August Wöginger hat es weit gebracht. Zum Waldhäusl der Volkspartei. Man hat schließlich seinen Ehrgeiz. Mit seinem Interview im STANDARD vom Wochenende hat er der schwarzen Büchse der Pandora den Dosenöffner angesetzt, um die Miasmen aus Kreisen der Landeshauptleute entweichen zu lassen, die sich von Asylanten nicht die Stimmung in ihren Ländern verderben lassen wollen. Schon gar nicht, wenn sich in näherer Zukunft Wahlen abzeichnen. Prompt deponierte der niederösterreichische Asylhumanist einen Tag später in der Kronen Zeitung: "Die Zuwanderungswelle bringt die Unruhen von morgen und Gewalttaten von übermorgen. Sie gefährden den Frieden unserer Kinder und Enkel."

ÖVP-Klubchef August Wöginger schlägt vor, die Europäische Menschenrechtskonvention zu überarbeiten.
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Ein Zukunftsforscher vom Format eines Waldhäusl lässt sich von einem simplen Klubobmann nicht mir nichts, dir nichts um seinen wohlverdienten Ruhm bringen, da sei Stacheldraht vor. Die Balgerei von ÖVP und FPÖ um den Titel des populärsten Asylantenschrecks der Nation hat voll eingesetzt, aber das war nur eine Terminfrage. Dass diesmal gleich die Europäische Menschenrechtskonvention dafür herhalten muss, ist ein Kollateralschaden, der nur deshalb keine Folgen für die Menschheit haben wird, weil deren selbsternannter Überarbeiter im humanistischen Überschwang einige Kleinigkeiten vernachlässigt hat. Das Entsetzen eines Othmar Karas und die Verständnislosigkeit Karoline Edtstadlers gehören nicht dazu.

Populismus

Weil Steirerblut angeblich dicker ist als Himbeerwasser, sprang der dortige Landeshauptmann dem Klubobmann bei. Christopher Drexler schlug statt einer Überarbeitung der MRK eine Neukodifizierung vor, um deren "sich verselbstständigende Rechtsprechung" endlich in den Griff österreichischer Populisten zu zwingen. Dabei will er "abklopfen, was in einer zeitgemäßen Textfassung eine Deckung finden würde". Die müsste Wöginger freilich erst auf die Beine stellen, weshalb es mit dem Abklopfen unter Steirern noch einige Zeit dauern wird.

Das alles ist schwer verständlich, weil die Balkanroute doch schon ein für alle Mal von Sebastian Kurz geschlossen wurde. Jetzt muss sein Nachfolger nacharbeiten, was er mit Partnern tut, die zur Menschenrechtskonvention ähnlich stehen wie Wöginger. Daher sagt Karl Nehammer auch, die Debatte um diese sei "viel breiter", weil das Asylsystem der EU gescheitert sei. An einem Übermaß von Menschlichkeit gewiss nicht, wie auch eine Änderung von Asylbestimmungen keines Herumfummelns an den Menschenrechten bedarf.

Es ist weniger die Angst vor illegaler Migration, die Wöginger den Anschlag auf die EMRK inszenieren ließ, als vielmehr das Beispiel einer Freiheitlichen Partei, die mit ihrem extremen Populismus die ÖVP in den Umfragen auf den dritten Platz verwiesen hat, und das in einer Vorwahlsituation der Ungewissheit, wie lange die Grünen Nehammer noch Kanzler sein lassen. Der konfuse und darüber hinaus ohnehin chancenlose Angriff auf die Menschenrechte soll den Wählerinnen und Wählern zeigen, dass sie nicht Herbert Kickl wählen müssen, wenn sie die "Asylantenflut" fürchten, sondern auch bei Nehammer gut aufgehoben sind.

Das ist nicht nur unoriginell, es ist als Panik vor einem Gang in die Opposition zu verstehen. Verständlich, wenn man gegen Kickl als Schmiedl antreten soll. (Günter Traxler, 18.11.2022)