Ali Daei kritisiert das Regime im Iran. Und lebt damit gefährlich.

Foto: Imago/yangyuanyong

Von einem Stürmer wird erwartet, dass er den Kopf hinhält – ungeachtet der Konsequenzen. Der Iraner Ali Daei lebt diese mitunter gefährliche Tugend auch nach seiner Karriere als Fußballer.

Im September solidarisierte sich der 53-Jährige in den sozialen Netzwerken mit den landesweiten, vornehmlich von Frauen getragenen Protesten infolge des gewaltsamen Todes von Mahsa Amini im Gewahrsam der Sittenpolizei. Er forderte das Regime auf, "die Probleme des iranischen Volkes zu lösen", anstatt zu "Repression, Gewalt und Verhaftungen" zu greifen, und schlug damit in dieselbe Kerbe wie die ähnlich legendären Kollegen Ali Karimi, Mehdi Mahdavikia oder Vahid Hashemian.

Mehr noch als diese beweist Ali Daei auch Stehvermögen. Er blieb mit seiner Familie im Land, trotzte den Anfeindungen durch das Regime, das ihm den Pass entzog und ihn kurzzeitig sogar festnehmen ließ, als er 40 Tage nach dem Tod von Mahsa Amini zu ihrem Gedenken in ihre Heimatstadt gereist war.

Dem Regime ein Dorn im Auge

In dieser Woche schlug er eine Einladung des Weltverbands Fifa aus, mit seiner Familie in Katar das iranische Team bei dessen sechster WM zu unterstützen. "Ich möchte mit euch in meinem Land sein und all den Familien, die in diesen Tagen ihre Angehörigen verloren haben, mein Mitgefühl aussprechen. In der Hoffnung auf gute Zeiten für den Iran und die Iraner", ließ der Vater zweier Töchter wissen.

Ali Daeis verbale Ohrfeigen schmerzen das Regime besonders. Schließlich ist der Mann aus Ardabil, einer Stadt im äußersten Nordwesten des Landes, der Primus im iranischen Fußballolymp. Punkto Länderspieltore hüpft ihm nur der Portugiese Cristiano Ronaldo (117) etwas vor. Ali Daei war weltweite der Erste, der mehr als 100 Länderspieltreffer erzielte, in 149 Partien netzte der iranische Internationale 109-mal – wenn auch selten gegen Spitzenmannschaften. Immerhin war sein Ruf derart vernehmlich, dass ihn der FC Bayern holte. Mit den Münchnern wurde der zweimalige Welttorjäger 1999 Meister und Pokalsieger, eher er als frischgekürter "Asienfußballer des Jahres" zu Hertha nach Berlin weiterzog.

Nach seiner Heimkehr war Ali Daei noch Trainer und Sportdirektor, er mehrte seinen Wohlstand mit einer Sportartikelfirma und seine Beliebtheit mit sozialem Engagement. Immer wieder zeigt sich Ali Daei derzeit im Umfeld von Demonstrationen. "Als ob er sagen will: ‚Ich bin da. Meinen Augen entgeht kein Unrecht‘", twitterte die iranische ZDF-Korrespondentin Golineh Atai. (Sigi Lützow, 15.11.2022)