Deutschlands Kanzler Scholz trifft in Peking Chinas Präsident Xi.

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Zum Beispiel Elmos und ERS Electronic, zwei deutsche Hochtechnologieunternehmen aus dem Halbleiterbereich. Vergangene Woche hätten chinesische Investoren in die Firmen einsteigen wollen. Doch die deutsche Regierung verbot das mit Verweis auf das Außenwirtschaftsgesetz. Es gelte, "die technologische und wirtschaftliche Souveränität Deutschlands und Europas zu schützen", sagte Deutschlands grüner Wirtschaftsminister Robert Habeck.

Hightech, Polizeistationen, Tiktok

Oder die illegalen Polizeistationen. Dutzende, wenn nicht hunderte sogenannte "Übersee-Servicestationen" soll China in aller Welt betreiben, ohne Wissen der Gastländer. Auch in Wien soll sich eine befinden. Nichtregierungsorganisationen behaupten, dass in diesen Zentren die Verfolgung von Dissidenten des Regimes geplant und Druck auf Exil-Gemeinschaften ausgeübt wird.

Oder Tiktok. Die Mitarbeiter der beliebten Social-Media-Plattform chinesischer Provenienz dürfen nach Gutdünken auf europäische User-Daten zugreifen, wurde kürzlich publik. Möglicherweise fließen sensible Daten an den chinesischen Regierungsapparat und Geheimdienste. In den USA ist aufgrund solcher Ängste mittlerweile gar ein Verbot von Tiktok im Gespräch.

Chinas wirtschaftliche Bedeutung steigt.
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Hightech, Polizeistationen, Tiktok: drei recht unterschiedliche Meldungen aus den vergangenen Tagen. Dahinter steckt jedoch ein und dasselbe Problem. China, lange Zeit hochgelobter Handelspartner der EU und gleichermaßen Zugpferd wie Zukunftshoffnung der Weltwirtschaft, wird immer mehr als Bedrohung empfunden.

Wandel durch Handel war einmal

In der Debatte über den 1,4-Milliarden-Einwohner-Staat findet gerade ein Paradigmenwechsel statt. Wandel durch Handel? Dieses vornehmlich deutsche Credo hat sich als Illusion erwiesen, denken heute viele – nicht nur mit Blick auf Russland, sondern zunehmend auch in Bezug auf China.

Es gibt zwei Erzählungen über das moderne China. Beide sind richtig, auch wenn das in den Augen westlicher Beobachter widersprüchlich wirken mag. Da wäre zuerst die beispiellose wirtschaftliche Erfolgsgeschichte. Auch wenn sich die Wirtschaftslage in vergangener Zeit eingetrübt hat: China bleibt mit Abstand die zweitgrößte globale Wirtschaftsmacht hinter den USA. Laut Weltbank sind zwischen den Jahren 1978 und 2021 850 Millionen Menschen im Land aus der Armut gehoben worden. Für zahlreiche Staaten, von Brasilien über Australien bis zu den meisten Ländern Afrikas, ist China heute wichtigster Handelspartner. Die Welt ist, wenn man so will, um einiges chinesischer geworden.

Andererseits wäre da die bittere Erkenntnis, dass sich der wirtschaftliche Aufstieg rein gar nicht auf die politische Verfasstheit Chinas auswirkt – im Gegenteil. Das Land wird autoritärer, statt dass auf die wirtschaftliche Öffnung eine politische folgen würden. Das ist vor allem Präsident Xi Jinping geschuldet, seit 2012 an der Macht und soeben am Parteitag um eine weiter Fünfjahresperiode verlängert. Xi will augenscheinlich in die Fußstapfen des autoritären Staatsgründers Mao Tsetung treten. Inzwischen ist sogar die Rede von einer "neuen Kulturrevolution".

Uiguren, Hongkong, Taiwan

Ganz oben auf der Liste autoritärer Entwicklungen sind da die verstörenden Berichte über Zwangsinternierungen von Uiguren in der Provinz Xinjiang im Nordwesten Chinas. Eine Million Menschen soll zeitweise in "Weiterbildungszentren", wie Peking es nennt, eingesperrt worden sein. Augenzeugen berichten von Zwangsarbeit, Vergewaltigungen oder Zwangssterilisationen. Aber auch außerhalb dieser Zentren ist die staatliche Überwachung derart lückenlos, dass manche Beobachter von einem "Freiluftgefängnis" sprechen. Dabei kommt Hightech zum Einsatz: von Gesichtserkennungssoftware bis zu Apps am eigenen Telefon, die sich Menschen installieren müssen, um am gesellschaftlichen Leben teilnehmen zu dürfen.

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Derartige Repressionen betrafen bis vor kurzem vor allem ethnische Minderheiten, etwa Tibeter und Uiguren. Inzwischen jedoch, vor allem seit Beginn der Pandemie und Xis rigider Null-Covid-Politik, breitet sich die Überwachungsmanie auf den ganzen Staat aus, hinein in die chinesische Mitte. Im Zuge harter Lockdowns in chinesischen Städten bekommen plötzlich urbane Mittelschicht-Han-Chinesen die potenzielle Gewalt des Staates zu spüren. Der Kampf gegen die Covid-19-Pandemie, verbunden mit dem Bestreben des Regimes, die Bevölkerung zu überwachen, führt zu Zuständen, die sich George Orwell nicht besser ausdenken hätte können.

Und das ist noch nicht alles. In Hongkong, einer bis vor kurzem semidemokratischen Sonderverwaltungszone unter ehemals britischer Vorherrschaft, wurden 2019 Massenproteste niedergeschlagen; anschließend wurde die Stadt mit harter Hand in das Einparteiensystem Festlandchinas eingliedert. Verständlicherweise blickt der Nachbar Taiwan mit zunehmender Sorge auf Xis immer dringlicheren Drohungen, die Insel früher oder später wieder an China einzugliedern – zur Not auch mit Gewalt.

Globale Führungsrolle bis 2049

Vor diesem Hintergrund wirkt es bedrohlich, was Xi Jinping auf dem 19. Parteitag der Kommunistischen Partei im Jahr 2017 öffentlich geschworen hat. Bis zum Jahr 2049, so der Präsident, soll China im Hinblick auf die nationale Stärke und den internationalen Einfluss eine globale Führungsrolle einnehmen. Die erste chinesische Militärbasis außerhalb des eigenen Territoriums, eröffnet 2017 im ostafrikanischen Kleinstaat Dschibuti, könnte davon nur den Anfang darstellen.

Wie soll Europa mit all dem umgehen? Boykottieren und sanktionieren, ähnlich wie im Fall Russlands? Der wirtschaftliche Preis dafür – der schon bei Russland mitunter schmerzhaft hoch ausfällt – wäre immens. Martin Brudermüller, Vorstandschef des weltgrößten Chemiekonzerns BASF mit Sitz im deutschen Rheinland-Pfalz, verwies im April in der FAZ darauf, dass in der Chemieindustrie laut Prognosen rund 75 Prozent des weltweiten Wachstums bis zum Jahr 2030 in China stattfinden werden. "Wollen und können wir uns davon verabschieden?", fragte der Unternehmenslenker.

Wichtiger Handelspartner

Nicht nur BASF, sondern die mächtige deutsche Wirtschaft als Ganzes ist von China abhängig. Im Jahr 2021 war das Land zum sechsten Mal in Folge Deutschlands wichtigster Handelspartner. Nur vier Unternehmen in der EU – allesamt deutsche – sind für ein Viertel der Exporte nach China verantwortlich: die Autokonzerne VW, BMW und Mercedes sowie Martin Brudermüllers BASF.

Was Österreich betrifft, ist die direkte Abhängigkeit zwar nicht ganz so groß. Hierzulande lag China, was die Importe betrifft, im Jahr 2021 laut Statistik Austria auf Platz zwei hinter Deutschland. Allerdings ist die österreichische Wirtschaft besonders eng mit der deutschen verflochten – und diese wiederum mit der chinesischen. Auf indirektem Weg also ist Österreichs Abhängigkeit von China nicht weniger groß als jene Deutschlands.

Vor einigen Tagen wurden all die Widersprüche in der Beziehung zwischen der EU und China offenkundig. Ende vergangener Woche unternahm Deutschlands Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) eine vielbeachtete Reise nach Peking. Bei dem nur elf Stunden dauernden Aufenthalt mit dabei waren zwölf hochrangige Unternehmens-Bosse, unter anderem BASF-Chef Brudermüller. Im Vorfeld gab es heftigen Widerstand gegen die Reise. Protest kam nicht nur von chinesischen Dissidenten im Ausland und Uiguren-Vertretern, sondern auch von deutschen Journalisten und Scholz‘ SPD-Parteikollegen – ein beredtes Zeugnis dafür, wie sich in der Debatte um China der Wind gedreht hat. Zugleich versuchten die Wirtschaftstreibenden in Scholz‘ Gefolge, die Differenzen herunterzuspielen. "Es ist dringend notwendig, dass wir vom China-Bashing wegkommen", so Brudermüller.

Spagat der EU

Es ist schwierig für die EU. Der Wohlstand der Union hängt zum Gutteil an China – das sich zugleich immer autoritärer gebärdet. Die Versuche, angesichts dessen eine einheitliche politische Linie zu finden, wirken hilflos. So forderte das EU-Parlament im September 2021 "eine neue China-Strategie". Chinas prognostiziertes Wachstum würde "erhebliche Auswirkungen auf die Entwicklung der Weltwirtschaft im nächsten Jahrzehnt haben", so die Proklamation. Dies bringe "eine Bedrohung für den regelbasierten Multilateralismus und demokratisch zentrale Werte". Die EU, so das Parlament, stehe "vor ernsthaften politischen, wirtschaftlichen, sicherheitspolitischen und technologischen Herausforderungen".

Die Schlussfolgerung aus all dem wirkt erwartbar: Die EU-Politiker müssten alle Differenzen klar ansprechen, etwa im Bereich der Menschenrechte, ohne deshalb die wirtschaftliche Beziehung zu ruinieren. Realpolitische Folgen werden solche Ansagen des EU-Parlaments wohl nur wenige haben. Dennoch zeigen sie, dass ein Bewusstsein dafür entsteht, dass der Umgang mit dem mächtigen China neue und besondere Regeln erfordert. Und allmählich schlägt sich die veränderte Zugangsweise auch in tatsächlichen politischen Maßnahmen nieder: Langsam beginnt sich die EU auf die Macht Chinas einzustellen.

Milde Sanktionen

Beispielsweise gelten seit März 2021 Sanktionen infolge der Unterdrückung der Uiguren von Xinjiang – wenn auch milde. Einigen chinesischen Politikern und Behördenvertretern mit Xinjiang-Konnex ist die Einreise in die EU verboten; dazu wurden ihre Vermögenswerte in der EU eingefroren. Im Gegenzug verwehrt China ein paar besonders kritischen EU-Parlamentariern die Einreise ins Land.

Größere Auswirkungen dürften. Entscheidungen auf wirtschaftspolitischer Ebene haben, auch wenn sie weitgehend unbeachtet von der Öffentlichkeit stattfinden. So wurde ein geplantes Investitionsabkommen zwischen China und der EU ("Umfassendes Investitionsabkommen", abgekürzt CAI) – verhandelt seit dem Jahr 2013, erfolgreich abgeschlossen im Jahr 2020 – auf unbestimmte Zeit auf Eis gelegt. Das EU-Parlament verweigert die Ratifizierung wegen der Missstände in Xinjiang.

Das Investitionskontrollgesetz

Dazu kommen strengere Gesetze in der EU, was den Einstieg chinesischer Unternehmen bei EU-Firmen betrifft. Damit soll verhindert werden, dass China beispielsweise Wirtschaftsspionage in EU-Konzernen betreibt, sensible Daten absaugt oder dass sich hinter vorgeblich privaten Akteuren in Wahrheit Einrichtungen des Regimes verbergen.

In Österreich etwa trat Mitte 2020, gemäß einer Vorgabe der EU, das Investitionskontrollgesetz in Kraft. Es sieht vor, dass die Regierung Unternehmen aus Nicht-EU-Staaten untersagen darf, in kritischen Bereichen Beteiligungen zu erwerben. Darunter fallen etwa der Hochtechnologie-Sektor und die kritische Verkehrsinfrastruktur.

Anteile an Hamburger Hafen

In Deutschland verhinderte die Regierung aufgrund eines ebensolchen Gesetzes vergangene Woche den Einstieg von Chinesen bei den beiden eingangs erwähnten Halbleiter-Unternehmen. "Eine offene Marktwirtschaft ist keine naive Marktwirtschaft", sagt dazu Deutschlands Wirtschaftsminister Habeck. Er warnt davor, dass Handelsinteressen "möglicherweise gegen die Bundesrepublik genutzt werden" könnten.

Und doch: Wie schwer es fällt, im Umgang mit China Kooperation und Konflikt passend auszutarieren, zeigt der Fall des Hamburger Hafens. Kurz vor Scholz’ Peking-Reise genehmigte Berlin eine Beteiligung der chinesischen Reederei Cosco an einem seiner Terminals. Es sei "richtig", verteidigte Scholz die Entscheidung. Ursprünglich wollte Cosco mit 35 Prozent einsteigen, die Regierung genehmigte letztlich aber nur 24,9 Prozent. Bis zur richtigen Balance ist es noch ein weiter Weg. (Joseph Gepp, Anna Sawerthal, 13.11.2022)