Georg Grabherr wurde zum "Wissenschafter des Jahres 2012" gewählt.
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"Nach langem Leiden, das er mit bewundernswerter Haltung getragen hat", ist der Naturschützer und Ökologe Georg Grabherr am 25. Oktober mit 76 Jahren verstorben, wie seine Familie mitteilte. Der Biologe forschte als Professor für Naturschutzbiologie, Vegetations- und Landschaftsökologie an der Universität Wien sowie am Institut für Gebirgsforschung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW). Grabherr war 2012 Wissenschafter des Jahres.

"Er liebte Natur, Blumen und Menschen", heißt es in der Parte. Mit Augenzwinkern beschrieb Grabherr seine Tätigkeit als "Blümchenzählen". Ein für ihn typisches Understatement, schließlich konnte er damit regelmäßig in den wichtigsten Wissenschaftszeitschriften wie "Nature" oder "Science" publizieren. So lieferte er mit einer globalen Studie über Hochgebirgspflanzen schon früh harte Fakten über Auswirkungen des Klimawandels.

Pflanzen, die vor der Erwärmung fliehen

In Bregenz am 30. April 1946 geboren und in Hörbranz aufgewachsen, besuchte der Sohn eines Schusters die Lehrerbildungsanstalt. Im Internat nutzte er sein früh erwachtes Interesse für die Natur, um beim "Botanisieren" in Wald und Flur dem Nachmittagsstudium zu entgehen. Doch Grabherr wollte nicht Lehrer werden und begann deshalb 1967 an der Uni Innsbruck ein Studium der Biologie, das er 1975 mit der Promotion summa cum laude abschloss.

Gleich nach dem Doktorat erhielt er eine Assistenten-Stelle am Institut für Botanik der Uni Innsbruck, wo er sich schnell einem seiner Lieblingsthemen, der alpinen Vegetation, widmete. Nach einem Forschungsaufenthalt in Großbritannien habilitierte er sich 1983 in Innsbruck. 1986 wurde er als Professor für Naturschutzbiologie, Vegetations- und Landschaftsökologie an die Uni Wien berufen und konnte damit den Naturschutz auf akademischem Boden etablieren. 2011 musste er krankheitsbedingt frühzeitig aus dieser Funktion ausscheiden.

Mit Studien über die Natur der österreichischen Wälder, die Pflanzengesellschaften und die Biodiversität Österreichs sowie dem ersten vollständigen Gebirgsinventar schutzwürdiger Biotope wurde Grabherr zum international gefragten Experten. Bereits 1994 gelang ihm erstmals der Nachweis für das erwärmungsbedingte Höhersteigen der alpinen Vegetation. Diese Auswirkungen des Klimawandels werden seit Jahren in der von Grabherr initiierten Forschungsinitiative Gloria (Global Observation Research Initiative in Alpine Environments") an mehr als 100 über den Globus verteilten Observationspunkten beobachtet – was er scherzhaft als "Blümchenzählen" bezeichnete.

"Harmloser 68er"

Grabherr war auch stellvertretender Direktor des Instituts für Gebirgsforschung der ÖAW, in zahlreichen internationalen Gremien vertreten und hat die EU unter anderem bei der Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie beraten. Der Ökologe beobachtete und studierte aber nicht nur die Natur, er beschrieb sie auch auf populäre Art und kämpft für ihren Schutz. Dies zeigt sich etwa in seinem Engagement für die Donauauen.

Er sei schon irgendwo ein 68er gewesen, "aber eher ein harmloser", sagte Grabherr im STANDARD-Gespräch. Für die letzte Nacht der Hainburg-Besetzung reiste er aus Innsbruck an. Daran erinnerte noch Jahrzehnte später ein Hundertwasser-Plakat im Eingangsbereich des Hauses in Königstetten nahe Tulln, in dem er mit seiner Frau Gertraud lebte. Auf dem Plakat steht: "Die freie Natur ist unsere Freiheit."

Einsatz für das Bodensee-Vergissmeinnicht

So ist es naheliegend, dass er sich besonders um die Erhaltung seiner Lieblingsblume bemühte. Das war das Bodensee-Vergissmeinnicht, das nur in Zentraleuropa vorkommt. Mitte der 1980er-Jahre habe es am Bodensee nur noch einen "kläglichen Rest" von Grabherrs Lieblingspflanze gegeben, erinnerte er sich einmal im Gespräch mit der APA. Durch seine Bemühungen wurden Naturschutzgebiete eingerichtet, die Zahl der Pflanzen sei daraufhin regelrecht "explodiert", freute sich der Biologe über seinen "gegen viele Widerstände erzielten schönsten Schutzerfolg".

Für die vielfältige Vermittlungsarbeit seiner Liebe zur und seines Wissens über die Natur wurde Grabherr vom Klub der Bildungs- und Wissenschaftsjournalisten als "Wissenschafter des Jahres 2012" ausgezeichnet. Zudem freute er sich über den Erfolg jener Studentinnen und Studenten, die während seiner Aktivität an der Universität Wien bei ihm ihre Diplomarbeiten und Dissertationen schrieben – immerhin mehr als 300 an der Zahl. Durch diese Absolventinnen und Absolventen sei es zu einer "Professionalisierung im Naturschutz" gekommen.

Moorpredigt zur Verantwortung

Bei seinen naturschützerischen Bemühungen kamen Grabherr Funktionen wie der Vorsitz im Vorarlberger Naturschutzrat oder im österreichischen Nationalkomitee des UNESCO-Programms "Man and Biosphere" zugute. Stolz war er auch auf seine Naturexkursionen mit der Vorarlberger Landesregierung. Dabei wählte er mit Bedacht "nicht Problemfälle, sondern Gutfälle – denn wir müssen positiv polen".

Der Ökologe war überzeugt, dass ein solcher Besuch im Wald oder im Moor "allen Regierungen gut täte – eine halbe Stunde Moorpredigt genügt um klarzustellen: Die Natur ist vielfältig, sie ist fantastisch und wir haben Verantwortung." Gleichzeitig warnte er: "Die Natur, von der wir lernen sollten, verschwindet vor unseren Augen." Er kritisierte die schädliche intensive Milchwirtschaft und die "Papplandschaften", die heute vielerorts als "gepflegte Natur" gelten. (red, APA, 30.10.2022)