Im Mai 2023 steigen die nächsten ÖH-Wahlen. Fix ist nun, dass es wieder kein E-Voting geben wird.

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"Niemand redet darüber, wie kaputt einen die ÖH macht", sagt Naima Gobara. Die TU-Studentin, die seit 2021 für die Fachschaftslisten (FLÖ) als stellvertretende Bundesvorsitzende der Österreichischen Hochschüler_innenschaft amtierte, zieht bei ihrem Rücktritt Ende Oktober eine bittere Bilanz. In den Sitzungen des Studierendenparlaments seien Gespräche zwischen Koalition und Opposition aufgrund von Respektlosigkeit und Machtspielen unmöglich.

Sara Velić (VSStÖ) und Keya Baier (Gras) wechseln sich an der Spitze der linken ÖH-Exekutive ab. Drittes Mitglied der Koalition sind die Fachschaftslisten.
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Innerhalb der linken Dreierkoalition in der ÖH-Exekutive – also gleichsam der Regierung der österreichweiten Studierendenvertretung – scheint die Stimmung besser. Das ist weniger selbstverständlich, als es klingt, ist doch vor zwei Jahren dasselbe Fraktionsbündnis aus grünen Studierenden (Gras), sozialistischen Studierenden (VSStÖ) und FLÖ an internen Querelen zerbrochen, was zwischenzeitlich gar der ÖVP-nahen Aktionsgemeinschaft die Machtübernahme ermöglichte. Nun arbeite man hingegen gut zusammen, sagt Sara Velić, die rote Vertreterin im Führungstrio.

Stimmrecht ungenutzt

Eine funktionierende Zusammenarbeit an der Spitze ist aber nur das Mindeste, was die ÖH momentan braucht: Die hohe Inflation macht das Leben für die Studierenden schmerzhaft teurer, zugleich rechnen die Hochschulen mit Sparprogrammen, von denen auch studentische Stellen und die Lehre betroffen sind. Hinzu kommt das Desinteresse vieler Studierender an ihrer Interessenvertretung: Nur 16 Prozent der Studierenden haben bei den Wahlen 2021 ihr Stimmrecht genutzt.

Neben dem damals pandemiebedingt reduzierten Präsenzwahlkampf ortet die grüne Wissenschaftssprecherin Eva Blimlinger einige weitere Gründe für die sehr niedrige Wahlbeteiligung: Viele Studierende wüssten zu wenig über die ÖH, obwohl sie deren Leistungen oft in Anspruch nehmen. Zudem trete die Bundesvertretung seltener in Kontakt mit Studierenden als die der einzelnen Hochschulen und Studienrichtungsvertretungen.

Ein E-Voting, das Befürworter als Schlüssel zur höheren Wahlbeteiligung sehen, wird es aber auch bei der Wahl im Mai 2023 nicht geben, teilt die grüne ÖH-Chefin Keya Baier auf Anfrage mit: "Das ist technisch noch nicht möglich und wäre zu riskant."

Die Studierendenvertretung und ihre Arbeit "sichtbar" zu machen, das hat sich die Koalition in ihrem Programm vorgenommen. Dazu gehört auch ein neues grafisches Erscheinungsbild auf Social Media samt neuem Logo. Wobei die Opposition kritisiert, dass für das sogenannte Rebranding bisher 60.000 Euro ausgegeben wurden.

Die Kosten des neuen ÖH-Logos sorgen für Oppositionskritik.
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Sara Velić aus dem Vorsitzteam relativiert: "Für uns zählt der Prozess: 200 Studierende haben einen Logoentwurf eingereicht. Unseren neuen Außenauftritt haben sie mitgestaltet."

Vollzeitjob an der Spitze

Doch abgesehen vom Fassadenwechsel: Welche sachpolitischen Ziele wurden in der aktuellen Periode konkret erreicht? Da wären etwa die diversen Finanztöpfe, mit denen die ÖH zur Abfederung von sozialen Notlagen bei Studierenden beiträgt. Darunter fallen die Aufstockung des regulären Sozialfonds, die Abwicklung des dritten Corona-Härtefallfonds, der im letzten Lockdown ins Leben gerufen wurde, sowie die finanzielle Unterstützung ukrainischer Studierender gleich nach Kriegsbeginn.

Als Erfolg aus Verhandlungen mit der Regierung verbucht die ÖH-Spitze außerdem, dass Lehramtsstudierende in der Sommerschule künftig entlohnt werden müssen. Schuldig blieb man bisher hingegen die Ausarbeitung des Modells für ein Teilzeitstudium, das für dieses Frühjahr angekündigt worden war.

Die ÖH hat bewegte Monate hinter sich, die die Funktionärinnen auch persönlich belasten. ÖH-Chefin Baier lässt ihr Studium momentan ruhen, und auch Velić sagt: "Die ÖH ist ein Vollzeitjob." Für ihre ÖH-Tätigkeit erhalten die Vorsitzenden jeweils 750 Euro pro Monat. Das Klima zwischen Exekutive und Opposition in den Gremiensitzungen wird von verschiedenen Seiten als "toxisch" beschrieben, das zehrt an den Nerven. Zugleich gehen die Führungspositionen mit zahlreichen Verpflichtungen einher.

Die jetzige Chefin der Jungen Volkspartei, Sabine Hanger, war vor zwei Jahren Vorsitzende der Bundes-ÖH.
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Das weiß auch Sabine Hanger, ehemalige ÖH-Vorsitzende für die AG und mittlerweile Chefin der Jungen ÖVP. Die Verantwortung über ein Team mit rund 25 Angestellten und einem Jahresbudget von mehreren Millionen Euro sei "unfassbar", sagt sie rückblickend. Strukturell helfen könnte laut Hanger die "langfristige Anstellung einer Person, die wie ein Generalsekretär das Haus managt". Josef Leidenfrost, mittlerweile pensionierter Leiter der Studierendenombudsstelle, sagt: "Mehr Kontinuität wäre in der ÖH-Organisation von Vorteil, aber ein politisches Amt müsste mit dem zweijährigen Politikwechsel im Vorsitz in Einklang gebracht werden."

Die linke Koalition führt ihre mangelnde Durchsetzungsfähigkeit auch auf das türkis besetzte Wissenschaftsministerium zurück. Velić beklagt: "Wir reden meistens gegen eine Wand." Klar ist andererseits auch: Verhandlungen mit der Regierung wären fruchtbarer, wenn die ÖH dabei auf eine starke Wahlbeteiligung und hohes Interesse Studierender an ihrer Vertretung verweisen könnte. Diesen Teufelskreis gilt es bis zu den Wahlen 2023 zu überwinden – möglichst ohne ÖH-Funktionäre, die daran kaputtgehen. (Allegra Mercedes Pirker, 21.11.2022)