Am Ende müssen die Puppenhäuser brennen: Ibsens "Nora oder Ein Puppenhaus" in Bregenz.

Anja Koehler

Die bühnenhohe Rückwand kippt. Die Wucht des Falls wirbelt Staub und Schnee auf. Nora hat ihr Puppenhaus zum Einsturz gebracht, die Wand liegt am Boden. Aufgerissen liegt die Bühne vor dem Publikum, hell ausgeleuchtet bis zur Brandmauer. Noras Leben mit Torvald war eine Lüge. Auch die acht Jahre Ehe mit drei süßen Kindern.

So zeigt Regisseurin Birgit Schreyer Duarte das Ende des Konflikts in Henrik Ibsens Klassiker Nora oder Ein Puppenhaus. Es ist Schreyer Duartes zweite Inszenierung in Europa und am Vorarlberger Landestheater Bregenz. Für ihre erste, Else (ohne Fräulein), wurde sie im Oktober mit dem Stella*22 für die herausragende Produktion für Jugendliche ausgezeichnet. Schreyer Duarte, in Deutschland aufgewachsen und ausgebildet, lebt und arbeitet seit vielen Jahren in Kanada.

Der Rhythmus der Szenen

Auch in Nora findet sie eine kluge Setzung: Sie erzählt Nora aus der Sicht der Tochter Emmi, dargestellt von Tänzerin Silvia Salzmann, und holt so den Klassiker von 1879 in ein zeitloses Heute. Emmi eröffnet den Abend. Emmi beendet ihn auch.

Zu Beginn taucht sie in ihre Erinnerung ein, stellt das Puppenhaus auf die Bühne, ertanzt sich ihre Vergangenheit zurück. Hört staunend und belustigt zu, wie Mutter Nora und Vater Torvald miteinander gurren und glückliche Eheleute spielen, greift erbost ein, wenn Nora und Doktor Rank sich zu nahekommen, lässt sich schockiert eine Sequenz erneut vorspielen, wenn Nora ihren Selbstmord anklingen lässt.

Oft bricht deswegen der Rhythmus der Szenen, vor allem durch die vielen Videoeinspielungen. Doch die Emmi von Silvia Salzmann macht das mit Präsenz wieder gut. Denn natürlich steht Nora im Zentrum.

Maria Lisa Huber spielt die titelgebende Figur mit sprudelnder Lebensfreude, in deren glückliche Naivität aber schon zu Beginn das Unheil immer wieder aufzubrechen droht. Noch kann sie sich selber täuschen. Doch ihre Körpersprache macht immer stärker klar: Sie handelt, weil andere es so wollen.

Birgit Schreyer Duarte webt noch andere tänzerische Elemente in ihre Inszenierung. Ein Höhepunkt: Wenn Frau Linde (Zoe Hutmacher) und Herr Krogstad (Tobias Krüger), Noras Jugendfreundin und Noras Erpresser, einander näherkommen, sich aneinanderlehnen – da sprechen die Körper aus, was sie mit Worten nicht sagen können.

Schmerzliche Entscheidung

Die richtigen Worte, endlich das auszusprechen, was sie schon lange fühlte, aber immer unterdrückt hat, findet Nora am Schluss. Sie will ausbrechen, will endlich sie selber sein, aber sie kommt fast nicht los von ihrem Zuhause. Maria Lisa Huber zeigt die Ambivalenz, den Schmerz dieser Entscheidung. Sie zeigt die Bitterkeit, den Kampf und was es heißt, sich loszureißen. Die Tür fällt ins Schloss. Da übernimmt Tochter Emmi. Sie stellt das Puppenhaus auf die Bühne, ein Streichholz glimmt auf. Vielleicht gelingt es nun den Töchtern: alle Puppenhäuser dieser Welt anzuzünden. Und sich endlich zu befreien. (Julia Nehmiz, 6.11.2022)