Zwei Jahre in Folge fiel die "Spiritualität und Heilen" aufgfrund der Pandemiemaßnahmen aus. Bei ihrem Comeback war sie kleiner als früher.

Foto: Reiner Riedler/ www.photography.at

Manche Dinge würde man nicht glauben. Zum Beispiel, dass es ausgerechnet dieser Keller ist. Dass man gerade hier unten, zwischen abgewetztem Boden und Löchern in der Decke, den Draht nach ganz oben bekommt. So ist es aber. Denn im Keller spricht das Medium. Und es ist in Kontakt mit der geistigen Welt. "Ich habe immer wieder Eingebungen, dass ich mich mit meiner Schwester versöhnen soll", sagt eine junge Frau im Publikum. "Aber macht das auch Sinn?"

Das Medium schaut sie an, dann schließt es seine Augen, die Mimik ist konzentriert. "Jetzt bitte nicht die Arme verschränken", sagt es zur Besucherin. Dann hat es die Antwort schon erhalten. Die Antwort vom Göttlichen. "Es macht Sinn, dass sie sich mit ihrer Schwester versöhnen", sagt das Medium. "Aber nur, wenn sie auch zurück zu ihrer eigenen Verletzung gehen und die Blockade lösen." Die Schwester habe die Verletzung mit ihrem Verhalten nur wieder aufflammen lassen. "Aber die Kränkung war schon vorher da. Sie war in ihnen."

Glauben statt Wissen

Das Medium ist eine Frau jenseits der 60, trägt roten Strickpullover und spricht mit bayrischem Akzent. Diesmal im Keller der Halle E der Wiener Stadthalle. Denn am Wochenende fand in Österreichs größtem Veranstaltungszentrum wieder die Esoterikmesse "Spiritualität und Heilen" statt – zum ersten Mal nach zwei Jahren pandemiebedingter Pause.

Wissen ist auf der "Spiritualität und Heilen" keine Kategorie. Glauben, an was auch immer, dafür die Wichtigste. An den Ständen findet man Heilsteine, Karmaanalysen und "Aurasehen"; Chakraketten, Kraftarmbänder und "nachweislich wirksame Energiekarten"; Schamanische Reisen, astrologische Beratung und ein "Neurophone", das "ganzheitliche Harmonisierung", "Superlearning" und "Erhöhung der Intelligenz" verspricht. Im Programmfolder wirbt "Zauberfrau Ursula von Nisretto" und "Powerfluss Miroslav", der Kartenlegen und "seriöse Beratung" anbietet, der er gleich selbst das Attribut "treffsicher" verleiht.

Und trotz des reichhaltigen Angebots mit in etwa allem, was das esoterische Spektrum so zu bieten hat: Die erste "Spiritualität und Heilen" nach drei Jahren ist deutlich kleiner als frühere Ausgaben. "Viele haben in der Pandmie w. o. gegeben", sagt eine Ausstellerin, die schon seit mehr als einem Jahrzehnt dabei ist. "Weil wenn du als kleiner Anbieter auf die Messen angewiesen bist und plötzlich alle ausfallen, dann kann das schon existenzbedrohend werden." Die Esoterikmessen gibt es nämlich nicht nur in Wien. Der deutsche Veranstalter tourt mit seinem Konzept seit mehr als 30 Jahren auch durch die deutschen Großstädte von Berlin bis Köln. Dort fielen die sonst jährlichen Messen in den vergangenen beiden Jahren aber wegen der Pandemiemaßnahmen ebenfalls flach.

Klangschalen und Transzendenz

An den Ständen fand man "Heilsteine", "Chakraketten" und "Kraftarmbänder".
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Man mag es für eine besondere Ironie halten, dass es ausgerechnet Esoterik-Anbieter waren, denen die Pandemie die Geschäftsgrundlage entzog. Denn erstens war es gerade das Coronavirus, das der Szene Auftrieb verlieh. Und zweitens war es gerade die Szene, die dem Coronavirus Auftrieb verlieh: Radikales Impfgegnertum, Maskenverweigerung auch in heikelsten Pandemiephasen, Leugnung des Virus an sich – all das wirkte sich auch auf die Fallzahlen aus. Und damit auf die Einschränkungen der Pandemie. Auch in der Wahrnehmung der breiten Bevölkerung hat die Szene durch Corona gewissermaßen ihre Unschuld verloren. Aber kann man Esoteriker pauschal als Corona-Leugner, Staatsverweigerer oder radikalisierte Verschwörungstheoretiker punzieren?

Mit Sicherheit nicht. Um es vorsichtig zu formulieren: Der Anteil an Impfgegnern und Corona-"Skeptikern" ist in esoterischen Milieus höher als in der Gesamtbevölkerung. Diesen Zusammenhang bestätigen auch die Eindrücke und Gespräche auf der "Spiritualität und Heilen". Von radikalem Gedankengut ist auf der Messe aber nur wenig zu sehen und zu hören. Das Gros der Aussteller ist auch in längeren Gesprächen durchaus offen für Zwischentöne.

Es gibt ältere Herren im Pullunder, die sich in der Pension endlich hauptsächlich mit der Wünschelroute beschäftigen können; Damen aus süddeutschen Kleinstädten, die sich schon immer der Transzendenzerfahrung widmen. Es gibt Schamanen mit verfilztem Haar, Yogalehrerinnen auf Selbsterfahrungsreise und junge Klangschalenspieler aus alternativen Szenen. Schrullig bis skurril kommt da recht vieles daher. Gefährlich aber nur weniges.

"Die Energiefelder sind hier auch besser"

Im großen Vortragssaal geht es um Elektrosmog und "geistiges Heilen". "Dort hinten im Raum haben wir eine rechtspolare Drehung", sagt der ältere Vortragende. Deshalb bittet er das Publikum, doch auch aus den hinteren Reihen nach vorne zu kommen. "Dann muss ich nicht so schreien und die Energiefelder sind hier auch besser." Danach wird man noch von Störzonen durch Wasseradern, der "Neutralisation von Mobiltelefonen" und "dem Feinstofflichen" hören, "das uns zu 99 Prozent verborgen bleibt". Auch dass das eine Brillenglas der Frau im Publikum linkspolar drehe, das andere aber rechtspolar, sei alles andere als ideal. Eine "Entstörung" wird ihr aber für gleich nach dem Vortrag angeboten. "Ist das so weit für alle verständlich?", fragt der Energiestrom-Erklärer zwischendurch in den Raum. Schüchternes Nicken im Publikum.

Eine halbe Stunde später riecht es im Raum nach Räucherstäbchen. Eine junge Frau in indischem Gewand sitzt im Schneidersitz am Boden und singt den Kopf wiegend inbrünstig mit geschlossenen Augen. Drei Männer begleiten sie mit Handtrommeln und Schellen. "Mantra-Meditation" nennt sich der Programmpunkt. Veranstaltet wird er vom "Vedischen Zentrum Wien", dem Hare-Krishna-Ableger in der Hauptstadt.

Der betreibt auch den veganen Essensstand in der Messehalle. Basmatireis, Kokos-Curry, Tomaten-Chutney. Ein Glas Wasser gibt es frei Haus. "Das ist nämlich Heilwasser", sagt die Frau im Sari. "Mit glücksverheißenden Mantren energetisiert", steht auf der Getränkekarte. Später bringt die freundliche Sari-Trägerin noch ein Buch als Geschenk an den Esstisch. "Jenseits von Geburt und Tod", steht am Cover. Autor: A. C. Bhaktivedanta Prabhupada, der Gründer der Hare-Krishna-Bewegung. Ein Mann "mit dem größten Herzen überhaupt", sagt die Frau, und macht zur Verabschiedung eine kleine Verbeugung mit gefalteten Händen.

Heilen mit den Händen

Von älteren Herren, die sich in der Pension der Wünschelrute widmen, bis zu Texten amtsbekannter Rechtsextremer – auf der Esoterikmesse war ein breites Spektrum an Angeboten vorhanden.
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Ein paar Meter weiter sitzt ein Mann mit fest geschlossenen Augen und weit geöffneten Armen auf einem Stuhl. Die Hände der dahinterstehenden Frau schweben über seinem Kopf. Auch ihre Augen sind geschlossen. Denn mit den Chakren könne man auch die Energieflüsse wieder reinigen, wird hier versprochen. Oder anders gesagt: Heilen mit den Händen.

An einem anderen Stand bietet ein Mann mit langem Rauschebart ein "Aura-Foto" mit Beratung. Ausgestellt sind Aufnahmen von Menschen mit bunten Wolken in den Farben des Regenbogens um ihr Gesicht. Die Aura werde "geformt von den feinstofflichen Farbausstrahlungen eines Menschen, die seinen Körper umgeben", steht am Flyer. Sie reflektiere die "Vitalenergien einer Person". Wie das denn funktioniere, ein Foto von der Aura zu machen? "Mit diesen Handsensoren", erklärt der Mann und deutet auf zwei schwarze Kästchen mit kleinen Metallscheiben für die Finger. "Die Energie des Menschen erzeugt Schwingungen. Das Gerät misst sie und übersetzt sie in Farben."

Ausschwingen und Einschwingen

Wer auf der Messe nach Corona und Impfungen fragt, erntet indessen spürbare Vorsicht. Ob die Socken mit den Akupressur-Druckpunkten auch vor Krankheiten schützen könnten? "Keine Heilsversprechen", sagt die Frau am Stand. "Das dürfen wir nicht." Warum das? "Der Konsumentenschutz hat schon einmal geklagt." Und eine Erklärung dafür liefert die Ausstellerin auch gleich mit: "Man könnte sonst ja einmal zwei oder drei Pulverl weniger verkaufen." Auch die Frau, die am Stand daneben den "Finder" anbietet, eine Kugel aus Zirbenholz, in der ein Mondstein schwingt – damit soll man "Blockaden" lösen können –, will nicht zu viel versprechen. "Man kann sich natürlich alles aus- und einschwingen", sagt sie. Wofür man das Wunderding einsetzt, bleibe aber jedem selbst überlassen.

Vieles, was man auf der "Spiritualität und Heilen" findet, ist kurios und absurd. Das meiste aber ist tendenziell harmlos. Das Tückische an der Esoterik: die Vermischung. Von völlig unverfänglichen, auch wissenschaftlich anerkannten Aussagen wie "Körper und Geist wirken zusammen und beeinflussen einander" mit komplettem Unfug wie "Dein Körper kann sich selbst heilen, wenn du die dunklen Einflüsse aus deinem Ahnencode löscht". Wo verläuft die Grenze zwischen wenig bedrohlicher Pseudomedizin, die zumindest den Placeboeffekt aktiviert, und gefährlichem Schwachsinn – oder sogar brandgefährlicher Ideologie? Genau das ist das Problem: Die Grenze verschwimmt. Auch auf der Wiener Messe.

Rechtsextreme Verschwörungsideologien

Denn da gibt es auch noch die andere Esoterik, die anderen Angebote der Aussteller. Wer etwa seinen Blick über den üppig bestückten Buchstand eines deutschen Onlinehändlers schweifen lässt, braucht nicht lange zu suchen, um fündig zu werden. Über völlig Harmloses wie die Körpersprache-Ratgeber von Samy Molcho und ziemlich Skurriles wie "Nicht ganz von dieser Welt – von Elfenmenschen, Halbdrachen und anderen Hybriden" kommt man schnell auch zum Einschlägigen, zum richtig harten Stoff.

Beim Buchangebot gab es harmloses Skurriles zu finden – aber auch Bücher des antisemitischen Verschwörungsideologen "Jan van Helsing", der seit Jahrzehnten vom Verfassungsschutz beobachtet wird.
Foto: Reiner Riedler/ www.photography.at

"Die Freimaurer. Der mächtigste Geheimbund der Welt", heißt eines der Bücher, "Mein Vater war ein MIB (Man in Black, Anm.)" ein anderes. In ihnen geht es nicht nur um Pseudowissenschaften, Aliens und angeblich geheim gehaltene Ufo-Sichtungen. Sondern auch um Bilderberger, Illuminaten und die Familie Rothschild – und ihre behaupteten Pläne zur "neuen Weltordnung". Kurzum: um das kleine Einmaleins der antisemitischen Weltverschwörungsideologien.

Es sind Schriften, die sowohl vor haarsträubendem Unsinn, als auch vor radikaler Hetze gegen Juden und Prominente von Bill Gates bis Angela Merkel nur so triefen. Die absurden Mythen sind nicht nur in rechtsextremen Kreisen bestens bekannt. Sondern auch in Staatsschutzbehörden und Nachrichtendiensten. Denn sie beobachten die Verfasser der Schriften seit Jahrzehnten sehr genau. Recht häufig auch mit Ermittlungen bis hin zu Haftbefehlen als Folge.

Beobachtet vom Verfassungsschutz

Gleich eine ganze Reihe von Büchern findet man am Wiener Messestand von einem besonders einschlägig bekannten Autor: Jan van Helsing. Der 55-jährige Deutsche, der eigentlich Jan Udo Holey heißt, hat etliche verschwörungsideologische und geschichtsrevisionistische Szene-Bestseller mit antisemitischer Ausrichtung verfasst. Gleich seine ersten beiden Bücher wurden indiziert – in Deutschland nach einer Anzeige wegen Volksverhetzung; in der Schweiz wegen Verstoßes gegen ein Anti-Rassismus-Gesetz. Bereits Mitte der 1990er wurde der deutsche Verfassungsschutz auf Holey aufmerksam und stufte ihn später als "rechtsextremistischen Esoteriker" ein. Über die Jahre tauchte er immer wieder in Verfassungsschutzberichten auf – auch in Österreich.

Gibt es eigentlich Bedenken der Stadthalle – immerhin im Eigentum der Stadt Wien und verwaltet von der städtischen Wien Holding –, Aussteller mit diesem Sortiment in den eigenen Räumlichkeiten zu beherbergen? Gibt es Zweifel daran, ihnen in Österreichs größtem Veranstaltungszentrum eine Plattform zu geben? Man stelle grundsätzlich nur die Räume zur Verfügung, hatte es auf STANDARD-Nachfrage im Vorfeld der Messe von der Wiener Stadthalle Betriebs- und Veranstaltungsgesellschaft geheißen. Die inhaltliche Verantwortung liege bei den Veranstaltern, erlaubt sei alles, was gesetzlich nicht verboten sei.

Aber: Darüber hinausgehend gebe es auch eine Hausordnung, wie man betonte. In ihr wird ein Verbot festgehalten, "politische Propaganda und Handlungen zu betreiben sowie rassistische, fremdenfeindliche, verfassungsfeindliche Parolen" zu verbreiten. Konform mit Österreichs Verfassung ist an den Schriften von van Helsing und Konsorten eher wenig. Ob deren Werke also auch im kommenden Jahr wieder in der Wiener Stadthalle verkauft werden dürfen, wird nach dem Wochenende zu klären sein. Auch mit einer neuen Nachfrage des STANDARD. (Martin Tschiderer, 6.11.2022)