Kein Zweifel: Die Arbeitswelt hier wird in vielen Bereichen stückweise menschengerechter. Anhaltend krasser Personalmangel macht für viele Arbeitende möglich, einiges zu fordern. So ist etwa das Präsenzdogma gefallen und Homeoffice als Fixbestandteil der Arbeitsorte möglich geworden. Teilzeit wird für "voll" genommen, und auch bei Diskriminierung wird jetzt hingesehen und viel mehr aufgedeckt. Oben schafft an, Unten führt unhinterfragt aus – das geht meistens auch nicht mehr. Arbeitsgesundheit ist im Fokus, und psychische Belastungen sind zumindest als Faktum akzeptiert und weitgehend besprechbar geworden.

Daneben gibt es eine Praxis in der Jobwelt, die menschenunwürdig ist. Etwa Kündigungen per Whatsapp oder überraschende Vorlage einvernehmlicher Trennungsvereinbarungen bei Aussicht auf Kündigung, wenn diese nicht unterschrieben wird. Daneben gibt es auch schlaue Tricksereien mit kollektivvertraglichen Einstufungen, und daneben gibt es auch noch immer Fälle struktureller Diskriminierungen. Unternehmen in Personalnot kommen jetzt trotzdem mit Kürzungen daher, und das Ideal der empathischen Führungskraft steht vielerorts nur im Buche.

Dass die Arbeitswelt für alle besser wird, bleibt ein Ziel. Eine große Reihe von systemrelevanten Berufsgruppen hat nicht einmal eine Stimme. Beispiel Reinigungskräfte. Oder Zusteller in der Logistik oder Schichtarbeiter oder Straßenkehrer – die Liste ist lang. Öffentliche Wertschätzung können sie nicht einmal verlangen. Und: Auch die Arbeitslosigkeit ist längst noch nicht von ihrem Stigma befreit.

Ein Beispiel für eine solche neue Gefälligkeit ist die vermeintlich frauenfreundliche "Enttabuisierung" von Menstruation und Klimakterium.
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Outing im Job

Aber ja, es bewegt sich. Trotzdem Achtung: Auch neue Gefälligkeiten im Jobleben sind nicht immer unproblematisch. Vor allem dort nicht, wo vermeintlich wohlwollend differenziert wird. Dort, wo es scheint’s um lebens- und entwicklungsgerechtes Arbeiten geht, können Gefälligkeiten gefährlich sein. Herausragendes Beispiel dafür ist die vermeintlich frauenfreundliche "Enttabuisierung" von Menstruation und Klimakterium, die von Frauen ein Outing am Arbeitsplatz verlangt, um dann als Frau im Job "geschont" zu werden, in Ländern ohne sofortige Entgeltfortzahlung im Krankenstand, um extra beurlaubt zu werden. Zehn Tage extra Menopausenurlaub der Bank of Ireland sind ein aktuelles Beispiel.

Das kann im Machtkampf um das Sagen in der Wirtschaftswelt gefährlich werden für Frauen. Oder ist eine Person, von der bekannt ist, dass sie regelmäßig ausfällt, die erste Wahl für einen Topjob in einer Arbeitswelt, die Frauen oft sowieso weniger zutraut als Männern? Es ist noch ein weiter Weg. (Karin Bauer, 15.11.2022)