Der Islam verbietet den Konsum von Alkohol. Nur: In muslimischen Staaten floriert die Bierbrauerei – und auch der Konsum.
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Die Frage, wie viel ihrer Bierproduktion exportiert werde, kostet die Dame, die eine Besuchergruppe durch eine der größeren Brauereien Marokkos leitet, ein verlegenes Lächeln. "Es sind nicht viel mehr als fünf Prozent, aber das darf ich Ihnen eigentlich nicht sagen", antwortet sie mit einem Augenzwinkern. Geschuldet ist die (nur halbherzige) Geheimnistuerei dem Umkehrschluss. Der besagt nämlich, dass 95 Prozent der Produktion in Marokko getrunken werden. In einem Land also, wo der Verkauf von Alkohol an "muslimische Einheimische" per Gesetz verboten ist; in dem aber auch jeder weiß, dass es wohl kaum die Touristen alleine sein können, die die stattlichen Mengen an Bier, Wein und sonstigen Spirituosen trinken, die in dem Königreich erzeugt und verkauft werden.

Verkaufsverbot und gesalzene Preise

Das Beispiel zeigt gut, welch komplexes Verhältnis die arabisch-muslimischen Länder zum Alkohol pflegen. Katar ist da freilich keine Ausnahme. Lange Zeit wurde im Austragungsland der Fußball-WM 2022 diskutiert, ob es überhaupt Bier während des Großereignisses geben dürfe. Man rang sich, dank des Drucks von Sponsoren wie der zum belgischen Konzern AB-InBev gehörenden amerikanischen Budweiser-Brauerei, eigentlich zu einem Kompromiss durch: Bier sollte in bestimmten Zonen für drei Stunden vor Spielbeginn und für eine Stunde nach Abpfiff ausgeschenkt werden.

Eine Woche vor WM-Start dann die Kehrtwende: Zuerst ließ Gastgeber Katar die Bierzelte bei den Stadien abbauen, 48 Stunden vor dem Eröffnungsspiel wurde bekannt, dass es ein komplettes Bier-Ausschankverbot geben wird. Allerdings kann jeder, den schon untertags die gefürchtete Wüstenhitze plagt, von 10 Uhr bis 5 Uhr früh (!) beim täglich geöffneten Musikfestival Arkadia sein Bier kaufen – zu gesalzenen Preisen, versteht sich.

Als Austragungsland des Fußball-Großereignisses platziert sich Katar in Sachen Alkohol in gewisser Weise auf halbem Weg zwischen seinen genauso heißen und trockenen Nachbarn: dem radikal prohibitiven Saudi-Arabien einerseits und dem für viele Muslime als schockierend liberal empfundenen und sich dem Tourismus verkaufenden Dubai andererseits. Während es in Katar keine Brauerei gibt und folglich alles Bier importiert werden muss, kann man anderen arabischen Ländern eine gewisse Tradition des Bierbrauens nicht absprechen.

Oktoberfest in Nordafrika

Darunter das bereits genannte Königreich Marokko, wo die heute etwas schamhaft benannte Firma Boissons du Maroc ("Getränke Marokkos") bereits seit 1919 aktiv ist. Früher hieß sie Brasseries du Maroc, also Brauereien Marokkos. Inzwischen ist sie im Besitz der vor allem in Afrika sehr gut aufgestellten französischen Getränkegruppe Castel und bedient den Inlandsmarkt mit Marken wie Stork, Flag und Casablanca. Während Casablanca mit Palmen und maurischem Spitzbogen auf dem Etikett tatsächlich eher auf ausländische Gäste zu schielen scheint, sind die anderen beiden Biere vorrangig bei Einheimischen beliebt. Ausgeschenkt werden sie in der Regel in schummrigen und schmucklosen Bars, wo man auf Ausländer oder gar auf Marokkanerinnen nur selten trifft.

Trotz (oder wegen) der an den Tag gelegten Toleranz in Sachen Bierausschank kommt es in Marokko immer wieder zu Diskussionen. Wie etwa in den vergangenen Wochen wegen eines geplanten Oktoberfestes, das die deutsche Handelskammer in der Stadt Casablanca organisieren wollte. Auf ihrer Facebook-Seite versprach sie damals: "Es erwartet Sie eine für das Oktoberfest typische festliche und herzliche Stimmung." Danach dürstete es viele konservative Marokkaner allerdings überhaupt nicht. Sie organisierten einen Bürgerprotest inklusive Unterschriftensammlung gegen das Fest, das folglich nicht wie geplant in einem 300-Personen-Zelt, aber dennoch stattfand – wenngleich in einem weit diskreteren Rahmen.

Im mit Marokko chronisch verkrachten Nachbarland Algerien indessen wurde ein vergleichbares feuchtfröhliches Fest mit "herzlicher Stimmung" von der dortigen deutschen Handelskammer bereits mehrmals organisiert. Tatsächlich gibt es in dem Land, das noch vor wenigen Jahrzehnten zu den größten Weinproduzenten der Welt zählte, auch keinerlei Gesetz, das Konsum oder Verkauf von Alkohol verbietet. Gesellschaftlich verpönt bleibt beides dennoch. Was jedoch nichts daran ändert, dass das lokale Bier namens Tango sich großer Beliebtheit erfreut und erst seit 2001 in der Vorstadt von Algier von der gleichnamigen Brauerei gebraut wird, die seit kurzem im Besitz von Heineken ist.

Hippe Bierkultur im Nahen Osten

Im Westjordanland wiederum wird in einem mehrheitlich von Christen bewohnten Ort namens Taybeh bereits seit 2005 ein alljährlich im Herbst stattfindendes Bierfest ausgetragen. Veranstalter ist eine in den 90er-Jahren gegründete Mikrobrauerei, die den Namen der Ortschaft trägt und ihre hippen Biersorten wie etwa IPA und Weißbier mit dem angesichts der israelischen Präsenz in dem Gebiet wohl provokant gemeinten Slogan "Taste the Revolution" anpreist. Nur wenige Kilometer davon entfernt braut eine weitere Mikrobrauerei namens Birzeit im gleichnamigen (!) Ort seit 2015 ein Bier mit Namen Shepherd und organisiert obendrein gleichfalls ihr eigenes alljährliches Bierfest.

Regelrecht als schäumend konnte man noch bis vor kurzem die Szene im Libanon bezeichnen. Doch inzwischen setzt die aktuelle Wirtschaftskrise in dem Land den Mikrobrauereien mit Namen wie Elmir, Colonel Beer und 961 heftig zu – indem sie vielen Libanesen, unter denen sich bekanntlich zahlreiche Christen finden, die Freude am Bier und damit einhergehenden Bierfesten doch gehörig vermiest.

Tradition in Hopfen und Malz

Bereits seit 1927 wird in Tunesien ein Bier namens Stella gebraut, das wie das seit 1951 mit ihm konkurrierende Celtia im Besitz von Castel ist. Beide Biere passen ganz wunderbar zum in ganz Nordwestafrika verbreiteten Gericht Couscous, welches die Tunesier gerne mit lokaler Harissa-Sauce aufmotzen. Vielleicht liegt es ja an der scharfen Sauce, dass Tunesien als das Land mit dem größten Pro-Kopf-Verbrauch an Bier in Nordafrika gilt – wobei selbstredend kein Zweifel besteht, dass auch in diesem Fall es ausschließlich Touristen sind, die das alles hinunterschütten.

Zu wiederholten Protesten von konservativen Mitbürgern, die sich am Bierausschank stoßen, kommt es freilich auch hier. Allerdings ist der Widerstand, wie das panafrikanische Wirtschaftsmagazin Jeune Afrique herausgefunden haben will, nicht selten von Schwarzmarkthändlern organisiert, die dieserart ihre gleichermaßen illegalen wie diskreten und äußerst einträglichen Liefersysteme vor legaler Konkurrenz zu beschützen trachten. Womit man wieder bei besagter Scheinheiligkeit wäre.

Stella ist auch der Name eines Biers, das bereits seit 1897 in Ägypten von der dortigen Traditionsbrauerei Al Ahram erzeugt wird, die inzwischen gleichfalls zum Heineken-Konzern zählt. In Wahrheit ist Ägyptens Biertradition freilich viel älter. Erst im vergangenen Jahr wurden im Süden des Landes die Überreste der möglicherweise ältesten kommerziellen Brauerei der Welt ausgegraben.

Laut Historikern konnten hier Chargen von bis zu 22.000 Liter Bier gebraut werden, was angeblich jenen der größeren unter den Kleinbrauereien der Gegenwart entspricht. Das allerdings war um das Jahr 3000 vor Christus, also mehrere Jahrtausende bevor sich in der Region der Islam durchsetzte – und seinen Anhängern nicht nur den Rausch selbst, sondern auch den Konsum von fermentierten Getränken verbot. (Georges Desrues, RONDO, 25.11.2022)