Beim AKW Saporischschja wurden wieder Explosionen gemeldet.

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Mehr als 8300 getötete Zivilisten, davon 437 Kinder, mehr als 11.000 Verletzte: Diese traurigen Zahlen zum russischen Angriffskrieg in der Ukraine gab am Sonntag der ukrainische Generalstaatsanwalt Andrij Kostin bekannt. Allein in den jüngst zurückeroberten Gebieten rund um Cherson, Charkiw und Donezk seien in den vergangenen zwei Monaten über 700 Leichen entdeckt worden. Die tatsächliche Opferzahl dürfte aber höher liegen, sagte Kostin, schließlich hätten die ukrainischen Behörden keinen Zugang zu den von Russland besetzten Regionen.

Außerdem registrierten die Behörden seit der am 24. Februar gestarteten russischen Invasion mehr als 45.000 Kriegsverbrechen. 216 Personen seien als mutmaßliche Kriegsverbrecher gemeldet worden, darunter 17 Kriegsgefangene. Von 60 angeklagten Personen seien bisher zwölf verurteilt worden.

Atombehörde warnt

Am Wochenende wurden auch wieder starke Explosionen beim ukrainischen Atomkraftwerk Saporischschja gemeldet. Experten der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) hätten vor Ort von dutzenden Einschlägen in der Nähe der größten europäischen Atomanlage und auf deren Gelände berichtet, teilte die Behörde am Sonntag mit. "Wer auch immer dahintersteckt: Es muss umgehend aufhören", verlangte IAEA-Chef Rafael Grossi. "Wie ich schon oft gesagt habe: Ihr spielt mit dem Feuer!"

Grossi appellierte erneut an beide Seiten, eine Sicherheitszone um die Anlage einzurichten, in denen von Angriffen und Kämpfen abgesehen wird – intensive Verhandlungen mit beiden Seiten hätten bisher zu keiner Einigung geführt. Russland kontrolliert das AKW seit Anfang März, seitdem ist es mehrere Male unter Beschuss geraten.

Drohnenbau in Russland

Unterdessen hat Russland laut einem Bericht der Washington Post ein Abkommen mit dem Iran geschlossen, um die bisher von dort gelieferten Angriffsdrohnen für den Einsatz in der Ukraine selbst herzustellen. Derzeit werde daran gearbeitet, die Produktion binnen Monaten in Gang zu bringen, heißt es im Bericht unter Berufung auf Geheimdienstinformationen. Aktuell sei die iranische Seite dabei, Konstruktionsunterlagen und Schlüsselkomponenten für die Produktion zu übergeben. Die Vereinbarung sei Anfang November ausgehandelt worden.

Russland setzt seit einigen Wochen verstärkt auf die iranische Drohne des Typs Shahed-136, um ukrainische Energieinfrastruktur anzugreifen. Sie wird auch Kamikaze-Drohne genannt, weil sie erst eine Zeitlang über einem Ziel kreist, bevor sie dann mit einer Sprengladung hinabstürzt. Mit rund 20.000 Euro pro Stück sind die Drohnen im Vergleich zu Raketen sehr billig.

Führungsschwäche

Am Sonntag erklärte das britische Verteidigungsministerium in seinem täglichen Ukraine-Briefing, dass die russischen Truppen in der Ukraine nach Einschätzung britischer Militärexperten von Führungsschwäche und einer Kultur der Vertuschung geprägt seien. Demnach mangele es auf mittlerer und unterer Befehlsebene an militärischer Führung.

Laut Präsident Selenskyj halten die schweren Kämpfe im Donbass im Osten der Ukraine weiter an. Vor allem das Gebiet um Donezk sei schwer umkämpft, sagte Selenskyj am Sonntagabend in seiner täglichen Videoansprache. "Obwohl es wegen der Verschlechterung des Wetters weniger Angriffe gibt, bleibt die Zahl der russischen Artillerieüberfälle leider hoch." Auch aus dem Gebiet Luhansk gebe es Berichte von Gefechten.

Allein am Sonntag seien dort von russischer Seite fast 400 Granaten abgefeuert worden, sagte Selenskyj. Auch der Generalstab der ukrainischen Streitkräfte hatte zuvor von fortgesetzten Zusammenstößen an verschiedenen Frontabschnitten im Osten des Landes berichtet. Bei Luhansk seien mehrere russische Vorstöße abgewehrt worden, hieß es. (Kim Son Hoang, 20.11.2022)