Ein Hoffnungsträger, der keiner sein kann: Nikolaj Stawrogin (Nicholas Ofczarek) und sein Anstachler Pjotr (Jan Bülow, in gelber Jacke).

Foto: Matthias Horn

Kein Volk der Welt ist im Warten auf bessere Zeiten so erprobt wie das russische. Dramen verlangen nach ausgiebig Sitzmobiliar, damit die meist auf einem Gut in der Provinz versammelten Kapitalisten, Gutsdamen, unnützen Dichter oder Militärs außer Dienst sich nicht vollends die Beine in den Bauch stehen. Auch der eine oder andere Samowar empfiehlt sich da in Griffnähe zu stehen. So auch bei Johan Simons' Dämonen-Inszenierung am Burgtheater, die am Freitag mit Überlänge und ohne Avancen um 23 Uhr 15 zu Ende ging.

Der 1873 erstmals in Gesamtform veröffentlichte Roman von Fjodor M. Dostojewski lässt sich eben nicht in neunzig Minuten erschließen. Die Burgtheaterfassung von Sebastian Huber (auf der Basis von Swetlana Geiers Übersetzung) hat das Personal des Tausendseiters auf elf Figuren ausgedünnt, vier Stunden dauert das dann. Wiewohl eine Dame hernach feixte, das wird er – gemeint war der amtsführende Direktor – sicher noch runterkürzen lassen. Peter Stein veranschlagte einst satte zwölf Stunden, Castorfs legendäres Datscha-Setting mit Swimmingpool deren vier.

Goldener Käfig

In einem goldenen Käfig aus fensterlosen, metallisch schimmernden Wänden (Bühne: Nadja Sofie Eller) hält Simons am Burgtheater Archetypen des vorrevolutionären Russland gefangen. Sie spüren es in den Knochen: Bald muss etwas geschehen. Wenige Jahre nach Aufhebung der Leibeigenschaft und im Angesicht der zunehmenden Industrialisierung, deren Hämmern und Fräsen den Burgtheater-Abend in aggressive Akustik taucht, suchen die Menschen in einer namenlosen Kleinstadt nahe St. Petersburg nach neuen Horizonten.

Die fatale Erkenntnis wird sein: In ihrer Mitte bleibt es gefährlich leer. Der nach drei Jahren im europäischen Ausland heimgekehrte Offizierssohn Nikolaj Stawrogin (Nicholas Ofczarek), den alle Ratlosen und Gelangweilten wie einen Heiland empfangen und für ihre jeweiligen Pläne beanspruchen, ist der größte Nihilist von allen. Einst hat er ein Mädchen vergewaltigt und in den Tod getrieben, dann zur Wiedergutmachung eine mittellose, behinderte Frau geheiratet, der Absolutismus des Zaren ist ihm genauso gleichgültig wie der aufstrebende Sozialismus, und mit Russland im Ganzen will er nichts zu schaffen haben.

Heiratspolitik

Alsbald beginnt die sich an ihn heftende Welt zu bröckeln. Mit stierem Blick und erratischen Bewegungen sieht dieser überhöhte Mann im blassrosa Guru-Hemd und mit kinnlangen Rasputin-Haaren ungerührt zu. Der ertragsarme Dichter Werchowenski (Oliver Nägele) schwingt in arger Verblendung schöngeistige Reden; seine Geldgeberin, die reiche Witwe Warwara Stawrogina (Maria Happel), Mutter von Nikolaj, befasst sich mit Heiratspolitik, damit wenigstens das Geld schön beisammen bleibt.

Mit der in allen Romanen Dostojewskis gestellten Frage nach der Existenz Gottes befassen sich sowohl der Ingenieur Kirillow (Ernest Allan Hausmann) als auch der nationalistisch entflammte, ehemalige Leibeigene Schatow (Itay Tiran) sowie der rabiate, zaristisch verbrämte Scheinsozialist Pjotr Werchowenski (Jan Bülow), der unter dem Nazimantel bei Bedarf jugendlich-hipstriges Gelb zum Vorschein kommen lässt.

Und weil die Stückfassung bis ins Detail ganz dem 150 Jahre alten Roman verpflichtet bleibt, in dem die Herren differenziert Weltprobleme wälzen und die Damen einzig und allein als Heiratsobjekte fungieren – selbst dann, wenn man wie Birgit Minichmayr ihre Lisa Tuschina schrill zu einer Domina hinaufjazzt –, fragt man sich als Zuschauerin: Wirklich? So museal? Eine Sitznachbarin meint gar fatal: So wird das Theater ganz sicher aussterben.

Kostüme des Unbehagens

Den Frauen bleibt der Slapstick: Die in Selbstlosigkeit erstarrte Dascha von Dagna Litzenberger Vinet plumpst mehrfach steif vom Stuhl, Sarah Viktoria Fricks Hoppelgang als hinkende Marja Lebjadkina in kurzen Hosen und Brautschleier wirkt manieriert. Und die mondäne Witwe Warwara (Happel) vollführt in ihren Verheiratungsgesprächen eine wahre Salonkomödie und führt dabei ihr vorne mutig weit ausgeschnittenes Ballonseidenkleid genüsslich spazieren.

Generell übergibt die Regie in dieser vom Blatt gespielten Inszenierung den Einzelauftritten die Verantwortung. Der Rest des Ensembles verbringt die Zeit derweil im rückwärtigen Teil der tiefen Bühne, am Tisch oder auf Kanapees oder einfach am Boden.

Ausgebremst

Ein Hingucker ist, wie schon angedeutet, das Kostümbild von Greta Goiris, das das Unbehagen dieser Menschen nach außen stülpt. So geht beispielsweise der Beamte Liputin (Markus Hering) in seinem übergroßen Wams beinahe verloren. Und so lugen beim überdrehten Hauptmann a.D. (Marcel Heuperman) die Zipfel seiner eigentlichen Armut überall hervor.

Reformen bräuchte das Land und Perspektiven für die Jugend, ebenso für die sich neu formierenden Gesellschaftsschichten. Die Blicke der Hoffnungsträger, von den eigenen Gespenstern genährt, bleiben indes nach innen gewandt. Neues Theater hat Simons daraus nicht gemacht. Mit wenigen Ausnahmen bremsen die Vorgänge in ihrer Trägheit und Überraschungslosigkeit das Zuschauen aus. Dem luxuriösen Ensemble folgt man deshalb auch nur bedingt begeistert. (Margarete Affenzeller, 26.11.2022)