Einige Tage vor dem WM-Start ging es bei Katars Training locker zu. Eingespielt sind die 26 Mann schon längst.

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Ein unerträglich schwüler Spätsommerabend in Katars Hauptstadt Doha, Qatar SC kickt gegen Umm Salal SC. "Der sieht aus wie Javi Martinez, der kuckt wie Javi Martinez, und der läuft wie Javi Martinez!", hört man auf der Pressetribüne in entgeistertem Ton. Das Wort "läuft" wird hier auf bundesdeutsche Art verwendet, will heißen: Martinez geht. Schnelle Schritte macht der spanische Welt- und Europameister kaum. Die Partie des in einer Länderspielpause abgehaltenen Ooredoo Cup freut Martinez eher nicht. Gerade noch rechtzeitig zum Pausenpfiff legt er seinem Gegenspieler eine auf und verabschiedet sich mit Rot.

Ein unmotivierter Javi Martinez ist die Realität des katarischen Ligafußballs. Die Zeit der großen Altstars wie Pep Guardiola, Raúl oder Frank de Boer ist vorbei, nach Martinez sind die klingendsten Namen Yacine Brahimi und André Ayew. Katars Fokus liegt nur mehr auf Paris Saint-Germain und dem Nationalteam.

Riesenaufwand

Während die Flüssiggasmilliarden Lionel Messi, Neymar und Kylian Mbappé zu PSG gelockt haben, wachsen die Bäume bei der Nationalelf nicht in den Himmel. Der Talentepool ist angesichts der nur etwa 300.000 Staatsbürger eher ein Talentetümpel, bereichert wird er durch eingebürgerte Expat-Kinder. Aber der Ausrichter der Weltmeisterschaft hat alles versucht, um im Eröffnungsspiel gegen Ecuador ein Leiberl zu haben.

Angefangen hat alles, wie so vieles in Katar, mit einem Dekret des Emirs. Es war die Nummer 16 des Jahres 2004, mit der Scheich Hamad Bin Khalifa Al-Thani die Aspire Academy in Auftrag gab. Eine Milliarde Dollar soll die Anlage gekostet haben. 20 Autominuten westlich des Stadtzentrums von Doha ist sie eingebettet in die Aspire Zone, daneben steht das Khalifa International Stadium, eines der acht WM-Stadien; The Torch, ein riesiges, fackelförmiges Hotel; und die Villaggio Mall, die dem fake-venezianischen Bellagio-Hotel in Las Vegas nachempfunden ist. Ein Abklatsch vom Abklatsch.

Zurück zur Akademie: Auch für Squash, Tischtennis, Schwimmen, Fechten und Leichtathletik werden hier Kinder und Jugendliche geformt, aber der König heißt Fußball. Akademiedirektor Ivan Bravo kam von Real Madrid, Chefscout ist Josep Colomer, der Lionel Messi entdeckt haben soll. Ein Heer an Trainern kommt aus Spanien und Deutschland. Felix Sanchez wechselte 2006 von Barça zur Akademie, seit 2017 ist er Teamchef. "Viele dieser Spieler sind schon bei Sanchez, seit sie Kinder sind. Er ist für sie wie ein Vater", sagt der katarische Journalist Mohamed El Gharwaby.

Zweimal pro Semester kommt ein Scout der Aspire Academy in jede katarische Schule zur Turnstunde. Burschen mit Talent bekommen eine Einladung – für welchen Sport ein Kind dann neben der Schule geformt wird, entscheidet sich erst später. Die Trainingsbedingungen sind so gut, dass auch Bayern München und Red Bull Salzburg immer wieder auf Wintertrainingslager kommen.

Einen Weltfußballer hat die Akademie noch nicht hervorgebracht, doch eine brauchbare Nationalmannschaft geht sich aus. 2019 gewann Katar sensationell den Asien-Cup, 15 der 23 Kicker wurden in der futuristischen Anlage geformt. Die zweite Auffälligkeit in den Lebensläufen der Teamkicker heißt "Königliche Allgemeine Sportvereinigung Eupen". Die Aspire Foundation kaufte den damaligen belgischen Zweitligaklub 2012 als Spiel- und Abhärtungswiese, auch für überwiegend afrikanische Kicker aus dem erweiterten Akademienetzwerk.

Dubiose Stützpunkte

Welches Netzwerk? Nun, auch das Kapitel Aspire Academy kommt nicht ohne Korruptionsvorwürfe rund um die WM-Vergabe aus. Dass die Akademie für das Projekt "Football Dreams" unter anderem in Guatemala, Thailand und Paraguay Zweigstellen aufbaute, irritierte wache Beobachter – waren das doch die Herkunftsländer dreier stimmberechtigter Exekutivkomiteemitglieder. Ein Schelm, wer eins und eins zusammenzählt.

Später kaufte die Akademie noch den spanischen Drittligisten Cultural Leonesa, um ihre Spieler unterzubringen. Eine Kooperation mit dem LASK hielt 2015 nur ein halbes Jahr: Die nach Linz verliehenen Almoez Ali und Assim Madibo spielten den Scheichs zu wenig, der Klub lehnte eine Stammplatzgarantie ab. Auch das Abstellen der Spieler für das Nationalteam außerhalb der üblichen Fenster stieß den Linzern auf.

Matches in Wien

Immerhin erschweren die Fifa-Regeln Einbürgerungen so weit, dass sich Katar nicht wie im Handball eine Vizeweltmeistermannschaft zusammenkaufen kann. Also sucht der Verband anderswo Vorteile. Zur Vorbereitung auf die WM gab es ein halbjähriges Trainingslager in Südspanien und Österreich, getestet wurde auch in der Generali-Arena. Der Verhandlungsweg zur Abstellung der Teamkicker war kurz: Sie kicken alle in der heimischen Liga, deren Teams werden vom Staat finanziert. Rekordmeister Al-Sadd stellt den halben WM-Kader.

Katar ist schwierig einzuschätzen. Siege gegen Ägypten und Bulgarien, Remis gegen Jamaika und Chile sowie Niederlagen gegen Algerien und Kanada lassen keine hohen Erwartungen aufkommen. Aber eben auch: Asien-Cup-Sieger, maximale Eingespieltheit, Gastgeberbonus. Bisher scheiterte nur Südafrika 2010 als Gastgeber in der Vorrunde. Das Match gegen Ecuador, das auf dem Papier zweitstärkste Team der Gruppe, wird wegweisend. (Martin Schauhuber, 20.11.2022)

Technische Daten und mögliche Aufstellungen zum Eröffnungsspiel der Fußball-WM in Katar am Sonntag:

Gruppe A – 1. Runde:

Katar – Ecuador (Al Khor, Al Bayt Stadium, 17.00 Uhr MEZ/live ORF 1, SR Daniele Orsato (ITA)

Katar: 1 Alsheeb – 2 Pedro Miguel, 5 Salman, 15 Al-Rawi, 3 A. Hassan, 14 Ahmed – 6 Hatim, 8 Asad, 12 Boudiaf – 7 Alaaeldin, 19 Ali

Ersatz: 21 Y. Hassan, 22 Barsham – 4 Waad, 13 Khidir, 16 Khoukhi, 17 Mohamad, 25 Gaber, 20 Al-Hajri, 23 Modibo, 26 Tarek, 9 Muntari, 10 Al-Haydos, 11 Afif, 18 Muneer, 24 Alhadrami

Ecuador: 22 Dominguez – 17 An. Preciado, 3 Hincapié, 2 Torres, 7 Estupinan – 21 Franco, 8 Gruezo, 23 Caicedo – 19 Plata, 13 Valencia, 10 Ibarra

Ersatz: 1 Galindez, 12 Ramirez – 4 Arboleda, 5 Cifuentes, 6 Pacho, 14 Arreaga, 18 Palacios, 25 Porozo, 9 Ay. Preciado, 15 Mena, 16 Sarmiento, 20 Méndez, 11 Estrada, 24 Reasco, 26 Rodriguez

Fraglich: Gruezo (Sehnenverletzung im Oberschenkel)