Frauen erheben sich, um die von greisen Männern angelegten Fesseln abzuwerfen.

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Im Januar dieses Jahres wurden Farid Mohammadi und Mehrdad Karimpour im Gefängnis von Maragha hingerichtet. Nach sechs Jahren Haft wurden sie wegen "erzwungener Sodomie zwischen zwei Männern" erhängt.

Im letzten Jahr wurde Alireza Fazeli Monfared von drei seiner männlichen Verwandten ermordet. Sein Partner, der Aktivist Aghil Bayat, sagte über ihn: "Nichts ist schwieriger, als ihn nie wieder zu sehen oder seine Stimme hören zu können. Dies ist ein qualvoller Schmerz, der bis ans Ende der Zeit in meinem Herzen bleiben wird."

Der Iran ist ein gefährliches Land – auch für Männer. Ein wenig scheint das dieser Tage in Vergessenheit zu geraten, wenn über die Revolution berichtet wird, die gerade stattfindet. Über eine Revolution, die von Frauen geführt und eingefordert wird, weil sie schon viel zu lange von diesem Regime gegängelt, entrechtet, gefoltert und ermordet werden. Es sind die Frauen, die sich gerade mit aller Macht erheben, um die Fesseln und die Zwangsverschleierung abzuwerfen – Regeln, von Männern gestaltet, die sich das Recht herausnehmen, sie ihnen aufzuzwingen. Regeln greiser Männer. Aber diese greisen Männer sind seit Jahrzehnten auch eine Gefahr für Männer. Für schwule Männer. Für Transmänner. Für Männer wie Mohsen Amir-Aslani, der 2014 hingerichtet wurde, weil er die Geschichte von Jona und dem Wal für unglaubwürdig befand und "Innovationen innerhalb der Religion" vornehmen wollte.

Öffentliche Solidarität

Was momentan im Iran geschieht, darf niemandem egal sein. Menschen gehen auf die Straße und bezahlen mit ihrem Blut und ihrem Leben dafür, dass sie nach der Freiheit verlangen, die ihnen zusteht. Vor allem Frauen bezahlen dafür. Falls diese Revolution eine Chance darauf haben soll, die Dinge zum Besseren zu wenden, wird es darauf ankommen, dass sich die Männer an die Seite der Frauen stellen. Dass sie wie in der Scharif-Universität die zwangsverpflichtende Geschlechtertrennung in der Mensa beenden und gemeinsam mit ihren Kommilitoninnen, Freundinnen und Schwestern an einem Tisch essen. Dass sie sich wie der Fußballer Siavash Yazdani öffentlich äußern und ihre Solidarität mit den iranischen Frauen und allen Protestierenden bekunden.

Nie zuvor habe er so eine große Solidarität von Männern beobachtet, sagt ein Professor, der an einer iranischen Universität lehrt.

Und es wird auch höchste Zeit. Die Selbstverständlichkeit, mit der sich Männer viel zu lange über Frauen hinweggesetzt haben, sich wichtig machen, von Diskriminierung und Leid der Frauen profitieren, muss ein Ende haben. Wir haben mit diesen Männern verhandelt und Geschäfte gemacht. Wir laden sie in unsere Länder und Regierungsgebäude ein, während sie weite Teile des eigenen Volkes in Geiselhaft halten. Wir besuchen sie gar, um nachzuschauen, ob es nicht vor Ort irgendetwas für uns zu holen gibt. Das gibt es tatsächlich: Irgendwo im Iran liegt das Gegenmittel für unsere Gleichgültigkeit, unser Gewinnstreben und unseren verabredeten Frauenhass. Irgendwo im Iran liegt die Substanz dessen, was wir im Westen vollmundig als "feministische Außenpolitik" ankündigen. Irgendwo im Iran liegen die Antworten auf die Fragen, die wir uns nicht zu stellen getrauen. Männer sind Teil dieser Antworten. Sie müssen Teil dieser Antworten sein.

Verlorene Brüder

Männer sind aufgefordert, nicht länger die Augen vor der Tatsache zu verschließen, dass es immer auch um sie geht. Jede Ungerechtigkeit klebt wie Scheiße am Schuh und Blut an den Händen. Jede Frau, deren Schicksal Männern gleichgültig ist, weil sie "nur eine Frau" ist, war, ist und wird es immer wird sein, für sie zu kämpfen. Jeder Mann, der von Männern für seine Andersartigkeit und sein "weibisches Verhalten" abgelehnt wird, ist eine vertane Chance. Ein verlorener Bruder. Ein achtlos weggeworfenes Leben. Es wird Zeit, dass Männer sich endlich in die Revolution begeben. Nicht um wie so oft, andere zu entrechten und zu unterwerfen, sondern um Frauen zur Freiheit zu verhelfen und für all die Männer zu kämpfen, die man ihnen genommen hat. Die sie nie halten, lieben, bewundern und befürworten durften. Die sie nie sein konnten. Es ist Zeit für diese Revolution. (Nils Pickert, 6.11.2022)