Dennis Cubic und Peter Pertusini in "Mein Fall" im Werk X in Wien-Meidling.

Foto: Alex Gotter

Während Ordensbrüder unbehelligt und mit allen Würden beerdigt werden, bleiben jene Männer, die als Buben Ziel ihrer pädophilen Übergriffe geworden sind, ein Leben lang mit den Folgen derselben konfrontiert. 2020 publizierte der österreichische Schriftsteller Josef Haslinger, der zuvor schon über die pädosexuellen Vorfälle im Zisterzienserstift Zwettl geschrieben hatte, ein Buch über die Aufarbeitung seiner Erfahrungen als Kind und Jugendlicher und die späte Möglichkeit der "Entschädigung".

"Mein Fall" (S. Fischer) handelt insbesondere von Begegnungen mit Opferschutzvertreterinnen und jenen Strukturen und Lobbys, die den finanziellen sowie Imageschaden für die katholische Kirche möglichst gering halten helfen sollen. Eine Theateraufführung im Werk X in Wien stellt Haslingers "Mein Fall" nun in den größeren Kontext des strukturellen Missbrauchs in der katholischen Kirche und ihrer zähen Aufarbeitungsbestrebungen.

WERK X

In Ali M. Abdullahs Inszenierung wechseln fünf Schauspieler (Dennis Cubic, Sebastian Klein, Tobias Ofenbauer, Peter Pertusini, Sebastian Thiers) zwischen Nacherzählung und szenischen Rückblicken. Der 100-minütige Abend trifft mit seiner Anklage ins Schwarze. Er protokolliert ähnlich nüchtern wie Haslingers Text, er transformiert aber auch Dialoge und Handlungen in aufwühlende Bilder, die dem Unangenehmen Raum und Zeit geben, die dieses Unangenehme aber fallweise auch in Komik auflösen.

Rückblende in die 60er

Auf zwei großen Leinwänden werden jene Gesten und Blicke vergrößert, die mit Livekamera auf der großen Bühne eingefangen werden. Im linken Bühneneck finden Opferschutzgespräche statt, Rückblenden in die 1960er-Jahre vollziehen sich in einem zunächst verschlossenen Kubus, aus dem heraus in Schwarz-Weiß und vor damals trendiger Blumentapete gefilmt wird (Bühne und Kostüme: Renato Uz).

Verzeichnet Haslingers Buch vor allem die Genese der eigenen Erinnerung und Interpretation des Erlebten sowie den Versuch, den österreichischen Weg der Entschädigungszahlungen über die sogenannte Klasnic-Kommission zu gehen (Vorsitzende der Opferschutzkommission ist die frühere steirische Landeshauptfrau Waltraud Klasnic), so reicht die Anklage der Inszenierung weiter.

Milliardenvermögen

Sie setzt das Milliardenvermögen der katholischen Kirche ins Verhältnis zu jenen Summen, die Opfer kirchlicher Gewalt hierzulande erhalten (bis zu 25.000 Euro). Ein Sager lautet: "War die Klasnic sehr gerührt, hat das Konto es gespürt." Die Aufführung rekapituliert aber auch den schleppenden und weitgehend widerwilligen Umgang der Kirche mit sexuellem Missbrauch sowie die Praxis der Vertuschung.

Zum Sinnbild für die unzureichende Anerkennung erlittenen Missbrauchs macht Abdullah sogenannte Therapiehaserln, sich im angrenzenden Gehege vollfressende weiße Kaninchen, die mit Engelsblick und weichem Fell Trost spenden sollen. "Mein Fall" ist ein informativer wie aufwühlender Abend. (Margarete Affenzeller, 18.11.2022)