Im Gastblog schreibt Christian Kreil anhand eines Rechtsverfahrens über Homöopathie und das Privileg, ohne Wirksamkeitsnachweis als Arzneimittel zu gelten.

Die Apothekerkammer hat das Unternehmen Solid Sol auf Unterlassung geklagt. Treuen Lesern und Leserinnen der Stiftung Gurutest ist Solid Sol vertraut. Mastermind des Unternehmens ist die Energetikerin Nicola Wohlgemuth. Ihre Essenzen und Globuli wurden mit spannenden Narrativen rund um die Produktion (Wohlgemuth: "Ich habe eine Schüssel Wasser und konzentriere mich darauf") durchaus mutig beworben. Im Vorjahr lernten wir zum Beispiel Long-Covid-Packages und Essenzen gegen Ebola, Gelbfieber oder Aids kennen, heuer waren es Globuli, die gegen KO-Tropfen helfen und Sojapaste gegen vermutete Impfschäden. Im Webshop von Solid Sol finden wir ein kleines Medaillon um 76 Euro mit dem Namen OP-Plakette. Die Produktinfo verspricht, was sich jeder Chirurg und jede Chirurgin wünscht: Stabilisierung aller Körperfunktionen während eines Eingriffs. 

Die Apothekerkammer geht gegen Solid Sol vor – als Maßnahme ausreichend?
Foto: imago images/Leopold Nekula/Viennareport

Jetzt reicht es offenbar der Apothekerkammer. Sie wirft Solid Sol vor, mit ihren Produkten Heilversprechen zu machen und den Eindruck zu erwecken, es handle sich dabei um Arzneimittel mit einer Indikation.

Apotheke der Kammerpräsidentin war als Referenz gelistet

Die Kammer schießt dabei mit Kanonen auf ihre eigenen Spatzen. In Apotheken macht man mit den offensichtlichen Spaßprodukten aus dem Hause Solid Sol, die sich oftmals als Arzneimittel tarnen, gute Geschäfte. Sogar die Steyrtalapotheke der Kammerpräsidentin Ulrike Mursch-Edlmayr in Sierning wurde bis vor kurzem auf der Webseite von Solid Sol als eine von 21 Referenzen und als Kooperationspartner für die "Rostock Essenzen" geführt.

Die Apothekerkammer legt gegenüber der Stiftung Gurutest Wert auf die Feststellung, dass nur einzelne und jedenfalls nicht alle Apotheken diese Mittel vertreiben. Solid Sol indes gibt an, weltweit 560 Apotheken als Kunden zu haben. In Österreich führten ein Drittel aller Apotheken die fantasievollen Produkte. 

Apotheke lobt besondere Begabung von Nicola Wohlgemuth

Manche österreichische Apotheke ist recht stolz auf dieses Angebot aus der Welt der Parapharmazie. In der Stadtapotheke Bruck an der Mur kann man sich um faire zehn Euro beraten lassen zu "Rostock Essenzen". Es handle sich dabei um "Schwingungspräparate" deren Hauptwirkung auf "elektromagnetischen Schwingungen" beruhen und auf der "seltenen Begabung" von Wohlgemuth. Das lesen wir auf der Webseite jener Apotheke, in der die "Rostock Beratungen" von zwei Pharmazeutinnen durchgeführt werden. 

Pharmazeutin spricht von "Multiresonanztherapie"

Auf der Webseite der Stadtapotheke Gleisdorf erfahren wir von Mag. Bettina Schrampf: "Rostock Essenzen gehören zur sogenannten Multiresonanztherapie." Ganz ehrlich, bei welchem pharmazeutischen Laien geht das nicht runter wie Öl, wenn Frau Magistra im weißen Mantel mit dem Äskulap-Symbol der Zunft auf der Brust Multiresonanztherapie schmackhaft macht. Was auch immer Multiresonanz ist, es muss doch besser sein als Singleresonanz?

Die Apotheke im Pöls erklärt die "Rostock Essenzen" immerhin mit Sinn für Humor. Die Beschreibung der Mittel wird wortwörtlich und mit einem fairen Quellenverweis vom Portal Psiram übernommen. Psiram ist eine Online-Enzyklopädie zu Esoterik und Verschwörungsplaudereien – ein wahrer Gottseibeiuns für Impfgegner und Impfgegnerinnen sowie Freunde und Freundinnen der Alternativmedizin. Das Portal verweist recht nüchtern darauf, dass es keinen seriösen Nachweis einer Wirksamkeit der Mittelchen gibt.

Doppelpass zwischen Herstellern und Apotheken

Bringen wir die Sache auf den Punkt: Apotheken stehen gesetzlich einige Nischen offen, um auch völlig absurde Produkte verkaufen zu dürfen. Sie dürfen im sogenannten Freiwahlbereich einer Apotheke angeboten werden, zwischen Traubenzucker und Duftlämpchen-Öl. Engelssprays mit der geballten Energie Chamuels oder Jophiels gehören dazu, ebenso wie die genannten Spaßprodukte von Solid Sol.

Nur mit Heilversprechen und Indikationen müssen diese Anbieter in dem Fall vorsichtig umgehen. Die Vermarkter nutzen diese Nischen natürlich geschickt: Welcher Laie kennt schon die rechtlichen Finessen, nach denen in Apotheken rezeptpflichtige und apothekenpflichtige Arzneimittel und völlig unverbindlich verkaufbare Produkte unterschieden werden müssen? "Rostock Essenzen" sehen aus wie Arzneimittel, suggerieren dem Laien, ein Arzneimittel zu sein und werden in der Apotheke zu einem ernstzunehmenden Produkt geadelt. Weil Frau Magistra oder Herr Magister das Mittel über den Tresen reichen – denen muss man vertrauen können. 

Solid Sol ist Konkurrenz für Homöopathiehersteller 

Solid Sol hat offenkundig nicht nur den Bogen überspannt, sondern ist auch jemandem auf die Zehen gestiegen. Wem das Unternehmen ein Dorn im Auge ist, darüber darf man mutmaßen. Solid Sol fischt jedenfalls im lukrativen und großen Marktsegment der angeblichen "Alternativmedizin". Die Globuli und Essenzen der steirischen "Sonnenhexe" (Eigenbezeichnung Wohlgemuths) gerieren schon mit der Wortwahl auf der Webseite und in den Produktinfos ein Setting, das an Homöopathie erinnert. Das Marketing von Solid Sol ist beeindruckend, das Unternehmen lässt mit offensiver Produktpolitik und fantasievoller Kommunikation manch etablierten Hersteller homöopathischer Arzneiprodukte alt aussehen. 

Aus Rohglobuli werden in der Apotheke flugs Arzneimittel

Wir sollten uns hier nur in Erinnerung rufen: Jede Apotheker und jede Apothekerin darf nach ärztlicher Verordnung homöopathische Arzneimittel magistral herstellen. Und jede Apotheke darf vom Großhandel Rohglobuli beziehen, 50 Kilogramm Rohglobuli gibt es ab 900 Euro Einkaufspreis. Rechnet man das auf einen Verkaufspreis von 10 Euro pro 10 Gramm arzneilich deklarierter Globuli hoch, werden aus dem Zuckerkübel um 900 Euro flugs ansehnliche Fläschchen mit einem Verkaufswert von 50.000 Euro. Sicherlich, der Apotheker oder die Apothekerin schüttelt sich bei der Zubereitung des Arzneimittels vielleicht einen Tennisarm, geschieht sie denn lege artis. Dazu kommen noch die Druckkosten für die Etiketten. Aber es soll niemand sagen, dass klassische Homöopathie keine interessanten Spannen zu bieten hätte. 

 Die Baustelle heißt: Homöopathie

Wem fällt das Paradoxon auf und wer hätte gedacht, dass ich Solid Sol einst verteidigen werde? Auf der einen Seite haben wir die von Frau Wohlgemuth mit Schwingung versehenen Globuli und Essenzen, die in der Apothekerkammer offenbar in Ungnade gefallen sind. Auf der anderen Seite homöopathische "Hochpotenzen", die von renommierten pharmazeutischen Unternehmen oder von Apotheken selbst hergestellt werden und die dank eines gesetzlich verankerten Privilegs ohne Wirksamkeitsnachweis als Arzneimittel gelten. Solid Sol wird geklagt, Homöopathie wird verteidigt. Die Frage, was den inhaltlichen Unterschied ausmacht zwischen den Globuli und Essenzen von der Energetikerin und jenen von Pharmaunternehmen oder Apotheken, ist rasch beantwortet: Es gibt keinen. Und darüber werden wir uns auch noch unterhalten müssen, wenn der aktuelle Rechtsstreit Apothekerkammer versus Solid Sol beigelegt ist.  (Christian Kreil, 17.11.202)

Christian Kreil bloggt rund um Esoterik, Verschwörungsplauderei und Pseudomedizin. 2021 erschien sein Buch "Fakemedizin".

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