die mittlerweile Rehabilitierte, mithilfe Anton Benyas (ÖGB-Chef, SPÖ) einen Job zu finden ("Die Otti ist zu schiach", hört sie einmal von einem Mächtigen), Kanzler Julius Raab (ÖVP) bewirkt dann, dass sie 1956 ÖMV-Konsulentin wird. Nur ein Jahr später ist sie im Vorstand – und wer Wirtschaftsgeschichte lernen will, ist bestens in der Drachengasse aufgehoben. Ottilinger verhandelt die Ölverträge mit den Sowjets, Gazprom ist Thema, Erdgas ist Thema ebenso wie Ölförderung und Weltwirtschaft.

Nach 25 Jahren geht die leidenschaftliche Jägerin, die herrlich Witze erzählen kann, ungern in Pension – tiefgläubig ist sie geworden, lebt zuletzt bei den Servitinnen. Selbstredend hat sie eine Kirche erbauen lassen, von Fritz Wotruba – der Platz auf dem Georgenberg in Wien-Mauer, den die aus 150 Betonblöcken bestehende Kirche dominiert, ist heute nach ihr benannt. Viel davon erzählt die Bühnen-Ottilinger, die Texte stammen zum Teil aus den mehr als 1000-seitigen Erinnerungen der echten Ottilinger.

Kein Ohr für Interventionen

Woher das Eingangszitat kommt? Als sie Vorstandsdirektorin geworden ist, erzählt sie, habe sie die Berge von politischen Interventionen gesammelt, sei damit in die "politische Zentrale" gegangen und habe gesagt: "So, bitte schön, hier haben Sie das alles, und erledigen Sie das selbst. Von mir können Sie das nicht verlangen. Wenn ich jetzt dort sitze, dann müssen Sie mich arbeiten lassen." Wenn das nicht Vorbildcharakter hätte. (Renate Graber, 25.10.2022)