Sind Beschuldigte in Korruptionsverfahren: Der einstige Vizekanzler Heinz-Christian Strache (FPÖ, links) und Exkanzler Sebastian Kurz. Es gilt die Unschuldsvermutung.

Foto: APA/Techt

Das Vertrauen in die Politik sinkt, regelmäßig sorgen neue Affären und Chats für Empörung. Darunter leidet nicht nur die ÖVP, der selbst ihre eigene Wählerschaft laut Umfragen immer weniger zutraut, saubere Politik zu machen. Die Politikverdrossenheit steigt insgesamt. Ideen, wie man rasch für mehr Transparenz sorgen kann, gibt es viele. Sieben davon ließen sich de facto sofort umsetzen. Ein Überblick.

1. Informationsfreiheit: Das Amtsgeheimnis muss fallen

Informationsfreiheit ist einer der zentralen Schlüssel zur Bekämpfung von Korruption. Deshalb stand sie auch weit oben auf der grünen Agenda. In den mühseligen Verhandlungen mit dem Koalitionspartner, aber auch mit anderen Akteuren wie Landes- oder Gemeindevertretern, geriet der geplante Wurf aber zusehends in Schlingern. Nun liegt er in einer Schublade, in den vergangenen Monaten ging nicht viel weiter. Vor allem in den Gemeinden sollen große Ängste vor dem möglichen Arbeitsaufwand durch Bürgeranfragen bestehen. Kritik am Entwurf der türkis-grünen Regierung gab es etwa aus Wien, wo Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) Verbesserungsbedarf ortete. Warum man das Gesetz dann nicht einfach nur für den Bund beschließt? Gewünscht sei ein Paradigmenwechsel, sagt Verfassungsministerin Karoline Edtstadler (ÖVP).

Serie: Österreich braucht dringend eine Kurskorrektur. Korruption sowie Freunderl- und Parteienwirtschaft widern die Menschen zunehmend an. Was müsste geschehen, wer muss aktiv werden und wie? In einer Serie widmet sich DER STANDARD
drängenden Fragen zur Zukunft unseres Landes.
Foto: der Standard

Infofreiheit "light"

Um die strikte Herrschaft des Amtsgeheimnisses zumindest ein bisschen zu kompensieren, haben einige Ministerien angekündigt, künftig alle öffentlich finanzierten Studien publik zu machen.

Das reicht allerdings noch nicht: Informationen über alle Beschaffungsvorgänge und Auftragsvergaben müssen öffentlich verfügbar sein. Zumindest die Causa rund um die Meinungsforscherin Sabine Beinschab, die parteipolitisch relevante Studien mit Steuergeld des Finanzministeriums finanziert hat, wäre mit einem schlagkräftigen Informationsfreiheitsgesetz womöglich früher aufgedeckt oder verhindert worden.

2. U-Ausschüsse: Live-Übertragungen sind notwendig

Der U-Ausschuss an sich hat viel Reformbedarf. Eines der Hauptanliegen aller Parteien außer der ÖVP ist es, eine breitere Öffentlichkeit zuzulassen. Derzeit können nur Vertreterinnen und Vertreter der Medien vor Ort teilnehmen – gefordert wird, dass die Sitzungen künftig live übertragen werden. Zumindest wenn Personen des öffentlichen Lebens aussagen – also neben Politikern etwa hochrangige Manager oder Sektionschefs und andere hohe Beamte –, spricht wenig dagegen. In anderen Ländern wie Deutschland ist das jedenfalls längst Usus.

Die Vorsitzführung

Eine zentrale Frage betrifft auch den Vorsitzenden, den jeweiligen Nationalratspräsidenten (jetzt ist das bekanntlich Wolfgang Sobotka von der ÖVP). Er kann gemäß geltender Geschäftsordnung nicht abgesetzt werden, auch nicht bei etwaigen Befangenheiten. Der Nationalratspräsident kann nur selbst auf den Vorsitz verzichten. Sobotka, gegen den die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft ermittelt und für den die Unschuldsvermutung gilt, sieht keinen Grund für einen Rückzug. Um da Änderungen umzusetzen, bräuchte es eine Reform der Geschäftsordnung.

Geschäftsordnungsdebatten

Apropos Geschäftsordnung: Wortmeldungen zu diesem Regelwerk für die U-Ausschüsse legen die Befragungen an vielen Sitzungstagen im derzeit laufenden ÖVP-U-Ausschuss lahm. Die anderen Parteien werfen der Kanzlerpartei vor, Geschäftsordnungsdebatten als Verzögerungstaktik einzusetzen. Sie fordern eine strengere Vorsitzführung.

Viele Verbesserungen könnte es aber geben, wenn Auskunftspersonen wie Abgeordnete der Institution des U-Ausschusses schlicht mehr Respekt entgegenbrächten. Es geht um die Kontrolle politischen Handelns und die Klärung von politischer Verantwortung, oft gleiten die handelnden Personen aber in parteipolitische Scharmützel ab. Respekt vor der Aufgabe des U-Ausschusses lässt sich aber nicht verordnen – dafür braucht es vielmehr das entsprechende Bewusstsein der Parlamentarier und der Auskunftspersonen.

3. Postenbesetzungen: Transparenz statt Sideletter

Ein zentrales Thema sowohl des Ibiza- als auch des ÖVP-Korruptions-Ausschusses war die Frage, wie in der Verwaltung oder in staatsnahen Betrieben in den vergangenen Jahren Personal ausgewählt wurde. In Chats mit Thomas Schmid, dem damaligen Generalsekretär im Finanzministerium, wurde da wild um Einflussnahme gefeilscht, in Sidelettern zwischen Koalitionsparteien die Republik aufgeteilt.

"Top-Jobs"

Aus den Chats erschließt sich, dass beispielsweise Kandidatinnen (seltener: Kandidaten) für den Aufsichtsrat der Staatsholding Öbag beim Kanzler als "steuerbar" beworben wurden. Abgetauscht werden sollten da "Top-Jobs" in der Verstaatlichten genauso wie Positionen an Höchstgerichten. Die Netzwerkerin und ÖVP-Beraterin Gabriela Spiegelfeld schickte etwa ganze Listen mit potenziellen Kandidatinnen und Kandidaten durch und ließ damit "in der Republik die Puppen spielen", wie Thomas Schmid ihr bewundernd schrieb.

Er selbst zimmerte sich sowohl die Ausschreibung für den Öbag-Alleinvorstandsposten als auch den Aufsichtsrat, der diesen auszuwählen hatte. Andere verdienten exorbitante Beträge und Boni in staatlichen Gesellschaften wie der Cofag, die Corona-Hilfen ausschüttet.

Bekannte Muster

Im Ibiza- und im ÖVP-Ausschuss wurden die Muster offengelegt, nach denen Postenbesetzungen beeinflusst werden, ob im Innen- oder im Finanzministerium. Öffentliche Ausschreibungen schienen Makulatur zu sein. Ändern können das nur strenge Ausschreibungsregelungen, mehr Transparenz und entsprechende Kontrollen.

Eine Lücke, die im U-Ausschuss bekannt wurde, soll nun geschlossen werden: OGH-Präsident und -Vizepräsident wurden bisher von der Justizministerin vorgeschlagen, nun sollen das – wie in anderen Bereichen der Justiz – unabhängige Personalsenate übernehmen. Der entsprechende Gesetzesentwurf zum Dienstrecht ging am Donnerstag in Begutachtung, zuletzt hatte die ÖVP da gebremst.

4. Ein neues Archivgesetz: Auch Chats sollen dokumentiert werden

Gehören Chats ins Staatsarchiv? Darüber gehen die Meinungen auseinander. Wolfgang Maderthaner, bis 2019 Chef des Staatsarchivs und eher der roten Sphäre zuzurechnen, betonte nach der Schredderaffäre und ersten aufgetauchten Chats, dass jegliches "elektronisches Schriftgut" aufzubewahren sei. Das Team Sebastian Kurz vertrat die gegenteilige Meinung – es wurde nicht nur geschreddert, sondern auch regelmäßig gelöscht. Es handle sich da nur um "Notizen", hieß es. Hätten die Ermittler einst bei Thomas Schmid kein Backup mit hunderttausenden Chats entdeckt, wüsste die Öffentlichkeit entscheidende Vorgänge jedenfalls nicht. Die Diskrepanz zwischen Bühne und den Vorgängen hinter dem Vorhang ist, gelinde gesagt, eklatant.

Mag sein, dass in der Zweiten Republik (und davor) schon immer viel im Hinterzimmer ausgeschnapst wurde – öffentlich gewordene Chats belegen Nebendeals allerdings schwarz auf weiß. Die Politik muss sich schleunigst überlegen, wie sie die durch Chats entstandene Lücke schließen kann. Anzudenken wäre etwa eine Verpflichtung für Regierungsmitglieder, jegliche Kontakte mit Unternehmerinnen und Unternehmern zu vermerken und offenzulegen. Andere Länder haben gute Erfahrungen mit öffentlich abrufbaren Terminkalendern. In den USA konnten Medien gerichtlich durchsetzen, dass ihnen Einsicht in Chats und E-Mails des damaligen Justizministers Bill Barr gewährt wurde.

5. Mehr Rechte für das Parlament

Erst seit dem Jahr 2015 kann eine Minderheit von Abgeordneten im Nationalrat einen Untersuchungsausschuss einsetzen: Daran merkt man, wie sehr Österreich bei der Frage der parlamentarischen Aufklärung demokratiepolitischen Standards hinterherhinkt. Hier ist noch viel Luft nach oben – nicht nur, was U-Ausschüsse betrifft. So bleibt es ohne Konsequenz, wenn Abgeordnete in parlamentarischen Anfragebeantwortungen falsch informiert werden. Ihnen bliebe einzig das Misstrauensvotum gegen Minister, eine realpolitisch illusorische Option.

Über die Anfrage hinaus gibt es nur die Möglichkeit der U-Ausschüsse, um öffentlichkeitswirksam aufzuklären. Deren Themen sind wohl auch deshalb so breit zusammengesetzt. Es fehlt die Möglichkeit rasch einberufener, öffentlicher Hearings.

Zwar können Ministerinnen und Minister ins Parlament zitiert werden und in Ausschüssen Rede und Antwort stehen (wobei sie Fragen dort an Beamte weitergeben können), "Ladungen" anderer Personen kann das Parlament jedoch nicht aussprechen. In den USA ist das anders: Dort können beispielsweise die Chefs große Techkonzerne in den Kongress geladen werden, wo sie den Mandataren Rede und Antwort stehen müssen. Möglicherweise wären auch solche "Mini-U-Ausschüsse" eine Option, um schnell auf Skandale zu reagieren. Zudem müssen Parlamentarier auch rascher auf Regierungsakten zugreifen können.

6. Korruptionsstrafrecht: Lücken wie etwa für Mandatskauf schließen

Der Abend auf Ibiza, der FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache und seinen Vize Johann Gudenus 2019 zu Fall gebracht hat, wirkt angesichts der Entwicklungen seither schon fast wie antike Geschichte. Doch nach wie vor bleiben zwei problematische Lücken im Korruptionsstrafrecht offen, die der Fall Strache etwa laut Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) aufgezeigt hat.

So waren die angebahnten Deals zwischen der falschen Oligarchin und Strache auch deshalb nicht strafbar, weil der FPÖ-Chef damals, im Juli 2017, noch kein Regierungsmitglied war – allerdings hatte er mit Blick auf Umfragen und erste Vorgespräche mit der ÖVP über eine türkis-blaue Koalition beste Chancen darauf. Die Reform des Korruptionsstrafrechts sollte diesen Status als "künftiger Amtsträger" einführen, juristischer Begriff dafür wäre der "Prospektivtäter".

Verbot des Mandatskaufs

Außerdem wäre laut Entwurf der sogenannte Mandatskauf strafbar: Derzeit ist es in Österreich legal, vor einer Wahl einen aussichtsreichen Listenplatz gegen Spenden zu verkaufen. Die Gesetzesnovelle wurde vor einem Jahr vom Justizministerium vorgelegt und nun nochmals überarbeitet. Sie wird derzeit auf Klubebene verhandelt.

Das Antikorruptionsvolksbegehren forderte außerdem, dass bei öffentlichen Auftragsvergaben keine Unternehmen zum Einsatz kommen, die mit Offshore-Gesellschaften operieren. Die Einbindung solcher Konstrukte habe in den vergangenen Jahrzehnten die Aufklärung vieler Korruptionsfälle verhindert.

Mehr Ressourcen nötig

Die zuständigen Antikorruptionsbehörden – also Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft genau wie Bundesamt für Korruptionsbekämpfung (BAK) – müssen mehr Ressourcen erhalten.

Auch das Whistleblower-Gesetz ist nach wie vor nicht in Kraft. Vorwürfe der Medienkorruption sollen durch ein neues Modell der Medien- und Journalistenförderung entschärft werden, das im Oktober in Begutachtung ging. Es sieht etwa Transparenz "ab dem ersten Euro" für geschaltete Inserate und Wirkungsevaluierungen für teure Kampagnen vor.

7. Generalstaatsanwalt: Eine Justiz ohne politischen Einfluss

Jahrelang wurde eine unabhängige General- bzw. Bundesstaatsanwaltschaft gefordert, jahrelang hat sich die ÖVP quergelegt. Nun gibt es immerhin Verhandlungen zwischen den Koalitionsparteien ÖVP und Grüne – auf Basis des Endberichts einer Arbeitsgruppe zum Thema.

Derzeit sind Staatsanwälte nicht unabhängig, sondern weisungsgebunden; sie müssen letztlich tun, was die jeweilige Justizministerin oder der jeweilige Justizminister anschafft. Das ermöglicht (partei)politischen Einfluss oder zumindest den Anschein davon. Besonders gegen den suspendierten Sektionschef Christian Pilnacek gab es jahrelang Vorwürfe, Verfahren im Sinne der ÖVP beeinflusst zu haben – er weist das zurück.

Strittige Punkte

Geht es nach dem Modell der Arbeitsgruppe, sollen künftig Dreiersenate über Weisungen in staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen entscheiden. Damit soll verhindert werden, dass der Leiter oder die Leiterin der Bundesstaatsanwaltschaft zu viel Macht erhält.

Als großer Streitpunkt zwischen ÖVP und Grünen zeichnet sich die Frage der parlamentarischen Kontrolle von Ermittlungen ab. Die Volkspartei pocht hier in Person von Verfassungsministerin Karoline Edtstadler auf weitreichende Rechte des Parlaments. In der Justiz wird befürchtet, dass damit der Politik erst recht die Tür in die Bundesstaatsanwaltschaft geöffnet würde. Zudem wird diskutiert, wie die Personalsenate zusammengesetzt werden, die die Generalstaatsanwältin oder den Generalstaatsanwalt bestellen. (Renate Graber, Fabian Schmid, 29.10.2022)