Dass Katars Premierminister Khalid bin Khalifa bin Abdul Aziz Al Thani ein Leiberl hat, verdankt er Fifa-Präsident Gianni Infantino. Den WM-Zuschlag erhielt Katar unter Infantino-Vorgänger Joseph S. Blatter.

Foto: APA/AFP/Frank Fife

Als Katar 2010 die Ausrichtung der Fußballweltmeisterschaft zugeschlagen wurde, hielten sich Argwohn und Verwunderung die Waage. Kurz vor Anpfiff des Turniers könnte das Image des Emirats zumindest in Europa, das immerhin mehr als ein Drittel der 32 WM-Teilnehmer stellt, kaum schlechter sein.

Frage: Was verspricht sich Katar, das keine einschlägige Tradition hat, von der Ausrichtung einer Fußballweltmeisterschaft?

Antwort: Die Fußball-WM ist mit Sicherheit das wichtigste Politprojekt in der Geschichte des Landes. Es geht um die Sichtbarkeit Katars nach außen, aber auch um Nationalismus, um innere Kohäsion, um die Sicherung der Dynastie nach innen.

Frage: Kommt die massive Kritik an der Menschenrechtslage für das Herrscherhaus überraschend?

Antwort: Offenbar kam sie zu Beginn eher überraschend, daraufhin wurde Unsummen für PR ausgegeben, für Firmen, die positive Narrative entwickelt haben. Die Härte der Kritik so unmittelbar vor Anpfiff der WM war wohl unerwartet. Katar reagiert zunehmend beleidigt und denunziert die Kritik als rassistisch und neokolonialistisch.

Frage: Welche Rolle spielt Katar in der Region allgemein, wer sind Verbündete, wer die Konkurrenten?

Antwort: Katar wurde 1971 von Großbritannien unabhängig, zuvor stand zur Diskussion, ob es Teil der späteren Vereinigten Arabischen Emirate werden sollte. In der ersten Zeit war Katar eng an Saudi-Arabien orientiert. Seit Mitte der 1990er-Jahre – mit der Machtübernahme von Emir Hamad, dem Vater des jetzigen Emirs – hat sich das völlig geändert. Katar betont seine Unabhängigkeit, macht außenpolitisch alles anders als Saudi-Arabien, was den großen Nachbarn ärgert, der sich als Hegemon der Region sieht.

Frage: Wie steht Katar zum Nahostkonflikt?

Antwort: Katar hat während des israelisch-palästinensischen Friedensprozesses (Oslo) in den 1990er-Jahren als einer der Ersten Beziehungen mit Israel geknüpft. Mit dem Scheitern des Oslo-Prozesses wurde das alles gestoppt. Katar hat auch nicht, im Gegensatz zu den Vereinigten Arabischen Emiraten und Bahrain, 2020 das von den USA vermittelte Abraham-Abkommen zur Normalisierung der Beziehungen mit Israel unterzeichnet. Bemerkenswert ist, dass es während der WM Direktflüge zwischen Tel Aviv und Doha geben wird. Nicht zuletzt die USA, die in Katar ihre größte Militärbasis in der Region unterhalten (Al Udeid), begrüßen das.

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Frage: Wie hat sich das Emirat während des Arabischen Frühlings verhalten?

Antwort: Katar hat sich, vor allem was Ägypten betrifft, ganz anders als Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate positioniert. Das führte 2017 auch zu einer großen Krise zwischen den arabischen Golfstaaten. Katar unterstützte die Muslimbrüder, die in den konservativen Monarchien als "revolutionär" gesehen und gefürchtet werden. Inzwischen hat sich auch Katar etwas distanziert, mit den Saudis und den Emiratis gab es 2021 eine Versöhnung. Das war auch deshalb leichter, weil die Muslimbrüder inzwischen machtlos sind.

Frage: Warum hat Katar die Muslimbrüderschaft unterstützt?

Antwort: Um eine eigenständige Politik zu machen, es will überall mitmischen, vermitteln. Katar hat auch der muslimbrüderfreundlichen Türkei eine Militärbasis eingeräumt. Die türkische Präsenz am Golf ist für die Nachbarn ein besonderes Ärgernis.

Frage: Welche Rolle spielte und spielt der in Doha ansässige Sender Al Jazeera in der arabischen Welt?

Antwort: Al Jazeera hatte als erster großer Nachrichtensender der Region lange Zeit ein Monopol. Es war auch eine Plattform für Yusuf al-Qaradawi, zeitweise der einflussreichste islamische TV-Prediger weltweit. Ein ägyptischer Muslimbruder, im Mai ist er mit 96 Jahren gestorben. Zudem hat Al Jazeera Kritik an Regimen in der Region zugelassen – freilich nicht am eigenen Herrscherhaus von Katar.

Frage: Wie steht es in Katar mit internen Parametern wie politischer Freiheit oder Menschenrechten im Vergleich zu den anderen Staaten der Region?

Antwort: Katar ist nicht so anders als seine Nachbarn, im World Press Freedom Index steht das Land etwa klarerweise schlecht (119. Platz), aber von allen Staaten des Golfkooperationsrates noch am besten da – auch einen Rang vor Jordanien übrigens. Vom System her ist Katar genauso konservativ salafistisch wie Saudi-Arabien, auch was die Frauen betrifft. Aber die Mutter des jetzigen Emirs, Sheikha Mozah, fiel auf, die eine öffentliche Rolle als First Lady spielte. Das ist völlig unüblich. Sie war etwa bei der Vergabe der WM 2010 in Zürich dabei. Homosexualität ist wie in all diesen Staaten verboten, der Verfolgungsdruck ist nicht größer oder geringer als in den Nachbarstaaten. Besonders groß ist das Leid der Arbeitsmigranten, weil es auch quantitativ ein derartiges Problem ist. Schließlich sind 90 Prozent der Einwohner Katars Ausländer, sie sind es, die den Laden schupfen. Auf Druck von außen gab es während der vergangenen Jahre einige Reformen. Das berüchtigte Bürgensystem (Kafala) wurde etwas abgemildert, Fremdarbeiter dürfen den Arbeitsplatz nun theoretisch auch ohne Erlaubnis der Arbeitgeber wechseln, die sie ins Land geholt haben. Zudem wurden Mindestlöhne eingeführt.

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Frage: Wird die vom Fußballwelt-verband Fifa ins Treffen geführte Chance auf Wandel in Katar durch das sportliche Großereignis also tatsächlich schlagend?

Antwort: Es gehört zumindest zur PR von Katar, sich als Land im Wandel zu präsentieren.

Frage: Ist zu befürchten, dass Reformen versanden, wenn der Weltfußball wieder aus dem Land verschwunden ist?

Antwort: Ob ein nachhaltiger Wandel stattfindet, muss sich erst zeigen. Die Katarer beteuern es zumindest. Man muss nachher genau hinschauen.

Frage: Der Ex-Fußballer und "WM-Botschafter" Khalid Salman nannte Homosexualität in einem Interview eine Sünde, eine Geisteskrankheit. Ist ein substanzielles Umdenken im Bereich des Möglichen, auch was die Einstellung zur LGBTQ+-Bewegung betrifft?

Antwort: Einen schnellen Wandel wird es nicht geben, jeder in der Region wird vor einer Kamera das Gleiche sagen, jenseits und diesseits des Persischen Golfs.

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Frage: Wie fest sitzt das Herrscherhaus im Sattel? Gibt es innere Opposition in Katar?

Antwort: Die große Krise mit den Nachbarn 2017, die damals einen totalen Boykott gegen Katar verhängten, förderte den Zusammenhalt, den Nationalismus. Die Katarer sind um die Person des Emirs zusammengerückt. Tamim bin Hamad Al Thani ist noch dazu jung und tritt dynamisch auf. Die Familie ist groß, es gab auch innerhalb der Familie Machtkämpfe, der Vaters des heutigen Emirs hat 1995 schließlich gegen seinen eigenen Vater geputscht, der Saudi-freundlich war.

Frage: Wie sehr spielt Katar die Weltlage in die Karten?

Antwort: Sehr sogar, schließlich sitzt das Emirat zusammen mit dem Iran auf dem größten Gasfeld in der Golfregion. Der Westen steht um Lieferungen von Flüssiggas an, auch Österreich. (Gudrun Harrer, Sigi Lützow, 17.11.2022)