Gianni Infantino sorgte mit seiner Rede für allgemeines Staunen.

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"Heute fühle ich mich als Katarer. Heute fühle ich mich als Araber. Heute fühle ich mich als Afrikaner. Heute fühle ich mich homosexuell. Heute fühle ich mich behindert. Heute fühle ich mich als Gastarbeiter." So eröffnete Gianni Infantino einen 59-minütigen Monolog, der sich mit allen Abwassern gewaschen hatte. Dass der Befragte vor einer Pressekonferenz ein Eingangsstatement hält, ist üblich; dass den Journalisten vor lauter ungläubigem Kopfschütteln kollektiv schwindlig wird, nicht.

Infantino attackierte Kritiker und beklagte Heuchelei und Doppelmoral. Ja, auch Europa und westliche Unternehmen verletzen Menschenrechte. Doch selten hat jemand diesen Fakt in so jenseitiges Gewand gehüllt. Infantino redete von seinem Thron Tote klein, relativierte Unterdrückung, regte sich auf, dass sein Verband in die Verantwortung genommen wird. Kernbotschaft: Schauts Fußball und gebts a Ruh. Es war ein bedrückender, bisweilen konfuser Auftritt. Wäre das Auditorium in Dohas Messezentrum nicht so prunkvoll, man hätte sich gefühlt wie in der Vorlesung eines grantigen Professors.

Vielleicht war die Darbietung Kalkül, um die Kritik weg von dem Ausrichterstaat auf eine Einzelperson zu fokussieren. Vielleicht war sie auch simple Spaltertaktik: Schaut her, liebe Afrikaner und Asiaten, die ihr mir eure Stimmen für die kommende Wahl schon zugesagt habt: Wer Katar kritisiert, ist ein europäischer Kolonialist! Noch schlimmer aber: Vielleicht war sie ernst gemeint. (Martin Schauhuber, 20.11.2022)